EFAV e.V.:

Stellungnahme zu den Diskussionen über ein Gesetz zur Reform des Kindschaftsrechtes

(vorgelegt zum Ersten „Kinderkoalitionsgespräch“ am 10.September 1996 in Bonn)

Der Referentenentwurf umfaßt den Entwurf eines Gesetzes zur Reform des Kindschaftsrechtes (Kindschaftsreformgesetz - KindRG) und seine Begründung. Unterstellt wird die Verabschiedung korrespondierender Gesetzesvorlagen, wie das Beistandschaftsgesetz, das Erbrechtsgleichstellungsgesetz und das Kindesunterhaltsgesetz.

Als Anlaß für die Reform wird angegeben:

·                   die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts,

·                   die Gültigkeit der UN-Kinderrechtskonvention aus dem Jahr 1989,

·                   der Einigungsvertrag.

Als Ziel der Reform wird die Absicht angegeben, mit dem Entwurf:

·                   die Rechte der Kinder zu verbessern,

·                   die rechtlichen Unterschiede zwischen ehelichen und nichtehelichen Kindern soweit wie möglich abzubauen,

·                   das Recht einfacher und überschaubarer zu gestalten.

Die allgemeine Begründung des Referentenentwurfs enthält eine Angabe über den Anlaß und den Gegenstand der Reform. Die Mängel des geltenden Rechts werden für die Rechtsbereiche Abstammung, Elterliche Sorge, Umgangsrecht, Betreuungsunterhalt und Verfahrensrecht unterschieden. Zusammenfassungen von bereits berücksichtigten Stellungnahmen von Fachverbänden und Gutachten bilden den Abschluß, bevor die Grund-züge des Entwurfs im Zusammenhang ausführlicher erläutert werden. Der zweite Teil des Referentenentwurfs enthält die Einzelbegründungen, mit denen auf die Artikelgliederung Bezug genommen wird. Daraus ergeben sich Gesetzesänderungen im Bürgerlichen Gesetzbuch, Personenstandsgesetz, Gerichtsverfassungsgesetz, Rechtspflegegesetz, der Zivilprozeßordnung, des Gesetzes über die freiwillige Gerichtsbarkeit, des Gerichtskostengesetzes, der Kostenordnung, der Bundesgebührenordnung für Rechtsanwälte, des Einführungsgesetzes zum BGB, des Achten Buches Sozialgesetzbuch und weiterer 20 Bundesgesetze.

Die weiteren Diskussionsthesen, Gesetzesvorschlägen und Ergänzungen begründen sich weitgehend ebenfalls auf die oben angegebenen Zielsetzungen.

Diese Stellungnahme erfolgt mit der gleichen Zielsetzung, wie sie im Referentenentwurf angegeben ist, jedoch ergeben sich grundsätzlich andere Beurteilungen darüber wie

·                   die Rechte der Kinder verbessert werden können,

·                   die Rechtsposition der Eltern besser geschützt werden kann,

·                   die Gleichstellung von ehelichen und nichtehelichen Kindern hergestellt werden und das geltende Recht vereinfacht werden kann.

Grundüberlegungen

Das Kindschaftsrecht hat die Aufgabe, die Rechtsbeziehung zwischen Kindern und ihren Eltern zu regeln. Im Rahmen dieser Rechtsbeziehungen werden die Beteiligten mit Rechten ausgestattet und Pflichten belegt, die sicherstellen sollen, daß Kinder unter der Verantwortung ihrer Eltern eine bestmögliche Entwicklung erfahren können. Zentrale Voraussetzung dafür ist es, daß Eltern in dieser Verantwortung unterstützt und Einschrän-kungen nur dann vorgenommen werden, wenn das Kindeswohl gefährdet ist. Die Stellungnahme setzt als Tat-sache voraus, daß beide Eltern eines Kindes für und mit der Werdung des Kindes die gleiche Verantwortung haben, und zwar ungeachtet in welcher Rechtsbeziehung die Eltern miteinander leben. Diese Voraussetzung ist durch das Persönlichkeitsrecht des Individuums, Art 2 (1) GG gegeben. Der besondere Schutz von Ehe und Familie, Art. 6 (1) GG wird dadurch nicht eingeschränkt.

Über die Wirkungen bei Einschränkung elterlicher Verantwortung

Wird vorausgesetzt, daß beide Eltern bereits mit und bei der Werdung eines Kindes die gleiche Verantwortung haben, so ist die Frage zu untersuchen, was geschieht, wenn diese Verantwortung eingeschränkt oder geschlechtsspezifisch variiert wird. Die bisherigen Rechtskonstruktionen und der zur Stellungnahme vorgelegte Entwurf des Kindschaftsrechtes sehen solche Einschränkungen und geschlechtsspezifische Variationen vor. Gleichzeitig ist es unstrittige Erkenntnis, daß Mütter sich grundsätzlich für die sozialen und hauswirtschaftlichen Aufgaben verantwortlich fühlen, während für die finanzwirtschaftliche Existenz grundsätzlich Väter die Verantwortung übernehmen. Beide Eltern richten überwiegend und hauptsächlich danach ihre Lebensperspektiven aus und fühlen sich unzufrieden, wenn sie diese Erwartungen nicht erfüllen können. Da menschliches Verhalten ganz entschieden abhängig von entsprechenden Verantwortungszuschreibungen ist, muß es als wahrscheinlich gelten, daß diese geschlechtsspezifisch unterschiedlichen Verhalten auf unterschiedliche Verantwortungszuschreibungen zurückzuführen sind.

Diese Verantwortungszuschreibungen erfolgen durch Gebräuche, gesellschaftliche Traditionen und rechtliche Festlegungen, die sich auch vor diesem Hintergrund ergeben. Die Grundrechte der Persönlichkeitsentwicklung und der Gleichberechtigung setzen daneben in der Gegenwart neue Maßstäbe, die auch durch Eheschließung oder Elternschaft nicht aufgehoben werden. Im einzelnen werden die Dimensionen der Grundrechte bei der Gesetzgebung übersehen oder verkannt. Nur so ist es erklärlich, daß das Bundesverfassungsgericht und der Europäische Gerichtshof verabschiedete Gesetzesbestimmungen auf Grund von Grundrechtsverstößen außer Kraft setzen. So haben Mädchen und Jungen den Anspruch darauf, gleiche Lebensperspektiven vorzufinden, um ihr Leben eigenverantwortlich gestalten zu können. Das Vorbild der Eltern hat in diesem Zusammenhang einen großen Einfluß.

Aber auch für die Eltern selbst gilt die Gleichberechtigung, Wenn das Grundgesetz hierzu keine konkreten Normvorgaben enthält, ist es dennoch schlüssig, daß beide Eltern sowohl für die Erwerbs- als auch für die Familienarbeit gleiche Verantwortlichkeiten haben und die Gesellschaft die Erfüllung ermöglichen und unterstützen müßte.

Wenn Gebräuche und rechtliche Traditionen den geltenden Grundprinzipien rechtlicher Festlegungen widersprechen, wie sie in den Grundrechten festgelegt sind, so ist die Frage zu untersuchen, weiche Konsequenzen davon abgeleitet werden müssen. Hierzu sind bisher wenige Erkenntnisse bekannt. Es kann angenommen werden, daß der Lösung dieses Problems zu oft dadurch aus dem Weg gegangen wird, in dem die Frage gar nicht erst gestellt oder die Widersprüche übergangen werden. Diese Lösung ist aber nicht im Interesse des Kindes, denn die Persönlichkeitsrechte der Beteiligten sind unabdingbar, wenn sie auch nicht durch Konkreti-sierungen einklagbar sind.

Zur Systematik des Kindschaftsrechtes ist festzustellen, daß sich, entsprechend der chronologischen Reihen-folge seiner Zuständigkeit und Anwendung, das Abstammungsrecht grundbestimmend für alle weiteren Rechtsgestaltungen auswirkt.

Stellungnahme zum Entwurf des Abstammungsrechts

Der Entwurf sieht eine gesetzliche Definition der Mutterschaft vor. Wie es in der Begründung heißt, geschieht dies im Interesse der Vermeidung "gespaltener Mutterschaft, insbesondere von Leihmutterschaften in Form der Ammenmutterschaft. Der zugrundeliegende Sachverstand über die "Fortpflanzungsmedizin" wird aus einem Gutachten bezogen, das bereits 1988 abgeschlossen wurde. Erkenntnisse über den inzwischen entstandenen Markt für die Erfüllungsformen zum Wunsch nach Kindern wurden nicht berücksichtigt. Für den als unvermeidbar anzusehenden Mißbrauchsfall, gleichgültig wie er definiert wird, wird mit der im Entwurf vorgeschlagenen Definition keine Rechtssicherheit erreicht. Während der Entwurf scheinbar eindeutig die Mutter per Definition feststellen zu können glaubt, sind an die Feststellung des Vaters erschwerte Bedingungen gestellt, die in einem weiteren Umfang Mißbräuche zulassen.

Für die Interessen des Kindes sind hingegen alle Mißbräuche von Schaden. Ganz besonders werden in einem geschlechtsspezifisch differenzierten Abstammungsrecht schon mit Geburt und Schwangerschaft Verantwor-tungsdifferenzierungen vorgenommen, die im weiteren Verlauf entsprechend der chronologischen Reihenfolge der Kindschaftsrechtsbereiche nicht mehr ausgeglichen werden können. Diese einseitigen Verantwortungszu-schreibungen sind gegen die Interessen des Kindes gerichtet. Jedes Kind hat Anspruch auf beide Eltern. Eine generell unterschiedliche Verantwortungszuschreibung ist gegen die Interessen des Kindes gerichtet, sogar geschlechtsspezifisch planbar. Sie ist in Anbetracht der Gültigkeit der Grundrechte auf Menschenwürde, Art. 1 (1) GG, Gleichheit vor dem Gesetz, Art. 3 GG, und Schutz der Familie, Art. 6 GG, und der UN-Kinderrechtskonvention nicht hinnehmbar. Sie verletzt die Identität väterlicher und mütterlicher Verantwortung. Ebenso wie die eheliche ist auch im Abstammungsrecht die nichteheliche Familie zu schützen. Für ein nichte-heliches Kind oder ein Kind geschiedener Eltern ist es sein rechtlicher differenzierter Rechtsstatus zum Vater und zur Mutter nicht dadurch begründbar, daß die Rechtsbeziehung zwischen seinen Eltern nicht den jeweili-gen vorherrschenden gesellschaftsordnenden Gesetzesbedingungen entspricht. Das Recht des Kindes ist ein Individualrecht.

Auswirkungen auf andere Rechtsbereiche

Eine Änderung des Abstammungsrechtes hat weitreichende Wirkungen auf alle anderen Rechtsbereiche des Kindschaftsrechtes. Es ist eine Selbstverständlichkeit, daß auch im Namensrecht beiden Eltern gleiche Verantwortungszuordnungen zugebilligt werden. In diesem Sinn erscheint es zweckmäßig, Kindern zunächst einen gemeinsamen, ggf. einen Doppelnamen als Familiennamen zu geben und sie mit ihrer Volljährigkeit eine Wahlmöglichkeit erhalten, welchen Namen sie weiter führen wollen.

Das Ehe- und Scheidungsrecht sollte weitgehend vom Kindschaftsrecht getrennt werden, da diese Rechtsbereiche zukünftig nur dann eine Bedeutung haben, wenn die Ehepartner in einer Unterhaltsgemeinschaft leben wollen, die sich allein aus einer geschlechtsspezifischen Rollentrennung ergibt. Dies kann, muß aber nicht zwangsläufig Auswirkungen auf die Unterhaltsverpflichtungen der Eltern für die noch nicht wirtschaftlich selbständigen Kinder haben.

·                   Mit einer Neukonzeption des Kindschaftsrechts, aufbauend auf ein Abstammungsrecht entsprechend dieses Vorschlages werden die Rechte der Kinder verbessert werden können, weil die Kinder danach eine größere Gewähr dafür erreichen, daß beide Eltern gemeinsam für sie einstehen und ihnen ein Vorbild vermitteln, bei dem Jungen und Mädchen gleiche Lebensperspektiven haben.

·                   Die Rechtsposition der Eltern werden besser geschützt, weil Anlässe entfallen, daß Eltern gegeneinander streiten (müssen),

·                   Die Gleichstellung von ehelichen und nichtehelichen Kindern ist hergestellt, weil eine Eheschließung keine Auswirkung auf die Rechtsbezüge zwischen Kindern und Eltern hat.

·                   Das geltende Recht wird entsprechend des Vorschlages grundlegend vereinfacht.

Die weiteren Auswirkungen sind so vielfältig, daß sie einer systematischen Untersuchung zugeführt werden müßten. Viele Vorschläge, die die Ausgestaltung der Gleichverantwortung beider Eltern betreffen, werden von mir unterstützt. Ein Großteil der Regelungsvorschriften ist entbehrlich.

Zusammenfassung:

Der vorliegende Referentenentwurf, die bisherigen Änderungsvorschläge des Bundesrates und weitere Diskussionsbeiträge enthalten auch aus der Interessenlage des Kindes begründete Vorschläge, beiden Eltern mehr autonome und auf Gleichverantwortlichkeit gerichtete Rechte und Pflichten anzuerkennen. Sie betreffen aber lediglich die Symptomebene bisheriger Kontroversen oder begeben sich in Diskussion auf dieser Ebene ohne die Grundsätzlichkeit des Abstammungsrecht zu würdigen. Letztendlich ist eine grundlegende Neuorientierung des Kindschaftsrechtes nur mit einer bestmöglichen Förderung der Eingangsverantwortlichkeit beider Eltern zu erreichen. Beide Eltern haben a priori und unabhängig von dem Familienstand die gleichen Verantwortlichkeiten. Ein neues Kindschaftsrecht sollte dies uneingeschränkt anerkennen. Schlußfolgerungen sollten ausschließlich vom Erfüllen der individuellen elterlichen Verantwortung abgeleitet werden können. An das Geschlecht geknüpfte Zuweisungen oder Ausgrenzungen von Kompetenzen, Rechten und Pflichten verstoßen nach meiner Meinung gegen die Interessenlage des Kindes, weil sie in ihrer Wirkung doppelt Einschränkungen für das Kind vorgeben: 1. Als Kind im Erleben von Wirkungen geschlechtsspezifischer Vorgaben bei den Eltern und später

2. als Vater oder Mutter: in den wirkenden Einstellungsdifferenzen über die geschlechtlich begründete Kompetenz und Verantwortungsgestaltung.

Insofern ist setzt eine neues Kindschaftsrecht ein Abstammungsrecht voraus, daß keine geschlechtlich begründeten Differenzierungen vorsieht.

Reaktioneller Hinweis:

Diese Stellungnahme wurde bisher von der National-Coalition für die Umsetzung der UN-Kinderrechtskonvention in Deutschland nicht behandelt. Eine ähnliche eingeladene Stellungnahme wurde an den Bundesminister für Justiz abgegeben. Weiterhin ist der Text dem Rechtsausschuß des Deutschen Bundestages und den jeweiligen Berichterstatter/innen der Fraktionen sowie vielen Einzelpersönlichkeiten der Politik zugeleitet worden.