Konservative im Europa-Parlament
wollen Vorschläge der Grünen zu Fall bringen
(Süddeutsche Zeitung
vom 8.4.1997)
In dieser Woche wollen die Abgeordneten des Europäischen Parlaments über den neuen Jahresbericht über die Achtung der Menschenrechte in der EU diskutieren. Eine Sternstunde in der Geschichte des Straßburger Hauses ist gewiß nicht zu erwarten. Denn wie schon in den vergangenen Jahren werden sich die Parlamentarier darüber streiten, was unter Menschenrechten zu verstehen ist. Das Ziel des Berichts, Mißstände bei der Sicherung von Grundfreiheiten aufzudecken und damit auch für Abhilfe zu sorgen, wird wohl in den Hintergrund gedrängt.
Diesmal ist die deutsche Grünen-Abgeordnete Claudia Roth Berichterstatterin. Sie hat sich in dem 40 Seiten langen Dokument intensiv bemüht, eine allgemeine Definition für den Begriff der Menschenrechte zu finden und beruft sich dabei auf die UNO-Präambel. Roth fordert nicht nur die klassischen Bürgerrechte ein wie Freiheit, Gleichheit und Mitbestimmung, sondern auch so ziale Rechte und das Recht auf eine gesunde Umwelt. "Die EU sollte einen Grundrechtekatalog erarbeiten. Das Fehlen eines solchen Instruments ist eine erhebliche Lücke im europäischen System zum Schutz der Menschenrechte", so die Grünen-Politikerin.
Im Bericht, der sich auf das Jahr 1995 bezieht, werden viele Menschenrechtsverletzungen aufgelistet. Diese reichen von schlechten Haftbedingungen in britischen Gefängnissen über ausländerfeindliche Attacken in Deutschland bis hin zu Einschränkungen des Asylrechts in vielen EU -Ländern. Der von Roth vorgeschlagene Menschenrechtsbegriff stößt allerdings auf Widerstand der christdemokatischen EVP-Fraktion. Die Abgeordneten stören sich daran, daß der Bericht beispielsweise auch Armut und Arbeitslosigkeit als Mißachtung grundlegender Rechte brandmarkt. Nach Meinung der Konservativen ist soziale Not zwar zu beklagen, die Lösung dieser Probleme könne jedoch nicht per "Akklamation" erreicht werden. Die EVP-Fraktion will deshalb Dutzende von Änderungsanträgen einbringen. Das Ziel ist klar: 1996, als die konservative spanische Abgeordnete Laura De Esteban Martin mit dem Bericht für 1994 beauftragt war, drückten die anderen Fraktionen eine Vielzahl von Änderungen durch. Die endgültige Fassung wich so stark vom Ursprungstext ab, daß die EVP den Bericht ablehnte. Nun wollen die Konservativen es den Linken zeigen. Mit allen Tricks soll das Dokument zu Fall gebracht beziehungsweise so stark abgeändert werden, daß die Grünen vielleicht ihrem eigenen Bericht nicht mehr zustimmen können.
Allerdings gibt es auch im linken Lager
Streit. Die Vorsitzende der sozialistisehen Fraktion, die britische Europa-
Abgeordnete Pauline Green, wollte offenbar eine Debatte über den Bericht
verzögern. Der Hintergrund: Die briti- sehen Labour-Abgeordneten befürchten,
daß Großbritannien wegen kritischer Passagen über die
Anti-Terrorismus-Gesetze im Zusammenhang mit dem Nordirlandkonflikt an
den Pranger gestellt werden könnte. Und dies könnte sich negativ
auf die Chancen von Labour bei den bevorstehenden Parlamentswahlen auswirken.
Nach längerer Diskussion haben sich die Sozialisten dann doch im letzten
Moment mit der Terminplanung für diese W oche einverstanden erklärt.
Fazit: Menschenrechte scheinen nur so wichtig zu sein, wie es den Parteien
politisch in den Kram paßt. Andreas Oldag