Nach der Trennung der Eltern:
Ein Plakat soll Kontakt zu der zehnjährigen Sandra in Bad Schwalbach schaffen


Wiesbadener Kurier vom 25.Mai 1998

BAD SCHWALBACH/WIESBADEN
Das Geborgensein hatte die kleine Sandra noch vor wenigen Jahren auf den Punkt gebracht: „ Papa, du bist ein Engel“. Die wohlbehütete Glückseligkeit endete jedoch, als sich ihre Eltern vor drei Jahren trennten. Sandra wurde, so sieht es der Vater heute, „zur Geisel im Geschlechterkampf“. In den vergangenen zwei Jahren habe er seine Tochter nur fünf mal sehen dürfen, jeweils für wenige Stunden. Mehr Besuche habe Sandras Mutter nicht gestattet, schildert Thorsten M. aus Wiesbaden. Vater und Tochter haben sich durch die dürftigen Kontakte mittlerweile entfremdet: das Wort Papa hat die Kleine aus ihrem Vokabular gestrichen. Und weil der 42 Jahre alte Verwaltungsangestellte fürchtet, seine Tochter an deren 10. Geburtstag nicht sehen zu dürfen, schritt er zur Tat. In Bad Schwalbach, wo Sandra lebt, mietete er eine Plakatwand. Auf die sprühte der Wiesbadener Graffiti-Künstler Yorkar großflächige Geburtstagsgrüße. Wenigstens auf ihrem Schulweg soll Sandra sehen, daß der Papa an sie denkt. Für Thorsten M. wurde der Kampf um seine Tochter ein Kampf gegen die Institutionen. „Ein desinteressierter Familienrichter in Wiesbaden und unfähige Jugendämter in Bad Schwalbach und Wiesbaden wollten Sandra nicht ihren Papa erhalten“. So hatte der Vater mit Hilfe der Justiz durchsetzen wollen, daß er das neue Jahr  mit seiner Tochter feiern kann. Den Antrag dazu habe er im November eingereicht. Entschieden sei darüber bis heute nicht. Dem neuen Kindschaftsrecht, das ab 1. Juli in Kraft greift, blickt der 42jährige, der sich im Verein „Väteraufbruch“ organisiert hat, mit Hoffen und Bangen entgegen. Einerseits fürchtet er, daß sich das angepeilte gemeinsame Sorgerecht für die Kinder als Mogelpackung erweist. Andererseits begrüßt er ausdrücklich, daß sein Recht auf Umgang mit seiner Tochter gestärkt wird: Denn wer die persönliche Übermittlung von Geburtstagsgrüßen verhindert, muß künftig damit rechnen, daß ihn der Richter das Sorgerecht entzieht. Grundsätzlich werte die Neureegelung  die Rolle der Väter auf. „Ich hoffe, daß dem auch die Richter in Wiesbaden folgen“, so Thorsten M.

Interview mit Johannes Ohr,
seit 15 Jahren Familienrichter am Amtsgericht.

 Oft sind die Kinder nicht nur die eigentlichen Opfer in vielen Scheidungskriegen. Sie werden auch zum Spielball in den Auseinandersetzungen ihrer Eltern vor Gericht. „Immer häufiger wird um das Umgangsrecht gestritten“,  so die Erfahrungen von Johannes Ohr, der seit 15 Jahren als Familienrichter arbeitet. Und; „Die Streitereien haben an Härte zugenommen“, meint der Jurist, der am Amtsgericht Wiesbaden das letzte Wort in vielen „Rosenkriegen“ hat. Jährlich spielt er in mehr als 300 Fällen Recht. Damit sei für die Familienrichter die Grenze der Belastbarkeit erreicht. Nicht mehr so häufig wie vor drei Jahren wird beim Streit ums Umgangsrecht mit sexuellem Mißbrauch argumentiert. Immer öfter aber wollen Väter vor Gericht durchpauken, daß sie nach der Scheidung für ihre Kinder dasein können. Ohr sieht darin nicht unbedingt eine positive Entwicklung. „Die Ehepaare hätten sich im Vorfeld des Gerichtstermins einigen können“. Auch habe die Regelung, wer das Kind wann sieht, „mit Juristerei wenig zu tun“. Mit einiger Skepsis beurteilt der Richter die Neuregelung des Kindschaftsrechts, die ab 1. Juli greift. Er sieht darin eher einen „Appell des Gesetzgebers an die Eltern: Versucht Euch zu einigen!“ Seine Befürchtung: Diejenigen Paare, die sich im Grabenkrieg festgefahren haben, werden sich auch weiterhin kaum darauf einigen können, daß sie gemeinsam für ihr Kind sorgen – was dann eigentlich die Regel sein soll. Die Ausnahme zu beantragen, das alleinige Sorgerecht also, sei „nur eine Zeile auf einem Formular“. Nach Hunderten von Scheidungsverfahren hat Ohr gelernt, daß manch einer im Sorgerecht ein probates Mittel sieht, dem anderen weh zu tun“. So zahlten die Männer zwar meist anstandslos den Unterhalt für die Kinder. Viele aber zierten sich, für den Unterhalt der Frau aufzukommen. Darauf reagierten einige Mütter, indem sie den Kindern den Kontakt mit ihrem Vater verweigern. Auch Richter Ohr hatte solche Fälle  zu beurteilen. Wer aber dem  ehemaligen Partner das Umgangsrecht verweigere, müsse mit Zwangsmitteln rechnen, beispielsweise mit Zwangsgeld. „Wenn das nicht funktioniert, machen wir einen Termin“ Wir versuchen dann klarzumachen, daß es für das Kind wichtig ist, mit beiden Eltern Kontakt zu haben.

Immer mehr Scheidungswaisen

 In 70 Prozent der Fälle haben Mütter Sorgerecht. Im Jahr 1996 beendeten in Wiesbaden 666 Paare vor Gericht, was eigentlich ein Leben währen sollte: ihre Ehe. Nach Angaben des Statistischen Landesamtes wurden in diesem Jahr 463 minderjährige Kinder zu Scheidungswaisen. Im Rheingau-Taunus-Kreis wurden im gleichen Jahr 392 Ehen geschieden, betroffen waren 312 minderjährige Kinder. Für den Main-Taunus-Kreis zählt die Statistik 446 geschiedene Ehen mit insgesamt 312 Kindern. Die Zahlen sind weiter steigend. So sind beim Amtsgericht Wiesbaden im ersten Quartal diesen Jahres zwischen fünf und zehn Prozent mehr Ehescheidungen beantragt worden als im vergleichbaren Vorjahreszeitraum. Nach dem alten Kindschaftsrecht, das noch bis zum 30.Juni gültig ist, erhielten 1997 in 70 Prozent aller Scheidungsfälle die Mütter das Sorgerecht für den Nachwuchs, in 15 Prozent der Fälle bekamen es die Väter. In weiteren 15 Prozent schließlich wird schon heute von beiden Elternteilen ein gemeinsames Sorgerecht für die Kinder ausgeübt.

Vom 1. Juli 1998 gilt neues Recht

Mit dem neuen Kindschaftsrecht, das am 1. Juli in Kraft tritt, wird die gemeinsame Sorge zum Regelfall. Dann müssen sich die Eltern auch nach einer Scheidung einigen, wenn entscheidende Weichen im Leben ihres Kindes gestellt werden müssen. Über Angelegenheiten des täglichen Lebens allerdings befindet der Elternteil, in dessen Haushalt das Kind lebt. Wer das Sorgerecht allein für sich beansprucht, muß eigens einen Antrag stellen.
Gestärkt wird der Anspruch auf Mutter und Vater. Wer dem ehemaligen Partner den Umgang mit dem Nachwuchs verwehrt, dem kann, leichter als bislang, das Sorgerecht entzogen werden.

 Tips zur Graffiti-Plakat-Aktion

Die Vermietergesellschaft ist durch einen kleinen Hinweis unten auf der Plakatwand ersichtlich.
Vermietet wird in der Regel in Blöcken von zehn Tagen. Der Vermieter bezeichnet diese Blöcke als Dekade. Eine Dekade kostet je nach Standort 13 bis 20 DM pro Tag zzgl. MWSt.

In diesem Preis ist die weiße Abdeckung durch ein ortsansässiges Unternehmen enthalten. Name und Anschrift des Unternehmens erfährt der Kunde mit der Auftragsbestätigung.

Nun sollte er sofort Kontakt mit diesem Betrieb aufnehmen, um zu erfahren, wann die weiße Anlegung der Plakatwand erfolgt. Gelingt es einem Vater - wie in meinem Fall geschehen - die Sympathie des Plakatierers für das Vorhaben zu wecken, so wird dieser möglicherweise aus Kulanzgründen die Wand einen Tag früher anlegen und erst einen Tag nach Mietende überkleben.

Sinnvolle Orte für die Aktion sind der Schulweg oder der Bereich um die Wohnung des Kindes. Es kann auch die unmittelbare Nähe zu einem Amts-/Oberlandesgericht gesucht werden.

Graffiti-Künstler findet man zumindest in den Großstädten vorrangig an Orten, die besprüht sind: ausgediente Schlachthöfe, Jugend-Kulturzentren, alte Fabrik- und Werkshallen sowie die Gegend um Bahnhöfe mit vielen alten Lokomotiv- und Waggonschuppen nebst Stellwerken sind ihre bevorzugtes Betätigungsgebiet.

An Kosten für den Graffiti-Sprayer entsteht der Preis für die Spraydosen. Benötigt werden etwa 10 - 20 Farbdosen zum Preis von 6 bis 10 DM pro Dose (oftmals haben die Sprayer mit einem Geschäft einen Rabatt ausgehandelt!) und das Honorar für den Künstler.

Letzteres ist Verhandlungssache. Nachdem ich eine Offerte über 500,-- DM ablehnen mußte, fand ich einen Super-Sprayer, der, selbst betroffenes Scheidungskind, bei seinem Vater aufgewachsen ist, die ganze Aktion mit großer Sympathie unterstützte. Dafür konnte er sich mit seiner Telefonnummer auf seinem Werk - zumindest für gut zehn Tage - verewigen. Außerdem konnte ich den Zeitungsredakteur zu einem Interview mit ihm bewegen.

Thema Zeitung: es sollte natürlich schon die ganze Zeit über eine gute Pressearbeit gemacht worden sein. Durch die Zeitung wiederum wurde das ZDF auf meine Tochter (und natürlich auch meinen Sohn) und mich aufmerksam und führte mit mir ein fast einstündiges Telefongespräch, in dem ich die Redakteurin über das neue Kindschaftsrecht informieren konnte. Eine Sendung, in der meine Kinder und ich auch vorkommen sollen, ist geplant. Mein Familienrichter meldete sich bereits einen Tag nach der Zeitungsveröffentlichung bei mir und fragte an, ob er noch über den beantragten Umgang für den Jahreswechsel 1997/98 entscheiden solle.

Überdies eignen sich solche Aktionen hervorragend um unser gesellschaftliches Anliegen publik zu machen und uns Sympathiepunkte in der Bevölkerung einzubringen. Natürlich stellt sie auch eine gute Möglichkeit der Mitgliederwerbung dar. Ich bin gerne bereit, Vätern weitere Auskünfte zu geben. Tel. 06 11 - 42 66 78.

Thorsten Mahler
 


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