Zahlemann und Söhne
 
Wird ein Vater von Frau und Kindern verlassen, stehen ihm viele Vereine hilfreich zur Seite
von Bernd Fritz

FRANKFURT, 22. Mai. Väter, die es gut haben, nehmen am Vatertag Urlaub von der Familie und ziehen in kleinen Trupps ins Grüne. Die Verpflegung führen sie in einem Handwagen mit, manchmal ist es gar ein kleines Fuhrwerk mit einem Pony davor. Die Gattin hat ihnen ein Zehrpaket gepackt, als Ausgleich für den freiwilligen Abwasch am Muttertag. Für Getränke, vor allem solche, die die Sangeslust wecken, haben sie selbst gesorgt. Väter, die es nicht so gut haben, nehmen am "Kinderfest zum Vatertag" teil. Dort sind ein Kletterberg und eine Hüpfburg aufgebaut, ein Karussell, und manchmal wartet auch ein kleiner Zirkus auf sie und ihre Kinder. Wenn diese mitkommen, hatten die Väter Glück. Die Mütter haben dann einem Umgang außerhalb des festgesetzten Umgangsrechts zugestimmt. Hatten sie Pech, müssen sie alleine klettern und hüpfen.

 
Um sie kümmert sich der Verein "Väteraufbruch für Kinder" (VAfK), der alljährlich an Christi Himmelfahrt mit Kinderfesten in vielen deutschen Städten auf sich aufmerksam macht. Die Feste heißen "Papalapaps" oder "Papipalu" und stehen unter Schirmvaterschaften von Landtagsabgeordneten oder Stadträten mit Kindern. Die sogenannten Zahlväter, auch "Barunterhaltspflichtige" genannt, teilen sich in zwei Gruppen: solche mit Kindern aus geschiedenen Ehen und solche mit nichtehelichem Nachwuchs. Beiden gemeinsam ist, was ihnen fehlt: ihre Kinder. Diese leben bei den Müttern, die besitzen, was den Zahlvätern ebenfalls fehlt: das sogenannte Aufenthaltsbestimmungsrecht. Unterschieden sind die ehelichen Zahlväter von den nichtehelichen durch den Unterhalt, den sie neben den Kindern auch der Mutter zahlen. Dafür besitzen sie mit ihren geschiedenen Frauen das gemeinsame Sorgerecht. Das dritte wichtige Elternrecht, das Recht auf Umgang mit ihren Kindern, besitzen geschiedene wie ledige deutsche Väter gleichermaßen; letztere seit dem 1. Juli 1988.

Gute Gründe also für Väter wie für den "Väteraufbruch", auch einmal zwischen den Vatertagen zu feiern. Doch folgen auf die frohen Kinderfeste noch immer 52 saure Wochen, befindet sich die organisierte wie die nichtorganisierte Zahlvaterschaft auch im dritten Jahr nach der Kindschaftsrechtsreform in ständiger Gefechtsbereitschaft; ja, zu weiten Teilen im Kriegszustand. Die Gefechtslinien verlaufen durch alle Gesellschaftsschichten, und die verfeindeten Lager zählen nach Millionen. Die sogenannten "Alleinerziehenden", also die Inhaberinnen des Aufenthaltsbestimmungsrechts, bilden nach Angaben ihres Schutzbundes, des "Verbands alleinerziehender Mütter und Väter" (VAMV), ein Heer von annähernd zwei Millionen. Dem stehen naturgemäß ebenso viele Väter gegenüber, jedoch nicht ganz so viele Zahlväter. Rabenväter, die sich aus niedrigen Beweggründen ihrer Unterhaltspflicht entziehen oder das Kindesrecht auf Umgang mit dem Vater mißachten, vertritt der "Väteraufbruch" nicht, von gewalttätigen ganz zu schweigen.

Die Zahl der vertretungswürdigen Väter ist nur zu schätzen, da über den Umfang des Unterhaltsentzugs nach Informationen von VAfK und VAMV erst jetzt seriöse Untersuchungen in Deutschland beginnen. Jahrelang wurde den Vätern ein Schätzwert von einem bis zwei Dritteln Unterhaltssündern um die Ohren gehauen. Ebensowenig ist erfaßt, wie viele Alleinerziehende das alleinige elterliche Sorgerecht besitzen, noch gibt es Informationen über die Zahl der Rabenmütter, die den Umgang zwischen Vater und Kind verhindern.

Das Beratungsangebot der mehr als sechzig Ortsgruppen des 1989 gegründeten gemeinnützigen Vereins "Väteraufbruch" nehmen denn auch überwiegend von Umgangsboykott oder Kindesentziehung Betroffene wahr. Kommt der Vater abends nach Hause und findet die Wohnung leer - Frau, Kinder, Möbel: Aufenthalt unbekannt -, ist er nicht mehr allein in seiner Verzweiflung. Desgleichen, wenn man im Jugendamt mit den Schultern zuckt, weil die Mutter sich weigert, die Kinder herauszugeben.

Ein Jahr nach der Trennung verliert nach Erkenntnissen des VafK die Hälfte aller Väter den Kontakt zu ihren Kindern. Neben der Erstberatung durch Psychologen erhalten die "Scheidungssklaven" nicht nur Auskunft über vertrauenswürdige Rechtsanwälte, der Verein klärt auch über uneinsichtige Jugendämter und parteiische, inkompetente Gerichtsgutachter auf. Auf der Internetseite www.vafk.de weisen Auszüge aus Urteilen, politische Entscheidungen sowie Adressen von Fachleuten für alle Probleme Wege aus der Misere. Auf Veranstaltungen mit wissenschaftlichen Vorträgen über "Willen und Wohl des Kindes", "Das Drama der Vaterentbehrung" oder "Die Auswirkungen des neuen Kindschaftsrechts" bekommen sie Grund unter die Füße, am wöchentlichen Väterstammtisch können sie Dampf ablassen. Für Privilegierte, die ihre Kinder mehr als drei Tage im Jahr zu Gesicht bekommen, aber weit weg wohnen, gibt es eine Mitfahr- und Übernachtungsbörse. Gemeinsame Unternehmungen am Wochenende, mit oder ohne Kind, trösten und wecken neue Lebensfreude.

Auch Unternehmen nutzen die Erfahrung und Kompetenz der organisierten Väterschaft. Leistungsabfall durch Trennungskummer betrifft derzeit jeden vierten Mitarbeiter, vor allem auf den leitenden Ebenen. Die betriebs- und volkswirtschaftlichen Schäden der Rosenkriege finden bei den Wirtschaftsverbänden mehr Beachtung. Auch in die Familien-, Rechts- und Gesundheitspolitik wird der "Väteraufbruch" stärker eingebunden. Ein paar Mal haben schon Ministerien den Verein gebeten, Stellung zu Gesetzentwürfen zu nehmen. Ein Ortsverein ist als Träger der Freien Jugendhilfe anerkannt, ein anderer wird als Selbsthilfegruppe gefördert. So erhielt der Ortsverein Wiesbaden, einer der aktivsten im Land, vor kurzem 500 Mark von der Allgemeinen Ortskrankenkasse. Das ist neben dem jährlichen Obolus der Stadt Frankfurt zum "Papalapaps"-Vatertagsfest die einzige öffentliche Zuwendung seit der Gründung des Vereins.

Der Verein der Alleinerziehenden, gegründet 1967, hat fast zehnmal so viele Mitglieder, erfreut sich aber einer um das Tausendfache höheren Förderung; allein aus dem Bundesfamilienministerium flossen im vergangenen Jahr 360 000 Mark. Neben der öffentlichen Förderung genießt der VAMV, zu dem auch ein geringer Prozentsatz Männer zählt, das Privileg, bei allen relevanten Gesetzgebungsverfahren gehört zu werden; zuletzt bei der Rentenreform.

Doch die aufbrechenden Väter haben Verbündete. Neben einer ganzen Palette von Gruppen - "Väternotruf", "Child Peace", "paPPa.com", "Orbation" (lateinisch für Kindesdiebstahl), "Bürgerbund faire Scheidung", "Verein Dialog", "Interessenverband der Unterhaltspflichtigen", "Initiative der Jugendamtsgeschädigten", "Initiative der Großeltern von Trennung und Scheidung betroffener Kinder" - sieht der VAfK vor allem die Menschenrechte auf seiner Seite. Daß deren europäische Konvention das Recht auf ein Familienleben ohne Ansehen des Geschlechts enthält, hatte der Europäische Gerichtshof den Vertragsstaaten schon 1979 nahegebracht. Bis auch Deutschland dem entsprach und den Kindern das Menschenrecht auf Umgang mit dem leiblichen Vater zugestand, mußten sich die unehelichen Kinder bei uns fast zwanzig Jahre gedulden. Ein Jahr zuvor war den Vätern ehelicher Kinder gemeinsames Sorgerecht zugestanden worden.

Jedoch kann von "Child Peace" (Kinderfrieden) nach Angaben des VAfK in Deutschland noch immer nur im Namen des Vereins die Rede sein. Die Diskrepanz zwischen Gesetz und Wirklichkeit mache die Väter wütend. Zu weiten Teilen würden Jugendämter und Familiengerichte das neue Recht ignorieren oder die Gesetze im Zweifel gegen den Vater auslegen. Zudem sei die Dauer der Verfahren unmäßig lang. Anderthalb bis sechs Jahre lang finde dann nicht nur kein Umgang statt, die Mütter nutzten diese Zeit auch, um die Kinder den Vätern zu entfremden. Wenn eine Mutter den Umgang mit dem Vater nicht wünscht, gibt es in der Tat auch bei gegenteiliger richterlicher Anordnung keine Möglichkeit, sie zur Herausgabe der Kinder zu zwingen. Für den VAfK erfüllt dies den Straftatbestand der Kindesentziehung. Wie schnell bei diesem Delikt die Polizei erscheint, erfahren allerdings stets nur die Väter: wenn sie ihre Kinder eine Stunde zu spät zurückbringen. Immerhin wird von einigen Oberlandesgerichten inzwischen angedeutet, daß Mütter, die keine "Bindungstoleranz" aufbringen, mit der Aberkennung der "Erziehungsfähigkeit" und dem Entzug des Sorgerechts rechnen müssen.

Ob dieser Wandel den Respekt vor der europäischen Rechtsprechung ausdrückt oder einer keimenden Einsicht in die Bedeutung des väterlichen Elements für die Kindesentwicklung entspringt, steht für den "Väteraufbruch" dahin. Der Straßburger Gerichtshof verurteilte erst kürzlich die Bundesrepublik Deutschland dazu, einem Vater, der acht Jahre lang um den Umgang mit seinem Sohn gekämpft hatte, Schmerzensgeld zu zahlen, und hat in diesen Tagen die Beschwerde eines weiteren deutschen Vaters, der seine Kinder seit sechseinhalb Jahren nicht zu sehen bekommt, zur Entscheidung angenommen.

Die Entwicklung vaterloser oder ihrem Vater entfremdeter Kinder ist hierzulande noch kaum Gegenstand der Familienforschung. Die sogenannte Väterforschung steckt in den Kinderschuhen, den vom VAfK gezählten 98 Lehrstühlen für Frauenforschung steht kein einziger väterlicher gegenüber. Zahlen über das Schicksal alleinerzogener Kinder sind vorwiegend aus den Vereinigten Staaten bekannt: Schulabbrecher, Ausreißer, schwangere Jugendliche, Drogengefährdete, jugendliche Heim- und Gefängnisinsassen kommen danach zu siebzig bis neunzig Prozent aus vaterlosen Familien. Entsprechende Zahlen aus Deutschland liegen nicht vor. In den Statistiken über kindliche und jugendliche Tatverdächtige wird nach Auskunft des Bundeskriminalamts die Familiensituation nicht erfaßt - aus Rücksicht auf die Alleinerziehenden, die Inhaberinnen des Aufenthaltsbestimmungsrechts, mutmaßt der VAfK. Beim VAMV wird dies bestritten, doch gesteht man auch dort ein statistisches Defizit ein, welches zu beheben die Politik gefordert sei. Einige gerade angelaufene Väterforschungsprojekte im Bundesfamilienministerium verfolgt man mit Interesse. An dem noch jungen neuen Kindschaftsrecht aber läßt der VAMV wenig Gutes: Das gemeinsame Sorgerecht geschiedener Eltern als Regelfall möchte man wieder abgeschafft sehen, desgleichen den Umgang gegen den sogenannten "Kindeswillen", und unterhaltsflüchtige Väter sähe man am liebsten mit Fahrverboten belegt. Andererseits verlangen aufgebrachte Väter, daß Müttern, solange sie die Kinder nicht herausgeben, Parkkrallen an die Autos geheftet werden. Zudem fordern sie ein Väterministerium und die Abschaffung der anonymen Samenspende. In die Zukunft blickt der "Väteraufbruch" mit verhaltenem Optimismus. Bis Kindern, Müttern und Vätern aus gescheiterten Ehen und Beziehungen ein auskömmliches Mindestfamilienleben vergönnt sei, dürften noch dreißig Jahre ins Vaterland gehen. Gleichwohl wird dem VAfK die Zeit nicht lang werden. Pünktlich zum diesjährigen Muttertag hat der Bundesgerichtshof den ledigen Müttern den natürlichen Anspruch auf das alleinige Sorgerecht zugesprochen, und der abermalige Aufbruch der Väter nach Straßburg mit Zwischenaufenthalt in Karlsruhe steht an. Trennungswilligen Eltern soll eine gesetzliche Zwangsberatung verordnet werden, und die Steuergesetze will man möglichst bald um die Anerkennung der Umgangskosten ergänzen.

 
Frankfurter Allgemeine Zeitung, 23.05.2001, Nr. 119 / Seite 13
 



Leserbrief aus der F.A.Z., 21.06.01 Feuilleton

Erziehungsunfähige Elternteile

Zum Beitrag "Zahlemann und Söhne" (F.A.Z. vom 23. Mai): Der Elternteil, der die alleinige Sorge anstrebt und den anderen Elternteil vom Kontakt zum Kind ausgrenzt, mißbraucht das eigene Kind auf der emotionalen Ebene mit verheerenden Auswirkungen für die weitere Persönlichkeitsentwicklung dieses Kindes. Unter anderem führt diese Ausgrenzung auch zu schwersten seelischen Verletzungen beim ausgegrenzten Elternteil. Aus psychologischer Sicht gelten die ausgrenzenden Elternteile als erziehungsunfähig. Wenn dieses Verhalten von deutschen Familienrichtern, Gutachtern und Jugendamtsvertretern bislang idealisiert und oftmals mit Zuerkennung des alleinigen Sorgerechts honoriert wurde, hängt das aus psychotherapeutischer Sicht damit zusammen, daß zumeist auf dem Hintergrund des "Helfersyndroms" agierende Fachleute sich vorschnell mit dem Leid des ausgrenzenden Elternteils, das durch die vorliegende Trennung hervorgerufen wird und zugleich altes Leid aus der biographischen Geschichte reaktiviert, unbewußt identifizieren, sich in die vorliegende Beziehungsstörung als die "Retter" helfend einbringen und auf dem Hintergrund ihrer objektiven Macht im Beruf sowie ihrer eigenen narzißtischen Grandiosität jede Menge Unheil hervorbringen - in der Medizin vergleichbar grandiosen Gärtnern, die schwierige Bypass- Operationen durchführen, nur weil sie mit Gartenschere und -schlauch täglich umgehen.

Eine Veränderung in der Rechtspruchpraxis wird nicht durch Einsicht oder gar "Selbsterfahrung, Eigentherapie" der Fachleute zu erreichen sein, eher durch weitere Urteile des europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte, der damit begonnen hat, die von deutschen Familiengerichten ergangenen Ausgrenzungsurteile als Menschenrechtsverletzungen anzuprangern. Dank den vielen Väteraufbruchsgruppen und anderen Organisationen für die bisher geleistete Basisarbeit.

Hans-Joachim Rohrberg, Wetzlar