Carsten Rummel
Zusammenfassung des Workshops
"Welche Hoffnung können
getrennte Familien in das vereinte Europa setzen ?"
am 12. Dezember 2003 in der Botschaft der
Republik Frankreich am Pariser Platz in Berlin
I. Gegenüberstellung der Rechtssysteme
im Hinblick auf die staatliche Regelung von Konflikten zwischen Eltern
in Bezug auf ihre Kinder.
a) Frankreich
Frankreich hat im Jahre 1998 ein Kindschaftsrecht
verabschiedet, das mit den Grundprinzipien der UN-Kinderrechtskonvention
übereinstimmt.
Wenn nach der Geburt beide Eltern ihre
Elternschaft gegenüber den Behörden anerkennen, werden sie beide
Inhaber des elterlichen Sorgerechts. Die Frage wie sie zueinander stehen,
ob sie eine feste Beziehung haben, ob sie zusammenleben und ob sie verheiratet
sind, spielt dabei keine Rolle.
Dieses Gesetz ist bei einem Teil der Bevölkerung
auf Widerstand gestoßen, aber im Laufe der Zeit in ganz Frankreich
akzeptiert worden und hat zur Durchsetzung des Bewusstseins beigetragen,
dass beide Eltern, gleich wie sie miteinander verbunden sind, beide für
ihre Kinder verantwortlich sind.
Die Richterin Madame Bohnert betont, dass
dieses Gesetz für den Richter die Arbeitsgrundlage darstellt und wesentlich
dazu beigetragen hat, ein neues Bewusstsein in Bezug auf die Verantwortung
von Eltern gegenüber ihren Kindern, insbesondere in nicht traditionellen
Familienformen entstehen zu lassen.
Im Konfliktfall kann der Richter Maßnahmen
zur Aufrechterhaltung von Eltern-Kind-Beziehungen ergreifen. Aufgabe des
Rechtes ist es, die Bindung des Kindes zu beiden Elternaufrecht zu erhalten.
Beziehungserhalt und -effizienz sind ein wesentliches Merkmal des französischen
Kindschaftsrechts.
Auf Eltern kann Druck, ja sogar Zwang ausgeübt
werden, um Konsens bzw. Versöhnung im Hinblick auf ihre Verantwortung
gegenüber den gemeinsamen Kindern herzustellen. So ist es möglich,
Eltern zu Beratung, Mediation oder Familientherapie zu zwingen. Von französischen
Teilnehmern wird hervorgehoben, dass die meisten Eltern im Laufe der Arbeit
die unterschiedlichen Formen der Problembewältigung dankbar angenommen
haben, auch dann, wenn ihre Mitwirkung zunächst unter Druck zustande
kam.
Die Gerichte arbeiten nicht mit speziellen
Jugendbehörden, die dem deutschen Jugendamt vergleichbar sind, zusammen.
Die französischen Teilnehmer äußerten ihre Verwunderung
über diese deutsche Praxis, die sie aus Erfahrungen französischer
Elternteile mit deutschen Jugendämtern für hinterfragungswürdig
hielten.
Sie haben wirkungsvollere Mittel, ihre
Entscheidungen durchzusetzen, nicht zuletzt deswegen, weil die Vorenthaltung
eines Kindes bzw. die Verhinderung des Umganges mit dem anderen Elternteil
gem. § 227 III des französischen Strafgesetzbuches mit Freiheitsentzug
bestraft werden kann.
Diese Strafvorschrift hat wesentlich dazu
beigetragen, dass sich in Frankreich ein Rechtsbewusstsein durchgesetzt
hat, das es als sittliches Unrecht wertet, den Umgang eines Kindes mit
einem Elternteil zu verhindern.
Dieser Umstand trägt wesentlich zur
Durchsetzbarkeit von Umgangsrechten bei.
Die Richter, die in Kindschafts- und sonstigen
Familiensachen zuständig sind, haben zeitgleich auch andere Rechtsgebiete
bei ihrer Arbeit abzudecken. Sie erhalten für die Arbeit in diesem
Rechtsgebiet keine besondere Ausbildung.
b) Deutschland
In Deutschland werden Kindschaftssachen
seit der Kindschaftsrechtsreform von 1998 ausschließlich vor dem
Familiengericht verhandelt. Den Familienrichtern wird an sogenannten Richterakademien
Fortbildung angeboten, es wird jedoch (noch) in ihr Belieben gestellt,
davon Gebrauch zu machen.
Mit dieser Reform wurde die systematische
Ungleichbehandlung von ehelichen und nichtehelichen Kindern im Familienrecht
abgeschafft. Das reformierte Familien bzw. Kindschaftsrecht kennt nur noch
Kinder.
Bei gerichtlich ausgetragenen Streitigkeiten
um Kinder ist in jedem Fall nur noch das Familiengericht zuständig,
gleichgültig ob es um die Rechte ehelicher oder nichtehelicher Kinder
geht. Bis dahin waren für die ehelichen Kinder die Familiengerichte
und für die nichtehelichen Kinder die Vormundschaftsgerichte zuständig.
Gem. § 49 a I Ziff. 7, 8 u. 9 FGG
hat das Familiengericht bei allen sorgerechtlichen Angelegenheiten im Zusammenhang
mit der Trennung der Eltern bei Umgangsstreitigkeiten und bei Kindeswohlgefährdungen
das Jugendamtan zu hören, wodurch die Zusammenarbeit mit diesem Amt
gesetzlich verankert ist.
Materiellrechtlich sind zwischen ehelichen
und nichtehelichen Kindern schwerwiegende Unterschiede geblieben:
Das Sorgerecht über eheliche Kinder
steht mit der Geburt den miteinander verheirateten Eltern gem. § 1626
BGB gemeinsam zu. Die Gemeinsamkeit des Sorgerechts von Eltern, die nicht
miteinander verheiratet sind, tritt gem. §1626 a BGB nur dann ein,
wenn beide Eltern übereinstimmend erklären, dass sie die Sorge
gemeinsam übernehmen wollen, oder wenn sie einander heiraten. Unterbleibt
diese Erklärung bzw. die Eheschließung, so hat die Mutter die
elterliche Sorge allein.
Die Sorgeberechtigung des Vaters des nichteheliches
Kindes ist daher nur möglich, wenn die Mutter es ihrerseits wünscht
1. Damit ist der Vater des außerhalb einer Ehe geborenen Kindes der
Willkür der Mutter ausgeliefert.
Hinsichtlich des Umganges sind die Eltern
nichtehelicher und ehelicher Kinder materiellrechtlich seit Inkrafttreten
der Kindschaftsrechtsreform am 1.07.1998 gleichberechtigt. Die Durchsetzung
des Umganges gegen den Willen des allein sorgeberechtigten Elternteils
ist jedoch für den anderen Elternteil außerordentlich schwierig,
Dies deshalb, weil dem umgangsverweigernden Elternteil nicht damit gedroht
werden kann, ihm im Fall der Fortführung der Umgangsverweigerung das
Sorgerecht zu entziehen, um es dem anderen Elternteil zu übertragen.
Dies hat unter anderem auf die Wirksamkeit der Vermittlung durch das Familiengericht
nach § 52 a FGG negative Auswirkungen, wenn es um nichteheliche Kinder
geht,
Die Durchsetzung von Umgangsbeschlüssen
ist nach der bisher üblichen Auslegung des § 33 FGG sehr schwierig,
häufig sogar erfolglos. Gegenüber dem Kind darf zur Durchsetzung
des Umgangs kein Zwang ausgeübt werden.
Wenn der betreuende Elternteil den Umgang
des Kindes mit dem anderen Elternteil verweigert, so kann ihm zur Durchsetzung
Zwangsgeld auferlegt werden. Dieses Zwangsmittel versagt jedoch bei Eltern,
die glaubhaft machen können, auf Sozialhilfeniveau zu leben. Gem.
§ 33 Abs. 1 Satz 3 FGG kann in diesen Fällen unabhängig
von Zwangsgeld auch Zwangshaft verhängt werden. Bis in jüngste
Zeit haben Gerichte dieses Zwangsmittel nicht einmal angedroht. Ob die
beiden Entscheidungen des OLG Frankfurt 2 am Main und Dresden 3, die die
Androhung der Zwangshaft aussprechen, an dieser Praxis der deutschen Gerichte
etwas ändern, ist noch ungewiss.
II. Die Folgen dieser Unterschiede
Diese Unterschiedlichkeit der Rechtssysteme,
aber auch der unterschiedlichen Kulturen, mit dem Recht umzugehen, birgt
die Gefahr, dass Kinder deren Eltern unterschiedlichen Nationen angehören
und sich trennen, den Kontakt zu einem Elternteil verlieren. Eine nicht
seltene Fallkonstellation: Binationale Paare, die zugleich Eltern eines
gemeinsamen Kindes sind, trennen sich. Ein Elternteil nimmt das gemeinsame
Kind ohne Einverständnis des anderen Elternteils und verschwindet
mit diesem in das eigene Herkunftsland.
In einer nicht unbeträchtichen Zahl
von Fällen hat das dazu geführt, dass die verlassenen Elternteile
gar keinen Umgang mehr mit ihren Kindern haben. Die Zahl der Fälle,
die auch offiziell als Entführung bezeichnet werden, ist relativ gering.
Mit Sicherheit ist jedoch davon auszugehen, dass es viele Fälle binationaler
Elternschaften gibt, bei denen ein Elternteil nach der Trennung des Paares,
den Kontakt zum eigenen Kind verliert 4.
Die Elternteile, deren Partner unter diesen
Umständen nach Deutschland - ihrem Herkunftsland - zurückgekehrt
sind, haben gerade auf Grund der für Deutschland konstatierten Schwierigkeiten,
den Umgang durch Zwang herzustellen, große Probleme, ihr Umgangsrecht
zu realisieren.
III Bemühungen um Abhilfe
a) auf der Ebene der Justizministerien
Frankreichs und Deutschlands
Den Berichten der beiden Vertreter der
Justizministerien Frankreichs und Deutschlands und der Mitglieder einer
in Rahmen dieser Zusammenarbeit eingesetzten Arbeitsgruppe war zu entnehmen,
dass große Anstrengungen unternommen worden sind, Abhilfe zu schaffen.
Zunächst ist vor cirka drei Jahren
eine interministerielle Arbeitsgruppe eingesetzt worden. Dabei musste man
zunächst feststellen, wie schwer es auf Grund der unterschiedlichen
Rechtssysteme wie auch der unterschiedlichen Kulturen ist, sich untereinander
zu verständigen, bzw. zu einer Lösung zu kommen. Angesichts der
Unabhängigkeit der Justiz ist leicht zu verstehen, dass es für
die Regierungen Frankreichs und Deutschlands schwierig war, auf konkrete
Probleme einzugehen, die bei Einzelfällen zu Tage traten.
Ein Ausweg wurde gefunden, in dem man eine
französisch-deutsche Arbeitsgruppe auf Ministeriumsebene einrichtete.
Diese Arbeitsgruppe engagierte ihrerseits Mediatoren, die versuchten, die
betroffenen Eltern zu einem einvernehmlichen Handeln gegenüber den
gemeinsamen Kindern zu bewegen.
In einigen Fällen wurde dieses Ziel
im Interesse der betroffenen Kinder erreicht.
In anderen Fällen scheiterten bisher
alle Bemühungen.
b) auf der gesamteuropäischen Ebene
Die französische Richterin Madame
Wagner, hob hervor, dass eine Situation in Europa bzw. in Frankreich und
Deutschland geschaffen werden muss, die es den Richtern beider Länder
möglich macht, auf die Entscheidungender Gerichte des jeweils anderen
Landes zu vertrauen. Die Verwirklichung dieses Wunsches ist insofern ein
Stück näher gerückt, als mit dem sogenannten Brüssel
II Vertrag vereinbart wurde, dass in Zukunft alle kindschaftsrechtlichen
Entscheidungen der zur EAU gehörenden Staaten in allen anderen Staaten
unmittelbar vollstreckbar sind, ohne das jeweils ein zeitraubendes Anerkennungsverfahren
absolviert werden muss.
All diese Bemühungen sind es wert,
ausdrücklich anerkannt zu werden.
c) im Bundestag
Mit besonderer Genugtuung wurden die von
großem Engagement zeugenden Darlegungen der beiden Kinderbeauftragten
des Bundestages, den Bundestagsabgeordneten Frau Eichhorn, CDU und Frau
Schwall-Düren, SPD aufgenommen; nicht zuletzt deshalb, weil sich daran
zeigte, dass im Bundestag über die Parteigrenzen hinweg große
Übereinstimmung in der Sache und ganz offenbar auch die Bereitschaft
zur Zusammenarbeit besteht.
Von beiden Bundestagsabgeordneten wurde
die Notwendigkeit anerkannt, die Kindschaftsrechtsreform nachzubessern.
Aus den Ausführungen beider Abgeordneter
ging hervor, dass man daran arbeitet, die Verfahrensdauer abzukürzen,
das Berufsbild des Verfahrenspflegers zu präzisieren und dass auch
Überlegungen angestellt werden, das sogenannte "Cochemer Modell",
bundesweit bekannt zu machen, bei dem alle Verfahrensbeteiligten von vornherein
an einem Tisch sitzen. Richter Rudolf aus Cochem konnte leider erst zum
Empfang anwesend sein und dort von seinen Erfahrungen berichten.
Vor allem ist man sich bewusst, dass die
Rechtssysteme Frankreichs und Deutschlands harmonisiert werden müssen.
Was früher oder später von allen europäischen Staaten zuleisten
sein wird.
Insbesondere von Seiten der deutschen Teilnehmer
des Expertengesprächs wurde auf Probleme hingewiesen, die dazu beitragen,
dass Kinder nach der Trennung ihrer Eltern den Bezug zu einem Elternteil
verlieren, nicht zuletzt dann, wenn ein Elternteil in einem anderen Staat
beheimatet ist.
III. Die spezifischen Bedenken der anwesenden
Experten, insbesondere der anwesenden Deutschen an dem System und der Praxis
des deutschen Kindschaftsrechts.
Zu Anfang des Treffens wurde gefordert,
den Begriff Kindeswohl einheitlich zu definieren. (nach deutschem Recht
muss sich jede kindschaftsrechtliche Entscheidung an der Vorschrift des
§ 1697 a BGB ausrichten.)
Im Laufe der Diskussion wurde sehr klar,
dass die Situationen, in denen dieser Begriff entscheidungsleitend sein
soll, derart unterschiedlich sind, dass es als unmöglich angesehen
werden muss, diesen inhaltlich für alle Situationen gleichermaßen
anwendbar zu definieren.
Die Diplom-Psychologin und Psychotherapeutin
Ursula Kodjoe schlug daher vor, in dem Problembereich, den sich die Konferenz
zum Gegenstand der Erörterung gemacht hat, die Wahrung des Kindeswohls
in erster Linie als die Aufgabe bzw. Pflicht der trennungs- und scheidungsbegleitenden
Professionen anzusehen, den Eltern jede Unterstützung dabei zu bieten,
die langfristig dazu führt, die Beziehungen des Kindes zu beiden Eltern
aufrecht zuerhalten. Dieser Vorschlag erfuhr große Zustimmung. Sie
wies darauf hin, dass das juristische Begriffskonstrukt "Kindeswohl" in
der psychologischen Fachterminologie nicht zu finden ist. Dem juristischen
Begriff wären die entwicklungspsychologische vielfach definierten
Begriffe kindlicher "Bedürfnisse und Interessen" gegenüberzustellen.
Von dem unterzeichnenden Protokollanten
wurde darauf hingewiesen, dass die Fachkräfte der Jugendhilfe, die
von der Familiengerichtsbarkeit gem. § 49 a FGG insbesondere bei Regelung
der elterlichen Sorge und der des Umgangs zur Stellungnahme aufgefordert
werden, für diese Aufgabe nicht ausreichend ausgebildet sind, um den
Familiengerichten eine tatsächlich an den Interessen des betroffenen
Kindes orientierte Hilfestellung zu geben.
Prof. Amendt wies darauf hin, dass in seiner
Studie deutlich wurde, dass gerade seitens der Väter eine große
Unzufriedenheit über die Jugendämter geäußert wird.
5
Rechtsanwalt Dr. Koeppel wies in diesem
Zusammenhang darauf hin, dass die fachliche Praxis in diesem Arbeitsbereich
von Jugendamt zu Jugendamt bzw. Mitarbeiter/in zu Mitarbeiter/in unterschiedlich
sei. Für die betroffenen Familien, die ihre Elternkonflikte im Hinblick
auf das Kind mit Hilfe des Rechts regeln wollen, gelte daher das Zufallsprinzip.
Was in dem einen Jugendamt in einer bestimmten Situation unter dem Begriff
Kindeswohl verstanden werde, sei nur selten mit dem identisch, was das
benachbarte Jugendamt darunter versteht. Das gelte übrigens auch für
das jeweils zuständige Familiengericht bzw. Familienrichter/in. Damit
seien die gerichtlichen Entscheidungen oft mehr vom Zufall der Zuständigkeit
und damit personenabhängig, als von den entwicklungsbedingten Bedürfnissen
des Kindes angesichts der gegebenen Konfliktsituation.
Von dem Vertreter des Bundesjustizministeriums,
dem Richter am Oberlandesgericht Herrn Carl wurde in diesem Zusammenhang
darauf hingewiesen, dass die seit der Jugendhilferechtsreform sehr betonte
Eigenständigkeit der Jugendhilfe gegenüber den Familiengerichten
zu erheblichen Schwierigkeiten bei der Durchführung des "begleiteten
Umgangs" führe. So komme es nicht selten vor, dass ein Familiengericht
Umgang in begleiteter Form anordnet, das zuständige Jugendamt aber
unter Hinweis darauf, dass es fachlich anderer Ansicht als das Familiengericht
sei, dessen Durchführung verweigert.
Damit entsteht faktisch neben den Familiengerichten
eine rechtsstaatlich nicht hinnehmbare weitere Entscheidungsinstanz. Ein
Umstand, der zu einer erheblichen Verletzung der Rechte der Umgangsberechtigten,
sowohl des Kindes als auch des ersuchenden Elternteils führt. Der
Ausweg, den Umgang vor dem Verwaltungsgericht einzuklagen, ist als wirkungslos
anzusehen, da er unter den Gesichtspunkten des kindlichen Zeitempfindens
unvertretbar lange dauert.
Kommt das Gericht zu der Ansicht, dass
die Kompetenzen des Jugendamtes für eine Entscheidungsfindung nicht
ausreichen, so kann es ein Sachverständigengutachten einholen. In
diesem Zusammenhang wies der Richter am Oberlandesgericht, Herr Schütz,
daraufhin, dass damit aber nicht gesichert sei, dass die gerichtliche Entscheidung
durch die Einholung eines Sachverständigengutachtens auf Erkenntnissen
beruhe, die mittels wissenschaftlich anerkannter Methoden gewonnen wurden.
Zum Gutachter bei Gericht kann in den meisten Bundesländern auch heute
noch jeder bestellt werden, der ein Studium der Psychologie bzw. der Sozialpädagogik
nachweist. Man braucht sich nur bei einer bei Gerichtausliegenden Liste
einzutragen, um sich als Sachverständiger anzubieten. Niemand prüft,
ob tatsächlich die notwendige Kompetenz vorliegt, um ein rechtspsychologisches
Sachverständigen-Gutachten zu erstellen, das wissenschaftlichen Standards
entspricht.
Aus dieser Perspektive machte der Vorschlag
von Herrn Prof. Amendt Sinn, Möglichkeiten zu schaffen, binationalen
Paaren, die gemeinsam Eltern sind, möglichst schon während ihrer
Trennungsphase bzw. bei Auftauchen der ersten Verständigungsschwierigkeiten
fachliche Hilfen anzubieten, damit es erst gar nicht zum Rechtsstreit kommt.
Mit der Zunahme der Zahl binationaler Elternbeziehungen müsse das
entsprechende Beratungsangebot und die entsprechende Öffentlichkeitsarbeit
verstärkt werden. Das wird aber nur dann fruchten, wenn die Aus- bzw.
Weiterbildung sowohl der Psychologen als auch der Sozialarbeiter auf diese
Probleme vorbereitet.
Von dem unterzeichnenden Protokollanten
wurde dazu geäußert, dass es noch wichtiger sei, jungen Menschen,
die zukünftig Eltern seien werden, das Wissen zu vermitteln, das sie
benötigen, um später, wenn sie als Eltern selbst mit der Trennung
der eigenen Partnerbeziehung konfrontiert sind, in der Lage zu sein, trotz
ihrer Partnerschaftskrise an den Interessen der davon betroffenen Kinder
orientiert handeln zu können.
Da es außer dem Recht in unserer
Gesellschaft nichts gibt, worauf sich alle Menschen im Konflikt gemeinsam
berufen, kommt dem Recht bei der Erzeugung eines entsprechenden sittlichen
Bewusstseins in der gesamten Bevölkerung eine Orientierung stiftende
Funktion zu. Das gleiche gilt für die Koordination der zunehmenden
Zahl von Helfern, die mit ein und demselben Einzelfall befasst sind.
Diese Funktion kann aber das deutsche Recht
im Gegensatz zum französischen auf Grund seiner Betonung des unbestimmten
Rechtsbegriffs "Kindeswohl" nur eingeschränkt erfüllen.
Wo Frankreich auf die Autorität des
Rechtes als Wahrer der Interessen des Kindes setze und damit zugleich auf
dessen gesellschaftliche Orientierungsfunktion, betone das deutsche System,
nicht zuletzt die Rechtspraxis den unbestimmten Rechtsbegriff "Kindeswohl"
mit der Folge, dass das Interpretationsprimat der "Experten" ein immer
größeres Gewicht zukomme. Dies führt aber angesichts der
oben beschriebenen Zufälligkeit, welche Einstellung das jeweils zuständige
Familiengericht, das Jugendamt und der bestellte Sachverständige vertreten,
zu einer großen Rechtsunsicherheit.
Diese Rechtsunsicherheit verhindert jedoch
ausgesprochen erfolgreich das Entstehen eines alle Mitbürger erreichenden
sittlichen Bewusstseins.
In diesem Zusammenhang verwies Prof. Dr.
Ebert aus Innsbruck daraufhin, dass der deutsche Begriff "Kindeswohl" schon
inhaltlich und sprachlich von der französischen wie auch englischen
verbindlichen Fassung der UN-Kinderrechtskonvention abweicht. In allen
anderen Sprachen beinhalten die korrespondierenden Übersetzungen das
Interesse des Kindes. So heißt es im englischen "the best interest
of the child", im französischen "l’intérêtde l’enfant"…….
Dem gegenüber ist der Begriff Kindeswohl
ein auf wohlfahrtsstaatliches Denken verweisendes Wort. In ihm klingt zugleich
an, dass das was für das Kind gut ist, etwas ist, was durch zuständige
Fachkräfte bzw. durch Experten, also durch Dritte und nicht so sehr
durch den eigenständigen Bezug der Betroffenen auf das Recht selbst
ermittelt wird. Da aber jede professionelle Bearbeitung privater Probleme
die Gefahr der Fremdbestimmung in sich birgt, hat dies zur Folge, dass
der Umgang mit diesem Begriff zu einem Einflusssachfremder, mit den Interessen
des betroffenen Kindes nicht übereinstimmender Faktoren führt.
Die folgenden, bei der Tagung insbesondere
von deutscher Seite angesprochenen Problemkomplexe machen dies fast schlaglichtartig
deutlich:
So sehr die Autoren der Kindschaftsrechtsreform,
die am 1.07.1998 in Kraft getreten ist, darum bemüht waren, das Recht
an den Entwicklungsinteressen des Kindes auszurichten, so sehr hat man
mit dem in § 1626 a BGB verankerten Mutterprimat bei nichtehelichen
Kindern diesen Pfad verlassen und mit Hilfe von verallgemeinernden Typisierungen
die Interessenlage der Mutter unter dem Vorwand der Streitvermeidung als
oberstem Gebot des Kindeswohls zum zentralen Gestaltungsprinzip gemacht.
Die italienische Rechtsanwältin Dr.
Paolo Nardini aus Venedig sagte hierzu, dass eine derartige Regelung in
Italien nicht möglich sei, da sie dem Gleichheitssatz der italienischen
Verfassung widerspreche. Dr. Koeppel betonte, dass diese Regelung auf unterschiedliche,
jedoch zu gleichem Ergebnis führende ideologische Einflüsse zurückzuführen
ist.
Das in der deutschen Rechtsprechung immer
noch dominierende Prinzip der Streitvermeidung 5, wie es vor allem in den
Urteilen des BGH 6, aber auch jüngst in der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts
7 wiederAnerkennung gefunden hat, geht jedoch an den Erkenntnissen der
Wissenschaft vorbei. Es unterstellt, dass es für die betroffenen Kinder
nach Trennung ihrer Eltern das aller wichtigste sei, zu klaren Verhältnissen
bzw. das Kind zur Ruhe kommen zu lassen.
Aus den Beiträgen der anwesenden Experten
ging hervor, dass damit Unterstellungen im Hinblick auf die Entwicklungsbedingungen
von Kindern und das Verhalten bzw. die Fähigkeiten von Eltern, die
sich trennen, gemacht werden, die aus Sicht der empirischen Forschung als
überholt angesehen werden müssen.
Von dem Leiter des schweizerischen Institutes
für Konfliktmanagement, dem psychologischen Psychotherapeuten Dr.
Allen Guggenbühl wurde hervorgehoben, dass man auch heute noch in
Helferkreisen vielfach der Auffassung sei, ein Kind benötige nach
Trennung seiner Eltern unbedingt eindeutige Zuordnung, damit es zur Ruhe
kommen könne.
Die wissenschaftliche Beobachtung habe
demgegenüber ergeben, dass dies in den Kindern eine äußere
Scheinruhe erzeuge. Vielmehr habe sich herausgestellt, dass Kinder, die
zwischen den Eltern wechseln und dabei auch Erwartungsunsicherheiten in
Kauf nehmen müssen, an diesen Problemen als Persönlichkeiten
gereift seien und wahre Entwicklungsschübe vollzogen haben. Dies sei
dadurch zu erklären, dass sie die Bewältigung der Probleme mitgestalten
konnten und dadurch ganz offensichtlich differenzierte Kompetenzen im Umgang
mit Menschen erworben haben.
Herr Prof. Proksch, der vom Bundesministerium
der Justiz beauftragt worden war, eine wissenschaftliche Studie über
die Auswirkungen der Kindschaftsrechtsreform auf die Entwicklungsbedingungen
von Kindern zu erstellen, berichtete, dass diese eindeutig ergeben habe,
dass die einseitige Zuordnung der Sorge zu einem Elternteil langfristig
sehr vielmehr Unruhe und Streit um das Kind und für das Kind mit sich
bringt als die gemeinsame Sorge. Im Fall der gemeinsamen Sorge seien die
getrennten Eltern viel eher bereit, gegenseitig Rücksicht zu nehmen
und auf Veränderungen im Leben des Ex-Partners entsprechende Änderungen
bei der Ausgestaltung des Umganges vorzunehmen, die den Interessen des
Kindes dienten.
Dem entsprechen auch die Erkenntnisse,
die Prof. Amendt in seiner Studie gewonnen hat. Danach entwickelten sich
die Kinder, bei denen der Vater nach der Trennung mit in der Verantwortung
blieb, signifikant besser als die Kinder, deren Vater das Sorgerecht nicht
mehr hatte.
Die Studie von Prof. Proksch zeigte überdies,
dass in den Fällen, in denen die Sorge einseitig einem Elternteil
zugeordnet worden war, zwei Jahre nach der Trennung 50 % der Kinder den
Kontakt zu einem Elternteil vollkommen verloren hatten.
Damit kann man davon ausgehen, dass in
Deutschland viele hunderttausend, wenn nicht sogar Millionen Kinder die
Beziehung zu einem Elternteil, insbesondere zu ihrem Vater durch die Trennung
ihrer Eltern verloren haben oder gar nicht erst entwickeln konnten.
Die Soziologin Dr. Anneke Napp-Peters berichtete,
dass die Ergebnisse der von ihr in Deutschland erstmalig durchgeführten
Langzeitstudie inzwischen von Prof. Schmidt-Denter von der Universität
Köln in ihren Grundaussagen bestätigt worden sind. Es habe sich
eindeutig gezeigt, dass diejenigen Personen, die in ihrer Kindheit durch
die Trennung bzw. Scheidung einen Elternteil verloren hatten, dieses Ereignis
signifikant häufig nur sehr unzureichend verarbeiten konnten und dadurch
erhebliche Persönlichkeitsdefizite erlitten, die sie noch als Erwachsene
belasteten. Ganz im Gegensatz zu denjenigen, die nach der Trennung ihrer
Eltern zu beiden Kontakt aufrecht erhalten konnten, und überwiegend
die trennungsbedingten Belastungen zwei Jahre nach der Trennung bzw. Scheidung
verarbeitet hatten.
Aus beiden Erkenntnissträngen wird
deutlich, dass die nach Eindeutigkeit und vordergründiger Ruhe rufende
wohlfahrtsstaatliche Regulierungsneigung, die der in Deutschland leider
noch immer gängigen Interpretation des Kindeswohlbegriffs entspricht,
mit den Interessen und Entwicklungsbedürfnissen von Kindern und Jugendlichen
nur wenig zu tun hat 8.
Auch dies spricht dafür, dass der
Begriff "Kindeswohl" einen Begriff ersetzt werden sollte, der von den Interessen
des Kindes ausgeht.
Frau Richterin Bohnert forderte, dass das
Recht die Eltern durch entsprechenden Druck zwingen müsse, sich in
Bezug auf ihre Verantwortung gegenüber dem Kind zu einigen. Das Recht
habe die Eltern zu zwingen und sie zu befähigen, ihre elterliche Verantwortung
gemeinsam wahrzunehmen,
Demgegenüber wurde jedoch darauf hingewiesen,
dass dies in Deutschland zwar von einigen Gerichten versucht worden sei,
die obergerichtliche Rechtsprechung habe dies jedoch immer wieder als mit
der Verfassung nicht vereinbar bezeichnet und entsprechende Entscheidungen
aufgehoben 9.
IV. Abschließende Forderungen
Obwohl das Expertengespräch aus Zeitgründen
nicht mit einem ausdrücklichen Forderungskatalog beendet wurde, kann
gesagt werden, dass die Mehrheit der Experten zum Ausdruck brachte,
dass das Kindschaftsrecht die Menschenrechte
der Kinder zum Ausgangspunkt und Gestaltungsprinzip von Eltern-Kind-Verhältnissen
erheben müsse und nicht, wie es z.B. § 1626 a BGB zeigt, die
von den Eltern gelebte und gewählte äußere Form ihrer Beziehung
zueinander.
dass insbesondere von den deutschen Teilnehmern,
allen voran von Herrn Dr. Koeppel darüber hinaus gefordert wurde,
dass Deutschland seine Vorbehalte zur UN-Kinderrechtekonvention unverzüglich
widerrufen müsse, nicht zuletzt deshalb weil sie einen unmittelbaren
Verstoß gegen die mit Unterzeichnung der UN-Kinderrechtekonvention
eingegangenen Verpflichtungen darstellen;
dass im übrigen zu wünschen sei,
dass das deutsche Kindschaftsrecht in den Punkten dem französischen
angeglichen werde, welche der UN-Kinderrechtekonvention entsprechen.
V. Danksagung
Abschließend sprachen die Teilnehmer
dem Botschafter der Republik Frankreich einhellig ihren tiefen Dank dafür
aus, dass er dieses Expertengespräch ermöglicht und in hervorragender
Weise kompetent geleitet hat.
Auch Mathieu Carriere, der sowohl für
das Zustandekommen als auch für das tatsächliche und fachliche
Gelingen dieser Zusammenkunft einen großen Einsatz erbracht hat,
wurde der Dank der Teilnehmer ausgedrückt.
Die unterschiedlichen Rechtsauffassungen
traten auch bei diesem Austausch deutlich zutage, sie erschienen dennoch
nicht unüberwindlich. Ganz im Gegenteil erweiterte die Diskussion
die Wahrnehmung der eigenen Position um die Wahrnehmung der "Anderen",
wie sich in den intensiven Gruppengesprächen anlässlich des abendlichen
Empfangs in der Botschaft zeigte.
Die Überwindung nationalstaatlicher
Rechtspositionen könnte ihren Niederschlag finden im Konsens darüber,
vorrangig die existentiellen Interessen europäischer Kinder zu wahren,
die nicht national sondern universal sind.
Gerade die Kinder aus binationalen Partnerschaften
und die Beziehungen ihrer Eltern stellen für das Zusammenwachsen Europas
einen unschätzbaren Wert dar.
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Dieser Bericht wurde erstellt von RA Carsten Rummel, München
in Zusammenarbeit mit Mathieu Carriere
Dr. Peter Koeppel München
Dipl. Psychologin Ursula Kodjoe, Emmendingen
Kinderrechte als global-völkerrechtlich
bindende Grundlage aller Menschenrechte
Ausgehend von der Allgemeinen Erklärung
der Menschenrechte (Universal Declaration of Human Rights) vom 10. Dezember
1948 und dem darauf beruhenden Internationalen Pakt über Bürgerliche
und Politische Rechte (International Covenant on Civil and Political Rights)
vom 16. Dezember 1966 haben die Vereinten Nationen am 20. November 1989
das spezielle Übereinkommen über die Rechte des Kindes (Convention
on the Rights of the Child) verabschiedet, mit welchem die Menschenrechte
der besonders schutzbedürftigen Minderjährigen unter 18 Jahren
"erstmals in der Geschichte des Völkerrechts ... umfassend in einem
internationalen Vertragswerk mit weltweitem Geltungsanspruch" 1 kodifiziert
worden sind.
Die herausragende Bedeutung dieser Konvention
im Rahmen des aktuellen globalen Völkervertragsrechts wird allein
schon aus dem statistischen Faktum ersichtlich, daß sie heute mit
Ausnahme der USA und Somalias von allen Staaten der Welt ratifiziert worden
ist. Dies stellt einen in der Geschichte völkerrechtlich paktierter
Menschenrechtsnormen einzigartigen Rekord dar, welcher nach den Worten
von UN-Generalsekretär Kofi Annan diese Regelungsmaterie nicht mehr
als "Akt der Nächstenliebe" ausweist, sondern als "eine verbindliche
Schuld" jedes einzelnen Vertragsstaates dieses Übereinkommens. Demzufolge
liegt es nunmehr "an den Erwachsenen, die Rechte der Kinder zu verteidigen
und sich dabei der schrecklichen Kosten bewußt zu sein, welche die
Gesellschaft in ihrer Gesamtheit zu zahlen haben wird, sollte sie deren
Einhaltung unterlassen". 2
Um diesen globalen Schutzmechanismus effizienter
gestalten zu können, haben die Vereinten Nationen am 4. Oktober 2002
einen "General Comment" verabschiedet, welcher der "Rolle unabhängiger
nationaler Menschenrechtseinrichtungen zum Schutze und zur Förderung
der Rechte des Kindes" gewidmet ist und laut authentischer Interpretation
des Kinderrechtekomitees der UNO in den Rahmen der Verpflichtungen gemäß
Art.4 der Kinderrechtekonvention (KRK) fällt. Dieser von den Vereinten
Nationen jüngst urgierten Einrichtung wird namentlich von Unions-europäischer
Seite besonderes Augenmerk zugewendet werden müssen, und dies nicht
nur im Hinblick auf die in diesem Dokument ausdrücklich geforderte
regionale und internationale Zusammenarbeit dieser Institutionen, sondern
vor allem auch unter dem Blickwinkel des in Art. 6 Abs. 1 des EU-Vertrags
verankerten Grundsatzes der Achtung der Menschenrechte und Grundfreiheiten
als gemeinsamer Grundwerte der Union. Leiderscheinen solche Einrichtungen
zur Zeit auch in Deutschland und Frankreich noch nicht zu existieren, wie
eine diesbezügliche konkrete Anfrage an die am 12. Dezember 2003 in
der Französischen Botschaft in Berlin anwesenden Experten beider Staaten
ergeben hat.
Daß es mit den grundlegenden Menschenrechten
der Kinder auch in der Rechtswirklichkeit der vielfach zu den reichsten
Regionen der Erde zählenden derzeit 15 Mitgliedsstaaten der Europäischen
Union keineswegs überall zum Besten bestellt ist, hat eine vor drei
Jahren veröffentlichte detaillierte Faktenanalyse anhand jüngster
UNO-Dokumente erwiesen. 3 Demzufolge werden auch in Europa immer mehr Kinder
unverschuldet vor allem zu Opfern ihres elementaren Menschenrechts, "regelmäßige
persönliche Beziehungen und unmittelbare Kontakte zu beiden Elternteilen
zupflegen" (Art. 9 Abs. 3 KRK).
Neuerdings häufen sich sogar entgegen
jüngster Straßburger Richtungsentscheidungen gegenüber
der Bundesrepublik Deutschland Fälle behördlicher Radikaleingriffe
in diesen familiären Kernbereich mit Kontaktabbruch gegenüber
beiden Eltern, 4 was für die davon betroffenen Kinder in der Regel
eine wahre Kettenreaktion von Grundrechteverletzungen unter dem Blickwinkel
der UNO-Konvention auslöst. Dies betrifft im einzelnen nicht nur das
Recht des Kindes auf angemessene Leitung und Führung durch beide Eltern
(Art. 5, 18 KRK), sein Recht auf Betreuung durch beide Eltern (Art. 7 KRK),
sein Recht auf Wahrung seiner Identität und seiner gesetzlich anerkannten
Familienbeziehungen (Art. 8 KRK), sein Recht auf Schutz vor willkürlichen
oder rechtswidrigen Eingriffen in sein Familienleben (Art. 16 KRK), sein
Recht auf Schutz auch vor "geistiger Gewaltanwendung" (Art. 19 KRK) oder
sein Recht auf eine Erziehung im Geiste der Achtung vor den Menschenrechten
und namentlich "vor seinen Eltern" (Art. 29 KRK) 5, sondern ganz allgemein
auch das im Art. 3 KRK verankerte Kardinalprinzip der "besten Gewährleistung
der Interessen des Kindes" in längerfristiger Entwicklungsperspektive.
Es erscheint in diesem Zusammenhang geradezu symptomatisch für das
namentlich auf diesem Gebiete mangelnde menschenrechtliche Problembewußtsein
im Herzen Europas, wenn das soeben zitierte, in der französischen
Textfassung mit "l’intérêt supérieur de l’enfant" umschriebene
Grundprinzip der Kinderrechtekonvention in amtlichen deutschen Textfassungen
auf den historisch-traditionellen und leider vielfach bereits längst
zur bloßen Worthülse verkümmerten Begriff "Kindeswohl"
reduziert wurde. 6
Zu dieser den Wesenskern global-kinderrechtlicher
Schutznormen verkennenden Fehlinterpretation treten oft noch schwerwiegende
prozedurale Defizite hinzu, welche einen effektiven Schutz von Kindesrechten
ad absurdum zu führen geeignet sind. Dies betrifft namentlich die
gewissenhafte Wahrnehmung des Fürsorgeprinzips mit der Verpflichtung
zum amtswegigen Vorgehen in ernsteren Fällen, die möglichst rechtzeitig
anzustrebende Vorbeugung oder Lösung von Konflikten um das Kind mittels
Mediation und die vor allem im frühen Kindesalter meist schicksalshafte
Frage der Verfahrensdauer und der raschen Durchsetzung gerichtlicher Entscheidungen.
In diesem Zusammenhang ist konkret auf das bereits am 25. 1.1996 in Straßburg
abgeschlossene Europäische Übereinkommen über die Ausübung
von Kinderrechten 7 hinzuweisen und dessen Ratifizierung und Implementierung
durch alle gegenwärtigen und künftigen Mitgliedsstaaten der Europäischen
Union mit Nachdruck zu fordern.
Die fundamentale Bedeutung, welche die
Organisation der Vereinten Nationen der Erziehung des Menschen generell
beimißt, wurde neuerdings durch die Tatsache unterstrichen, daß
der am 17. April 2001 beschlossene "General Comment No. 1" der UNO zur
Kinderrechtekonvention die authentische Auslegung des Art. 29 dieses Instruments
zum Gegenstand hat und sonach den offiziellen Titel "The Aims of Education"
trägt. 8 Hier wird in 28 Positionsnummern zusammengefaßt u.a.
in aller Klarheit zum Ausdruck gebracht, daß die Erziehung primär
"innerhalb der Familie" stattzufinden hat (P. 13 u. 15) und gemäß
den in Art. 29 KRK verankerten Werten dem Kind "das individuelle und subjektive
Recht auf eine spezifische Qualität der Erziehung" gibt (P. 9). Dazu
gehört namentlich auch "die Wichtigkeit der Achtung gegenüber
den Eltern" (P. 7) und "die Erfahrung der Menschenrechte durch die eigene
Wahrnehmung ihrer tatsächlichen Umsetzung im täglichen Leben,
sei es zuhause, in der Schule oder innerhalb der Gesellschaft" (P. 15).
Wie nicht zuletzt auch wiederholte Umfragen unter Studierenden rechtswissenschaftlicher
Fakultäten in Europa ergeben haben, ist die nunmehr in das letzte
Jahr eingetretene UN-Dekade der Menschenrechtserziehung auf unserem Kontinent
anscheinend weitgehend unbeachtet geblieben. 9 Zweck dieser um die Jahrtausendwende
plazierten globalen Initiative ist es, mittels Unterricht, Schulung und
Öffentlichkeitsarbeit jenen lebenslangen Lernprozeß zu initiieren,
welcher für den erfolgreichen Aufbau einer "allgemeinen Menschenrechtskultur"
unerläßlich ist. Hier sollte Europa, welches schon vor über
einem halben Jahrhundert mit der in der Europäischen Menschenrechtskonvention
vorgesehenen Einrichtung eines vielbeachteten gerichtlichen Verfahrens
in Straßburg einen Meilenstein für die Förderung zumindest
einiger grundlegender Menschenrechte in der Staatengemeinschaft des Europarats
gesetzt hat, im Zeitalter der Globalisierung erneut die "einmalige Chance
(wahrnehmen), der Weltgemeinschaft als geistige Führung zu dienen".
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