Matthias Bloch
Avocat à la Cour, Paris



 
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An
Herrn Gerhard Schröder
Bundeskanzler
11012 Berlin
 
 

Berlin, den 1. August 2001

Offener Brief
 
 

Familie in der Krise bei Trennung und Scheidung
Hungerstreik am Alexanderplatz
 
 

Sehr geehrter Herr Bundeskanzler,

Ihre Zeilen in der Zeit vom 26. Juli 2001 habe ich mit Freude und Aufmerksamkeit gelesen.

Mit unbeirrbarer Sorgfalt achten Sie darauf, daß es keineswegs in jeder Beziehung angemessen ist, Marxismus und Nationalsozialismus gleichzusetzen und Sie unterstreichen, daß die Selbstbestimmung des Menschen, Konzept und Ideal des Freiheitsgedankens, in einem säkularen Staat nicht zwingend verbunden ist mit einem "Rekurs auf Gott"; daraus ergibt sich für die konkrete
 
 

Politik, nach Möglichkeit Fortschritte zu erzielen für eine demokratisch verfaßte Menschlichkeit.

Durch die Abänderung des Staatsangehörigkeitsrechts und die Einberufung der Zuwanderungskommission hat Ihre Regierung z. B. in der "Ausländerfrage" für ein mehr an Menschlichkeit und Rationalität gesorgt, sodaß im Ergebnis sogar ein Konsens über die Parteigrenzen hinaus sich abzeichnet.

Das Problem der "Ausländerfrage", so wie sie früher gehandhabt wurde, war ja nicht nur, wie ein bestimmtes Politikfeld zu regeln sei, sondern auch, daß der Blick eines großen Teils der deutschen Bevölkerung nicht den Grundsätzen umfassender Menschlichkeit entsprach.

In einem ähnlichen Zusammenhang sind bestimmte Defizite in der deutschen Geschichte, aber auch in der unserer Gegenwartssituation, als Defizite einer praktisch-politischen Kultur der Menschlichkeit zu sehen und zu begreifen.

Bedenkt man, und dies ist Anlaß meines Briefes, daß in der Bundesrepublik eine unverhältnismäßig hohe Zahl von Kindern nach einer Scheidung von einem Elternteil getrennt wird, - Prof. Jayme, Heidelberg, bezeichnet zu Recht Deutschland im Familienrecht als "das Schlußlicht in Europa" - so ist die Rechtssituation, die zu diesem Ergebnis führt, zu prüfen.

Im Grundsätzlichen gilt - wie in der Ausländerfrage: Auch beim Auseinanderbrechen einer Familie ist in der deutschen Öffentlichkeit zuallererst ein menschlicher Blick auf das Geschehen vonnöten.
 

Gerne wird gedacht, daß eine gescheiterte Familie am besten in eine "neue" zu verwandeln sei, indem der alleinerziehende Elternteil einen neuen Partner und das Kind am besten auch einen neuen Namen erhält. Eine solche "Lösung" überhaupt für gangbar zu halten, ist nur durch ein radikales Wegsehen und Nichtzurkenntnisnehmen der schweren Schäden möglich, die sich in der Person des Kindes und des ausgeschlossenen Elternteils ereignen. Die hochgradige Empfindlichkeit familiärer Bindungen ist so spezifisch, daß sie am ehesten mit einem Biotop verglichen wird: Man kann nicht Elternteile und Kinder wie Setzlinge verschieben, wie sehr dies auch einem äußeren Ordnungsdenken entgegen kommen mag.

Sehr geehrter Herr Bundeskanzler, die Hungerstreikenden vom Alexanderplatz, denen ich nahestehe und die mich baten, dieses Schreiben zu redigieren, wollen auf die verheerenden Folgen aufmerksam machen, die sich aus einer gewissen Laxheit der deutschen Rechtspraxis ergeben, den Fortbestand der Eltern-Kind-Beziehung nach einer Trennung grundrechtlich zu schützen, wie vom Verfassungsgericht vorgegeben ( grundlegend in FamRZ, 1982, S.1179-1184  ).

Das Ausmaß der vernichteten Familienbeziehungen ist inzwischen so erheblich,
daß es angezeigt erscheint, ein unabhängiges Gremium auch für dieses Problemfeld zu schaffen, damit ein neues und vertieftes Nachdenken befördert  wird.
 
 
 

Mit dem Ausdruck meiner Hochachtung
 

Matthias Bloch

Mitunterzeichner sind:

Francoise Dubord
Maurice Elfeke
Michael Hickman Hungerstreiker
Olivier Karrer
Bernd Uhl

sowie

Catherine Urban

Déléguée au Conseil Supérieur des Francais de l' Etranger
Stadtverordnete von Neu - Isenburg