Hungerstreiks und Mahnwachen 1998 in Berlin

Am 15.09.98 begann ich mit Zmejko Adonoski, der damals seine Töchter fast 6 Jahre lang nur noch bei Gericht gesehen hatte, vor dem Familiengericht Tempelhof-Kreuzberg in Berlin einen, zunächst unbefristeten, Hungerstreik.

Dieser Hungerstreik hatte eine enorme, von uns vorher nicht geahnte publizistische Wirkung. Auch für uns beide, Zmejko und mich persönlich, hatte diese Aktion eine fast unerhoffte positive Auswirkung, bezogen auf unser Hauptziel: Regelmäßige Umgangskontakte mit unseren Kindern.

Der Anlaß und die Vorgeschichte dieser, sowohl persönlich wie auch politisch gemeinten Protestaktion, lagen zunächst in einigen Erlebnissen im Rahmen meines Kampfes um meine Kinder begründet. Etwa sechs Wochen zuvor hatte ich am Telefon von meiner Ex-Partnerin zu hören bekommen: "Du siehst die Kinder nicht mehr". Meine Gegenfrage: "Wie lange willst Du das durchziehen?" wurde dann mit dem Satz: "Solange es mir paßt!" und einem kräftigen Aufknallen des Telefonhörers beantwortet.

Noch nie hatte ich solche Gefühle von  Fassungslosigkeit, Wut und Ohnmacht gemischt und in abruptem Wechsel erlebt. Dies war die Spitze einer fast unendlichen Geschichte, die meine Gesundheit und beinahe meine materielle, psychische und sogar die physische Existenz, sprich meine Leben, vernichtet hätte.

Am schlimmsten war für mich die Vorstellung; meine Kinder Sarah und Fabian vor Augen, ihre Anhänglichkeit, ihr Vertrauen, ihre ausgestreckten Hände, die fragenden Augen und das Bewußtsein, ihnen nicht zur Seite stehen, nicht für sie da sein zu können, ohne daß sie verstehen konnten warum ihr Papa nicht mehr kam.

Das Jugendamt, welches ich versucht hatte einzuschalten, schob die Angelegenheit auf die lange Bank. Mir war klar, daß nur eine außergewöhnliche, spektakuläre Aktion  wieder Bewegung in die verfahrene Situation bringen konnte. Welche Chancen hatte ich denn sonst als nichtehelicher Vater im bundesdeutschen Familienrechtsgestrüpp? Außerdem wußte ich, daß die Aktion nur mit Hilfe von Medienöffentlichkeit ihre Wirkung entfalten würde.

In den Diskussionen mit Freunden und Leuten aus dem VAfK wurden mehrere Varianten überlegt und verworfen, es gab auch eine große Anzahl von Leuten, die gänzlich abrieten. Wir kamen dann von Konzepten, die im Umkreis der Wohnung der Mutter angesiedelt waren sehr schnell ab und einigten uns, nach Überprüfung mehrerer Vorschläge dann auf den Veranstaltungsort :Familiengericht.

Ausschlaggebend für diese Entscheidung waren politische aber auch örtliche Gegebenheiten. Wir nahmen an, daß der Ort mit hohem Symbolwert hinsichtlich unseres Anliegens behaftet, gewissermaßen für sich selbst spräche. Dann spielte der pragmatische Gedanke eine Rolle, dort genügend Betroffene, auch potentielle Vereinsmitglieder, ansprechen zu können.

1) Zuallererst braucht es natürlich die Akteure: Zwei oder drei sind besser als einer. Sie sollen zuverlässig und glaubwürdig sein, ihr Fall muß gut darstellbar sein, der Anlaß nachvollziehbar.

2) Dann braucht man unbedingt Unterstützer. Es muß ein Wochenplan erstellt werden, wann welche Unterstützer zugegen sind und welche Rolle sie gegebenenfalls spielen, welchen Beitrag sie leisten können. Beispiel :Flugblätter verteilen, Diskussionen führen, Interviews geben, Getränke herbeischaffen (bei einer durchgehend durchgeführten Mahnwache auch sonstige Lebensmittel) Die Organisation eines Handies ist von Vorteil, dessen Anwahl sollte auch in der Presseerklärung veröffentlicht werden.

3) Beim Hungerstreik ist es für die Glaubwürdigkeit der Aktion unbedingt erforderlich, daß die Hauptakteure rund um die Uhr vor Ort anwesend sind. Also muß eine je nach Örtlichkeit und Witterung angemessene Übernachtungsmöglichkeit bereit gestellt werden. Z.B. Schlafsäcke, Zelt, Campingwagen. An Klo und Waschgelegenheit muß ebenfalls gedacht werden. Hierbei muß überlegt werden, wo die tagsüber verwendeten Gegenstände nachts verstaut werden können.(Stelltafeln, Sitzgelegenheiten, Infomaterial etc.)

4) Presseerklärung, Flugblätter Infomaterial müssen organisiert werden. Die Presseerklärung am besten nicht nur faxen oder verschicken sondern bekannte Presse- und Medienleute persönlich verständigen.

5) Sitzgelegenheiten, Stelltafeln, ggf. Transparent, ev. Megaphon müssen besorgt werden.

6) Polizeiliche Anmeldung, Genehmigung des Hausrechtsinhabers bei Gebäuden, hierbei muß natürlich diplomatisch vorgegangen werden, keiner holt sich gern Ärger ins Haus.

7) Beim Hungerstreik sollte eine ärztliche Betreuung für den Notfall organisiert werden bzw. zum routinemäßigen Durchchecking. Es müssen vorher einige Szenarios in der Diskussion der Veranstalter durchgespielt werden um auf verschiedene Eventualitäten adäquat reagieren zu können (Überfall, gesundheitliche Probleme, polizeilicher Übergriff , hausrechtliche Konsequenzen).

8) Es soll auch die Dauer des Hungerstreiks klar sein, d.h. heißt nicht, daß ein geplantes Ende vorher bekannt gegeben werden muß. Bei einem unbefristeten HS sollten die Gründe für den Abbruch; Erfüllung von Forderungen, große Resonanz als Erfolgskriterium oder Auftreten eines bedenklichen Gesundheitszustandes, schon vorher klar sein.
Die Resonanz war geradezu atemberaubend. Gleich am ersten Tag wurden wir von den Medien beinahe überrollt. Zum Auftakt gab es einen ca. 20 min Filmbeitrag in Pro 7 der schon in der Vorbereitungsphase weitgehend abgedreht worden war. Es folgte der Berliner Lokalsender B1, in den Abendnachrichten wurde ich als hungerstreikender "Berliner des Tages" vorgestellt und überaus freundlich interviewt. Es folgten regionale und überregionale Zeitungen mit überwiegend positiven Berichten, selbst die sonst uns gegenüber eher skeptische "Taz" schloß sich an. Radiosender berichteten täglich. In einem Berliner Radiosender kamen wir täglich mehrmals mit einem Kurzbericht zur Situation vor Ort und unserem Gesundheitszustand.

Der Hit war allerdings der etwas später erschienene SPIEGEL- Titel zum Thema "Die vaterlose Gesellschaft" von Matthias Matussek. Er hat sicherlich die bundesdeutsche Diskussion erheblich belebt, in seiner Folge erschien eine Erwiderung im SPIEGEL von Sabine Karte, welche wiederum Anlaß für eine NDR -Talkrunde (Talk vor Mitternacht am 5.1.98) war. Dabei muß ja bedacht werden, daß der SPIEGEL von potentiellen Multiplikatoren (Lehrern, Rechtsanwälten, Sozialpädagogen kurz akademischem Mittelstand) gelesen wird. Später machte, wie weithin bekannt, Matussek aus dem Material zum Artikel und anderen Quellen, ein bei Rowohlt erschienenes Taschenbuch.

Für den VAfK brachte der Hungerstreik einen Schub an Mitgliedern. Wir haben danach unsere Mitgliederzahl fast verdreifacht. Das ging natürlich nur weil auch Leute da waren, die die Ratsuchenden auffingen, mit diesen Beratungen durchführten und sie z.T. auch zum Beitritt überredeten.

Für Zmejko und mich brachte der Hungerstreik, seine publizistisch durchschlagende Wirkung, die Sympathiewelle, die uns eine Weile trug, verbunden mit vermittelnden Gesprächen engagierter Frauen und Männer, endlich wieder Kontakt und Umgang  mit unseren Kindern- bei Zmejko nach sechs Jahren! Mir brachte dieser in  Gang gesetzte Prozeß einen Vertrag mit verbindlichen Regelungen - ein gutes Ergebnis für einen nichtehelichen und damit so gut wie rechtlosen Vater.

Diese überwältigende Resonanz war auch der Grund dafür, nach dem Ende des Hungerstreiks, den wir nach 7 Tagen am Weltkindertag abbrachen, vor dem Familiengericht noch mehrere Wochen eine Mahnwache durchzuführen solange die Begeisterung die notwendigen Kräfte mobilisierte.

Einen nochmaligen Hungerstreik veranstalteten wir, wiederum für eine Woche zu dritt im Mai 98.

Günter Gempp

Väteraufbruch für Kinder Berlin e.V.
 


zurück
www.vaeter-aktuell.de/presse1998