Die Weihnachts-Männer

Der Advent geht, die Väter kommen: Einmal im Jahr, am Heiligabend, erinnern sich geschiedene Männer ganz plötzlich ihrer Kinder

Von unserer Redakteurin
Marianne Quoirin

Er könnte einem fast leid tun, als er versucht, mit dem Hinweis auf Termine, Termine, Termine kurz vor Jahresende sein Problem zu erklären. Der Mittvierziger hockt hinter seinem Schreibtisch im heimischen Arbeitszimmer wie ein Bub, der des Trostes bedarf, weil ein Bösewicht sein Tamagotchi entführt hat.

Ein bißchen verlegen ist der Architekt, als er seine Glaubwürdigkeit untermauern will, erst beim Kauf der Geschenke daran gedacht zu haben, wenigstens für einen Weihnachtstag sein Besuchsrecht für die beiden Söhne zu reklamieren.

Das war am Nachmittag des 18. Dezember, als Klaus B. in Leipzig zwischen zwei Terminen auf Großbaustellen in ein Sportgeschäft und in einen Elektronik-Laden hetzt und dort, wie er selbst zugibt, viel zu viel für die elf Jahre alten Zwillinge kauft.

Noch am Abend hat er seine frühere Frau angerufen und sie gefragt, an welchem Feiertag er für die Söhne einen Besuchstermin bekäme, doch sie habe ihn kühl auf den 3. Januar verwiesen, weil sie am 25. Dezember mit den Kindern und ihren Eltern für eine Woche verreise. "Sie", sagt er, als er sich am vierten Advent mit einem befreundeten Rechtsanwalt in seinem Eifeler Domizil berät, "sie hat einfach aufgehängt, als ich um einen Termin am Heiligabend bat."

Advent, Advent, der Papi flennt

Mit einem Seitenblick auf den Anwalt, der für den "Antrag auf Erlaß einer einstweiligen Anordnung" für einen Besuch der Kinder am 24. Dezember zwischen 16 und 19 Uhr schon mit seinem Diktiergerät hantiert, zischt er: "Sie, sie wird sich noch wundern." Und dieses Sie klingt abermals so messerscharf, daß es keiner weiteren Erläuterung bedarf, um das Spannungsverhältnis der B.s drei Jahre nach ihrer Scheidung auszuloten.

Wenn Weihnachten ist, dann werden nicht nur Erinnerungen aus fernen Kindertagen wach. Wenn Weihnachten ist, dann fallen selbst gestandene Männer in kleinkindliches Verhalten zurück, insbesondere dann, wenn ihnen zum Fest der Feste die Abwesenheit ihrer Sprößlinge droht.

"Advent, Advent, jetzt man zum Familienrichter rennt" oder "Wenn das erste Lichtlein brennt, Vater vor dem Richter flennt" So lauten die Holperreime über die Väter in der für sie gar so nicht fröhlichen, seligen Weihnachtszeit.

Denn alle Jahre wieder können auch entsorgte Familienoberhäupter dem Großereignis Weihnachten nicht entkommen. Wie ein Glocke stülpt es sich über Stadt und Land: Die Öffentlichkeit ist aufgehoben, Familienglück mit strahlenden Kinderaugen vor dem Tannenbaum das Gebot der Stunde: Morgen, Kinder, wird's was geben - wenn ihr nur zu Papa dürft. Sieben Typen der Spezies Weihnachts-Väter kann Professor Siegfried Willutzki (Chemnitz und Bielefeld) nach 20 Jahren Familiengerichtspraxis bestimmen.

Da gibt es die Termingehetzten wie Klaus B. und die Gutgläubigen, die darauf vertrauen: "Weihnachten werden wir uns doch nicht streiten!"). Vereinzelt tritt auch als Modell Schussel auf: der ewig verspätete Vater. Während des ganzen Jahres schafft er es nie, rechtzeitig seine Kinder abzuholen. Immer wieder muß er vorgeben, stundenlang im Stau gestanden zu haben, wenn er Sturm klingelt und Besserung gelobt.

Nun dämmert ihm fünf Minuten vor zwölf, daß das Christkind vor der Tür steht. Gleich scharenweise werden Männer von ihren Eltern auf Trab gebracht nach der eindringlichen Mahnung: "Wenn du dich auch damit zufriedengibst, ohne die Kinder unter dem Tannenbaum zu sitzen, aber wir wollen die Enkel sehen, wenn sie unsere Geschenke auspacken!"

Der Typ Taktiker ist am besten am 23. Dezember vor den Amtsgerichten zu beobachten. Er hofft, mit seinem Eilantrag einen Tag vor Heiligabend noch am ehesten Erfolg zu haben, frei nach dem Motto: Wer wagt es ausgerechnet Weihnachten, einem liebenden Vater den einzigen Wunsch abschlagen, seine Kinder zu beschenken?

Doch alle Jahre muß er erfahren: Auch einem tränenblinden Papa mag kein Richter die Sprößlinge mit einem Gerichtsvollzieher zur Weihnachtsfeier ins Haus schicken - selbst wenn er ahnt, daß auch die Kinder ihren Vater schmerzlich vermissen. Denn wer will ausgerechnet einen Tag vor Heiligabend einen Krieg mit der störrischen Mutter anzetteln?

Unter den "Weihnachtsvätern" sind auch jene Männer mit traurigen Geschichten mutwillig zerstörter Vater-Kind-Beziehungen zu finden und all die Kämpfer, die nicht nur mit ihrem Einzelschicksal hadern, sondern in diversen Initiativen und Gruppen mit dem Los des Vaters an sich. Bundesweit, regional oder lokal haben sich einige zu Berufsbetroffenen entwickelt - zum Beispiel im "Väteraufbruch für Kinder", "Bündnis für Kinder", "Schuldig auf Verdacht" oder im "Bündnis für Kinder und Menschenrechte". Andere tauschen Nachrichten aus über die "PaPPa.com"-Väter im Internet.

In diesem Jahr legten die organisierten Väter zwölf Tage vor Heiligabend, am Tag der Menschenrechte, in 25 Städten der Republik vor den Türen der Gerichte Geschenke nieder - symbolische Gaben, aber auch echte, welche von der Justiz statt der Post bis Weihnachten an ihre Kinder befördert werden sollten.

Doch nur beim Oberlandesgericht in Hamburg versprach eine Richterin, die Pakete weiterzuleiten. Anderswo erlebten sie das, was ihnen nicht nur zur Weihnachtszeit, sondern zu jedem Geburtstag widerfährt: "Annahme verweigert." In einigen Gerichten ließen sich Familienrichter wenigstens auf Diskussionen ein, andere fürchteten um den freien Zugang zu den Amtsräumen und ließen sie draußen vor der Tür stehen mit dem Hinweis: "Wir sind doch kein Postamt."

Es waren nicht viele, die in Kälte und Regen ausharrten und "Schluß mit dem Umgangsboykott" forderten. "Väter verarbeiten ihre Trennungssituation meist ganz still", behauptet Christian Blümel vom "Väteraufbruch", einer Initiative, die nicht gerade leise als Lobby unverheirateter und geschiedener Väter auftritt.

Die Zahl der Väter, die den Kampf um die eigenen Kinder erst gar nicht führen oder schließlich resigniert aufgeben, ist nicht bekannt. Die Statistik gibt nur Auskunft über jene Prozesse, in denen sich die Eltern harte Gefechte liefern. 1996 wurden 175.550 Ehen geschieden, 148.782 Kinder waren davon betroffen. Im Vorgriff auf das neue Kindschaftsrecht, das im Juli 1998 in Kraft tritt, haben sich inzwischen 17 Prozent der Eltern auf das gemeinsame Sorgerecht eingelassen.

Neunzig Prozent der Alleinerziehenden sind Mütter, die in Einzelfällen ihr Recht mit Klauen und Zähnen verteidigen und den Vätern Kontakt mit den Kindern verweigern. Zum Beispiel, wenn die Väter ihre Pflichten vernachlässigen; wenn sie um jeden Pfennig beim Unterhalt feilschen und vergessen, ihn pünktlich zu zahlen, aber Heiligabend die glänzenden Kinderaugen nicht missen möchten. Oder wenn sie ihren früheren Partnerinnen nicht verständlich machen können, warum ihnen erst nach der Trennung bewußt geworden ist, wieviel ihnen die Kinder bedeuten.

 Todtraurig über den Verlust der Kinder

Aber es gibt auch wirklich traurige Fälle, in denen eine Frau unbarmherzig Rache nimmt - alle Jahre wieder zur Weihnachtszeit, weiß sie doch, daß sie ihn dann am härtesten treffen kann. "Weihnachten ist für diese Väter die letzte Hoffnung", sagt Siegfried Willutzki: "Sie trösten sich mit dem Gedanken, daß trotz aller Kämpfe die Ex-Frau an Weihnachten Frieden will." Peter S., 36 Jahre und selbständiger Handwerker, erzählt fast sachlich, wie er am Heiligabend 1996 aus Verzweiflung Selbstmord begehen wollte. "Du Arschloch, du Penner" habe ihn sein achtjähriger Sohn begrüßt, als er ihm im Treppenhaus seine Geschenke überreichte.

In der Tür zur Wohnung hätten seine frühere Frau und deren Freund gestanden und sich köstlich amüsiert. Peter S., ein Mann wie ein Baum und wahrscheinlich auch stark wie ein Bär, erzählt, wie er sich beherrschen mußte, nicht an seinem Sohn vorbeizustürmen und das Pärchen da oben zu verprügeln. Nach zwei Jahren Scheidung, zwei Jahren Demütigung und Hinhalte-Taktik und Erpressungsversuchen fühlte sich Peter S. am Ende. Er erzählt, wie er das Haus verlassen habe - das Gelächter seiner ehemaligen Frau noch im Ohr.

Er sagt, sich nicht mehr erinnern zu können, wie er ans Rheinufer gefahren sei und sich dem Fluß genähert habe. Er weiß nur noch, wie plötzlich ein großer Hund an ihm hochgesprungen sei, wie er das Kommando eines Mannes hörte: aus, aus, aus. "Ich war zu Tode erschrocken", sagt er, "das hat mir das Leben gerettet."

Am Heiligabend 1996 hat sich Peter S. entschlossen, den Kampf um seinen Sohn aufzugeben. "Wenn er später einmal mit mir reden will, werde ich mich freuen", sagt er, "aber ich werde mich nicht als Vater aufdrängen." Schon gar nicht zu Weihnachten.
 
 

Kölner Stadt-Anzeiger