EU soll Sorgerecht grenzüberschreitend durchsetzen
Wenn private Konflikte in Europa Grenzen überschreiten, können sie fast zu Staatsaffären werden. Vor wenigen Monaten protestierten französische Väter in Berlin mit einem Hungerstreik, weil sie nach der Scheidung von ihren deutschen Ehefrauen keinen Kontakt mehr zu ihren Kindern bekamen. Frankreichs Staatspräsident Jacques Chirac sah in deutschen Gerichten schon "das Gesetz des Dschungels" regieren. Immer wieder geraten gescheiterte "binationale Ehen" in die Schlagzeilen, wenn aus den gemeinsamen Kindern Streitobjekte werden und die Familien auch noch zwischen die Mühlsteine der unterschiedlichen Rechtssysteme in Europa geraten.
Beim Treffen der europäischen Justizminister in Santiago de Compostela steht derzeit erneut der Versuch auf der Tagesordnung, juristische Lösungen für diese privaten Tragödien zu finden. Das weltberühmte Pilger-Ziel in Spanien ist symbolhaft genau der richtige Ort für den Fortgang einer mühseligen Arbeit. Die spanische Ratspräsidentschaft macht jetzt Druck: "Die Bürger erwarten, dass wir hier endlich zu Lösungen kommen."
Einen Meilenstein haben die Politiker sogar schon hinter sich gelassen. Seit 1. März 2001 gilt in der Europäischen Union eine Verordnung, die zum ersten Mal festlegt, welches Gericht zuständig ist, wenn ein "binationales" Paar sich scheiden lässt. Hat das Paar zuletzt etwa in Deutschland zusammengelebt, ist ein deutsches Gericht zuständig für die Scheidung und die Sorgerecht-Vergabe für die Kinder. Zuvor war es immer wieder vorgekommen, dass jede der streitenden Parteien unterschiedliche Urteile in den jeweiligen Heimatländern erwirken konnte.
Für die deutsche Europaparlamentarierin Evelyn Gebhardt ist das längst nicht genug. Denn immer wieder kommt es vor, dass nach einer Scheidung der nicht sorgeberechtigte Elternteil keine Chance mehr hat, seine Kinder zu sehen. Das bringt verzweifelte Väter oder Mütter immer wieder dazu, ihre Kinder zu entführen. Will dann aber etwa ein französischer Vater sein Sorgerecht geltend machen und von seiner Ex-Ehefrau in Deutschland die Herausgabe der widerrechtlich festgehaltenen Kinder verlangen, muss er sich auf einen langen Rechtsstreit gefasst machen. Denn ein französischer Vollstreckungstitel wird nicht ohne weiteres von deutschen Behörden ausgeführt. "Die Besuchs- und Umgangsrechte sind in Europa noch nicht ausreichend geregelt", sagt Gebhardt. Fernziel der Justizminister ist es daher, im Familienrecht zu einem Vollstreckungsverfahren zu kommen, das in allen EU-Staaten unmittelbar umgesetzt wird.
Da es lange dauern kann, bis die Juristen
Lösungen finden, hat sich Europaparlamentarierin Gebhardt mit fünf
Kollegen zu einer bemerkenswerten deutsch-französischen Initiative
zusammengefunden: Abgeordnete des Europaparlaments, des Deutschen Bundestages
und der französischen Nationalversammlung betreuen und beraten geschiedene
deutsch-französische Paare. Immer wieder kommt es vor, dass es eine
der Parteien nur wegen der unterschiedlichen nationalen Rechtssysteme nicht
wagt, dem anderen die Kinder besuchsweise zu überlassen. "Tiefe Ängste"
konstatiert Gebhardt. Die "binationalen" Abgeordneten versuchen diesen
Familien in Europa nun zu vermitteln, was wichtiger sein kann als ein Gesetz:
Vertrauen.
Cornelia Bolesch
15.02.2002
www.sueddeutsche.de/aktuell/sz/artikel122940.php
Wenn hier "binationale Abgeordnete" angesprochen werden, sehe ich deutlich die Gefahr, das lediglich Ausnahmeregelungen für Ausländer geschaffen werden sollen. In der Tat gibt es bereits eigene Abteilungen in Familiengerichten, die sich um die Belange binationaler Fälle kümmern. Diese Mitarbeiter seien besonders geschult, heißt es. So aber bleibt der deutsche Vater in Europa ein Vater 2.Klasse. Für den Großteil der in Deutschland betroffenen Väter wird sich hierdurch nichts ändern.
Statt das Problem an der Wuzel zu fassen und eine weitere Reform des Kindschaftsrechtes in Gang zu bringen, will man anscheinend lediglich Ausnahmeregelungen schaffen, die auf internationaler Ebene die Diskriminierung der Väter im deutschen Familienrecht vertuschen sollen.
Viele Grüße
Thomas