Neues Deutschland 6./7. Jlui 2002

Das ungreifbare Grundrecht auf Mutter und Vater

Eltern kämpfen nach der Trennung einen hoffnungsvollen und chancenlosen Lampf um ihre Kinder
 


Der ungewisse Weg zum eigenen Kind (Michael Hickmann, Gerhard Hanenkamp, Ingo Alberti)

Von Uwe Kalbe

Für die Mitarbeiter im Berliner Familiengericht Tempelhof-Kreuzberg sind sie gewohnter und gelittener Anblick. Seit Jahren versammeln sie sich über Wochen zum erfolglosen Hungerstreik: Väter, denen der Umgang mit ihren Kindern verweigert wird. Eines haben sie bisher erreicht: öffentliche Aufmerksamkeit.

Zu mehr als einem gleichgültigen Seitenblick bewegen die Männer die Beamten gewöhnlich nicht, wenn diese, vorbei am »Weinregal«, einer überdimensionalen Skulptur aus Würfelverstrebungen, zur Arbeit in das Gebäude streben. In diesem Jahr haben die »Trennungsväter« die Offensive gewählt. Am Fuße der Ruine der Gedächtniskirche ist mehr Anteilnahme zu holen. Mitten im Touristentrubel spannen sie seit Anfang Juni täglich ihr Banner mit der Aufschrift »Väteraufbruch für Kinder«. Mitten hinein in den Trubel der Passanten - geschäftig Eilenden und Müßiggängern. In wechselnder Besetzung verkünden sie den Hungerstreik, weitab von ihren Kindern, die nichts von diesem Kampf ahnen.

Die aufmüpfigen Teile des Beziehungsmülls der letzten Jahre stauen sich hier zum Protest. Eine seltsam verbissene Ruhe wohnt den Männern inne, wenn sie Dienstreisende in Gespräche verwickeln, Touristen ihre Faltblätter in die Hand drücken. In Grüppchen stehen sie beieinander, suchen nach einem Echo der Vorübergehenden. Ab und an wird tatsächlich auch gehungert, und wenn Prominente wie der Schauspieler Matthieu Carrière unter den Protestierern sind, achten Journalisten penibel auf den Speiseplan.

Carriere, seit der Trennung unter der Ferne seiner sechsjährigen Tochter leidend, beklagt sich über 41 Besuchstage im letzten statt der 43 im vorletzten Jahr. Er fordert eine » Fifty-Fifty-Lösung« im Umgang mit dem Kind. Wenn erkönnte, würde er zum Zwilter und seine Kinder selbst gebären, sagte er in eine Kamera. Leidensgefährten haben schon mit vermeintlich praktikableren Lösungen kein Glück.

In Deutschland wird jede zweite Großstadtehe geschieden. Jede dritte Ehe insgesamt. In rund 70 Prozent der Fälle geht die Trennung von den Frauen aus. Wer sie vollzieht, hat den »ersten Zugriff« auf die Kinder. Von Entführung ist bei den Leuten vom »Väteraufbruch« die Rede. Rund 40 Prozent der betroffenen Kinder verlieren binnen eines Jahres den Kontakt zu einem Elternteil - meist dem Vater. Viele Väter ziehen vor Gericht, um das Sorgerecht oder wenigstens das Umgangsrecht zu erstreiten. Doch da haben sie schlechte Karten. In rund 75 Prozent der Sorgerechtsfälle entscheiden die Richter im Zweifel zu Gunsten der :Mütter.

Zwar regelt das Kindschaftsrecht seit dem 1. Juli 1998 eindeutig, dass dem Kind das Recht auf Umgang mit beiden Elternteilen zusteht, doch sieht die Wirklichkeit anders aus. Sobald ein Partner dem anderen die Kinder verweigert, ist es für diesen häufig nahezu aussichtslos, daran etwas zu ändern. Die Richter, auf die sich die Hoffnungen der Väter richten, verweisen auf die Rechtslage. Haben sie einen vollstreckbaren Beschluss gefällt, liegt es nicht mehr an ihnen, diesen durchzusetzen. Dafür müssten die Väter die Polizei oder den Gerichtsvollzieher bemühen.

Bis zum 14. Juli noch dauert die Aktion auf dem Berliner Breitscheidplatz, an der nicht nur deutsche Männer teilnehmen, sondern auch Polen, Ukrainer, Franzosen, Australier. Sie sind meist ihren Kindern nachgereist nach Deutschland, nachdem diese sie gemeinsam mit ihren Müttern verlassen haben. 800 Mal komme dies jährlich allein bei national gemischten Partnerschaften in Frankreich vor, sagt Ingo Alberti, Pressesprecher der Selbsthilfegruppe. Sobald die »Fliehenden« Deutschland erreichten, stünden sie unter dem Schutz der deutschen Justiz. Denn diese entscheide in aller Regel zu Gunsten des Deutschen - mithin wegen der Überzahl der Fälle zu Gunsten der Mutter.

Am 6. März hat Ingo Alberti das letzte Mal mit seiner achtjährigen Tochter telefoniert, dann war die Nummer geändert. Am 31. März hat er Mona zum letzten Mal gesehen. Sechs Karten schickte er an das Kind, er schrieb die Adresse der Schule darauf. Sie blieben trotzdem ohne Antwort. Vor dem Amtsgericht Kleve hat Alberti einen vorläufigen Umgangsbeschluss herbeigeführt, der ihm in ungeraden Kalenderwochen den Umgang gewährt, um weiteren Schaden für das Kind durch die Trennung abzuwenden, wie es in der Begründung heißt. Samstagmorgen soll die Übergabe beim Kinderschutzbund stattfinden, Sonntagabend die umgekehrte Prozedur. Trotzdem hat Alberti sein Kind drei Monate nicht gesehen. Die Mutter setzt sich über den Beschluss hinweg. Nach zwei, drei Stunden Wartezeit zog Alberti jedes Mal frustriert von dannen.

Von »Faustrecht« spricht Alberti. Drei Millionen Trennungskinder gibt es in Deutschland. Alle wurden ungewollt dazu. »Kinder lassen sich nicht scheiden«. Im komplizierten Geflecht von Partnerbeziehungen ist es schier unmöglich, ein gerechter Richter zu sein. Gerichte ziehen sich deshalb auf das »Kindeswohl« zurück. Ein »unbestimmter Rechtsbegriff«, urteilt Alberti, der außer Betroffener auch Rechtsanwalt ist. Darüber, was im Kindeswohl liegt, entscheiden nicht nur die Aussagen der Mütter, sondern auch überkommene Moralvorstellungen. Wie die, dass das Kind traditionell zur Mutter gehöre.

In einer erschreckend hohen Zahl von Prozessen, unbestätigte Angaben sprechen von 40 Prozent aller Fälle, behaupten die Frauen, die Väter hätten die Kinder sexuell missbraucht, nur in einem Bruchteil davon ergeben sich auch Anhaltspunkte. Hingegen ermittelten amerikanische Wissenschaftler, dass Gewalt gegen Kinder häufiger von Müttern als von Vätern ausgeht. Wem soll man glauben? Wie soll man etwa bewerten, dass der Staat allein im letzten Jahr mit 1, 5 Milliarden Mark einspringen musste, um den Unterhalt zu übernehmen, den unterhaltspflichtige Eltern - meist die Männer - ihren Kindern vorenthielten?

»Ganze Waggons von Klischees werden in Bewegung gesetzt, um von dem Anlass - der Rechtlosigkeit hungerstreikender Väter - wegzuführen«, schrieb der »Spiegel«-Autor Matthias Matussek vor Jahren und rief damit die Frauenbewegung auf den Plan. »Vielleicht«, so schrieb er ätzend und zwingend zugleich über die Verlacher(innen) der väterlichen Trennungsnöte, »müssten sie einmal traumatisiert werden durch den Verlust ihrer Kinder und durch die Demütigung, ihre Partner um Umgang mit diesen Kindern anzuflehen und ihnen für diese Gnade auch noch monatlich Geld zu überweisen«.

Häufig sind die Ideologen der waidwunden Trennungsväter zugleich glühende Verfechter der Rückkehr zur gesegneten traditionellen Ehe, beklagen zugleich das »Treibhaus Sozialstaat« und erwecken damit den begründeten Verdacht, zurückkehren zu wollen zum Recht des Stärkeren. Also des Mannes? Zugleich haben sie mit dem Schicksal der Trennungskinder schwer zu ignorierende Argumente zur Hand. Psychologen verweisen darauf, dass nahezu jedes Trennungskind psychosomatische Störungen aufweist, manche werden sie ihr Leben lang nicht los - oft ohne die Ursache zu kennen.

Doch auch dies im Internet-Forum (www.trennungskinder.de) gehört zur Realität: >>Ich bin ein heute 38-jähriges Scheidungskind und bis dato unendlich glücklich darüber, dass meine Mutter diesen Schritt getan hat. Ich >knabbere< nicht an der Scheidung, sondern an der Zeit, in der meine Eltern zusammen lebten.«

Michael Hickman lebt seit einiger Zeit in Bremerhaven. In der Nähe seiner Kinder. Dorthin ist seine Frau mit den beiden Söhnen geflohen. Der Südafrikaner hat seine Firma in Durban aufgelöst, sechs Mitarbeiter entlassen. Er lebt von Sozialhilfe, weil er hier nicht arbeiten darf. »Ich bleibe, bis das Problem gelöst ist«, sagt er freundlich, mit nervösem Zwinkern. Er will die Kinder besuchen dürfen, sie zwei-, dreimal jährlich zu sich holen. Er sieht sie jetzt, wenn er sich auf »seiner« Bank niederlässt. Die Freunde der beiden haben sich an seine Gesellschaft beim Spielen gewöhnt, John-Michael und Sebastian gesellen sich dazu. Kürzlich wurde der Gemeindepfarrer auf ihn aufmerksam und alarmierte die Mutter. Kurz darauf kam die Polizei, Worte wie Kinderschänder fielen.

Der Schreck seiner beiden Jungs ist Michael Hickman noch gegenwärtig. Später zerrte die Mutter John-Michael ins Auto. Der Vater weiß von dessen Lernproblemen, seiner Aggressivität. Kürzlich hat der 12-Jährige eine Lehrerin geschlagen. Wie Alberti rechnet Hickman das unter die psychischen Trennungsfolgen. »Ich sitze hier und kann nichts tun«, sagt er traurig. Und sanft fügt er hinzu, dass er nie Schlechtes über seine Frau sagen würde.

1600 Mitglieder zählt der 1989 gegründete »Väteraufbruch« an Mitgliedern. Sieben Prozent der Mitglieder seien übrigens Frauen, sagt Alberti. Noch sind die ohnmächtigen Zeiten vor dem Familiengericht nicht vorbei. Doch immerhin: Vor einigen Wochen hatte man ein Gespräch mit einem Abteilungsleiter im Bundesfamilienministerium, dem die persönlichen Schilderungen der Schicksale von 160 Mitgliedern übergeben wurden. Sechs Mal bereits hat der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte die Bundesrepublik wegen ihrer Rechtspraxis in Sachen Umgangsrecht kritisiert und zu fünfstelligen Schadensersatz-Zahlungen verurteilt.

Die Väter kämpfen. Auch jetzt. Alberti steht der Schweiß auf der Stirn. »Ich hoffe, es ist klar geworden, dass wir keine Spinner sind.« Ein 16-Jähriger, der seinen Vater sechs Jahre nicht gesehen hatte, habe zu ihm gesagt: » Er wird nie wieder mein Vater sein können. Nur mein Freund.« Alberti, bevor er sich einem Passanten zuwendet: »Ist es nicht gut, einen Freund zum Vater zu haben'?« Ein junger Bursche mit Wollmütze und Minirock-Blondine kommt mit der Grammatik des Satzes auf dem Plakat nicht klar: »Allen Kindern beide Eltern«. Als er verstanden hat, geht er zum Tisch mit den Unterschriftenlisten. Die Blonde folgt zögernd.