Rhein-Zeitung Dezember 2004

Wo Richter nach Gefühlen fragen

Modellprojekt am Koblenzer Oberlandesgericht: Bei Scheidungen soll künftig mehr Wert auf Streitschlichtung gelegt werden

Wenn Eheleute sich tennen, dann landen sie früher oder später vor Gericht. Und häufig führen sie dort ihre Beziehungsstreitigkeiten fort. Wo sie selbst in vielen Jahren keine Lösung finden konnten, soll nun ein anderer über Gut und Böse, falsch und richtig entscheiden: der Richter. Am Koblenzer Oberlandesgericht (OLG) läuft derzeit ein Projekt an, das Familienrichtern eine ungewohnte Rolle zuweist - die des Streitschlichters.

Wenn eine Ehe vor Gericht endet, dann bleibt von Sympathie und Achtung eines Paares oft nicht viel übrig. 20 Richterinnen und Richter im Bezirk des Koblenzer Oberlandgerichtes lassen sich derzeit in Streitschlichtung schulen. So hoffen sie, nachhaltige Ergebnisse zu erzielen und Ex-Partner wenigstens so weit zu befrieden, dass sie ihre Elternverantwortung auch nach der Scheidung weiter gemeinsam wahrnehmen können.

RHEINLAND-PFALZ. "Eigentlich ist die Aufgabe eines Familienrichters ziemlich einfach: Er hört sich an, was beide Parteien vorzubringen haben. Dann trifft er eine Entscheidung." Natürlich weiß Maya Darscheid genau, dass die Praxis viel komplizierter ist als es die Theorie vermuten lässt. Denn gerade bei Ehescheidungen spielen die Gefühle der Beteiligten eine große Rolle, betonte die Richterin des Koblenzer Oberlandesgerichtes. "Eine juristisch korrekte Entscheidung löst längst nicht immer die Probleme der betroffenen Menschen. Und wenn Verletzungen zurück bleiben, dann treffen sich die Paare nach kurzer Zeit vor Gericht wieder."

Verantwortung für Kinder

Dies ist aus Sicht der Juristin nicht nur uneffektiv, sondern auch ein Zeichen dafür, wie stark das Leben Geschiedener oft von Streit und Auseinandersetzungen geprägt ist. In Fachkreisen wird deshalb nicht erst seit Einführung des neuen Kindschaftsrechts vor sechs Jahren darüber diskutiert, wie besonders geschiedene Väter und Mütter wenigstens so weit befriedet werden können, dass sie die Elternverantwortung auch nach ihrer Trennung gemeinsam weiter tragen können. Auch am OLG Koblenz überlegt man seit geraumer Zeit, Scheidungsverfahren - vor allem solche, von denen Kinder betroffen sind - anders anzugehen, erklärt dessen Präsident Heinz Georg Bamberger.

In einem Modellversuch werden deshalb derzeit 20 Richterinnen und Richter von zwölf Familiengerichten des Bezirks in Techniken der Mediation fortgebildet. Das neue Wissen soll ihnen helfen, im Verfahren die tatsächlichen Probleme zu erkennen, die eine friedliche Beilegung des Streits verhindern. Denn das, was vor Gericht vorgetragen wird, ist selten das, was tatsächlich im Argen liegt, weiß Maya Darscheid, die das Projekt am OLG betreut.

In das Erlernen ihrer neuen Rolle investieren die Juristen viel Zeit: Bis April nächsten Jahres nehmen sie immer wieder an ganz- oder gar mehrtägigen Seminaren teil, eignen sich dabei Techniken der psychologischen Gesprächsführung und der Streitschlichtung an. Und sie lernen, mit ihrer neuen Rolle umzugehen. Denn so geschickt der Richter als Mediator auch ist, am Ende bleiben immer Fälle übrig, die sich nicht in gegenseitigem Einvernehmen zu Ende bringen lassen. Und dann muss der Richter das tun, was von Amts wegen von ihm erwartet wird: Er muss eine Entscheidung fällen - die vermutlich mindestens einem der Beteiligten nicht gefällt.

Gerade dieser Rollenwechsel vom Schlichter zum Entscheider wird von Manchem kritisch gesehen. Wie offen ist ein Paar, wenn es weiß, dass der Richter das was er in entspannter und vertraulicher Atmosphäre erfahren hat, am Ende zur Grundlage seiner Entscheidung macht?

Offen miteinander umgehen

Doch Maya Darscheid hält diesen Punkt für relativ unproblematisch. "Wichtig ist, dass alle Beteiligten offen und fair miteinander umgehen. Das Scheidungspaar muss wissen, dass der Richter um eine einvernehmliche Lösung bemüht ist, dass er im Zweifel aber auch derjenige ist, der entscheidet." Und: "Wenn die Streitschlichtung scheitert, werden unangenehme Dinge in der Regel ohnehin von der jeweiligen Gegenseite vorgetragen. Der Richter erfährt als Mediator also selten Dinge, von denen er nicht ohnehin gehört hätte."

Bislang, jedenfalls, so Maya Darscheid, haben die beteiligten Richter durchweg positive Erfahrungen mit ihren neuen Fertigkeiten gemacht. Zwar beginnt der praktische Teil des Projektes offiziell erst im Frühjahr, aber in ihrem gerichtlichen Alltag testen die Richterinnen und Richter bereits das, was sie über Schlichtung gelernt haben.

Wie erfolgreich der Richter-Mediator schließlich ist, wird allerdings nicht allein am subjektiven Empfinden der Beteiligten gemessen. Das Projekt soll wissenschaftlich begleitet werden. "Wir wollen wissen, ob die Beteiligten zufriedener sind als früher. Ob sich weniger Nachfolgeverhandlungen ergeben. Und ob sich das Ganze rechnet", erklärt Heinz Georg Bamberger.

Ob der Familienrichter in seiner neuen Rolle ein Erfolgsmodell wird, das hängt allerdings auch von anderen ab, betont der OLG-Präsident. Denn nicht immer kann der Richter ein Paar tatsächlich bis zur endgültigen Lösung seines Konfliktes begleiten.

Unterstützung notwendig

"Seine Aufgabe wird in vielen Fällen eher darin bestehen, bei den Betroffenen die Bereitschaft zu fördern, die Hilfe einer Beratungsstelle oder eines hauptberuflichen Mediators anzunehmen. Wenn das Ende einer Ehe künftig vom gegenseitigen Respekt der ehemaligen Partner geprägt sein soll, dann brauchen wir ein ganzes Netzwerk von Menschen und Professionen, die den Paaren auf ihrem schwierigen Weg Unterstützung anbietet. Dann müssen Rechtsanwälte, Jugendämter, Beratungsstellen und Gutachter mitziehen."

Große Hoffnungen setzt der Chef des Oberlandesgerichts in dieser Hinsicht in die Arbeitskreise, die sich mit eben jenem Ziel überall im Land gebildet haben. Derzeit besucht er diese Gremien, stellt das OLG-Projekt vor und knüpft Kontakte, die der sache dienen sollen. Denn Konkurrenzdenken, so Bamberger, ist dort, wo Menschen ihre Achtung voreinander zurückgewinnen sollen, völlig fehl am Platz. "Ich kann mir sogar vorstellen, dass Rechtsanwälte ihre Mandanten künftig direkt zur Lebensberatungsstelle schicken und der Weg zum Gericht so völlig überflüssig wird." Bis es so weit ist, das weiß auch Heinz Georg Bamberger, muss noch jede Menge Überzeugungsarbeit geleistet werden. - Doris Litz
 



 

Artikel2

Keine Partei zum Verlierer abstempeln

Der Altenkirchener Familienrichter Arthur Trossen entwickelte die "Integrierte Mediation"

ALTENKIRCHEN. Das Koblenzer Justizprojekt "Integrierte Mediation" ist eng verbunden mit seinem Namen: Arthur Trossen war selbst zwölf Jahre lang Familienrichter am Amtsgericht Altenkirchen. Heute ist er auf eigenen Wunsch beurlaubt und schult gemeinsam mit seinem Mitstreiter, dem Diplom-Psychologen und Mediator Eberhard Kempf, seine früheren Kollegen in Streitschlichtung und psychologischer Gesprächsführung.

Gefühl der Hilflosigkeit

Wenn Arthur Trossen an seine aktive Zeit als Familienrichter zurückdenkt, dann fällt ihm auch das Gefühl der Hilflosigkeit ein. "Richter fühlen sich verantwortlich, leiden vor allem mit den betroffenen Kindern mit, wenn ein Paar sich vor ihnen bis aufs Blut bekämpft. Sie können zwar eine Entscheidung fällen, die das gesamte Schicksal der Familie maßgeblich beeinflussen. Den Konflikt, der der Auseinandersetzung zu Grund liegt, lösen sie auf diese Weise allerdings nicht. Liebe, Verständnis und Verantwortungsgefühl lassen sich nun mal nicht verordnen."

Als die Mediation, die "versöhnende Vermittlung", Anfang der 90er-Jahre auch in die deutsche Justiz Einzug hielt, war der Altenkirchener begeistert. Die Suche nach Konsens statt nach Kompromissen faszinierte ihn. Scheidungspaare sollten beide als Gewinner vom Platz, sprich aus dem Gerichtssaal gehen. Nur der Forderung, dass der Mediator immer "von außen" kommen müsse, also nicht Prozessbeteiligter sein dürfe, mochte er nicht einsehen. Gemeinsam mit seinem Freund Eberhard Kempf entwickelte Arthur Trossen die "integrierte Mediation".

Dass Paare gegenüber dem Richter mehr Vorbehalte haben könnten als gegenüber einem "unbeteiligten" Mediator lässt Arthur Trossen nicht gelten. "Wenn Menschen das Gefühl haben, dass sie in ihren Wünschen, Sorgen und Ängsten ernst genommen werden, dann öffnen sie sich auch", ist seine Erfahrung. "Und für den Richter ist es ein durchweg angenehmes Gefühl, nicht mehr Herr über das Schicksal fremder Menschen zu sein, sondern ein Unterstützer bei der Suche nach Lösungen."

Keine Konkurrenz

Eine Konkurrenz zu professionellen Mediatoren oder gar Beteiligten am Scheidungsverfahren sieht Arthur Trossen übrigens nicht. Im Gegenteil. "Der Richter redet zwar mit dem Paar über Gefühle und Motive und er animiert die Streithähne auf konstruktivere Weise, nach einer Lösung ihrer Probleme zu suchen. Um den fall befriedigend abzuschließen, ist er aber auf die Unterstützung der anderen Verfahrensbeteiligten angewiesen. Schließlich kann auch der bestens geschulte Richter die scheidungswilligen Eheleute nicht im Gerichtssaal therapieren."

Auch Arthur Trossen steht deshalb in engem Kontakt zu den Arbeitskreisen Tennung/Scheidung, die sich in Zusammenhang mit dem neuen Kindschaftsrecht in Rheinland-Pfalz gebildet haben. In enger Abstimmung mit ihnen und mit Unterstützung eines Konsortiums hat er auch das Internetportal Portafamilia konzipiert, in dem Fachleute und Betroffene die unterschiedlichsten Informationen zum Thema Trennung und Scheidung finden und das im Dezember 2002 den Multimedia-Wettbewerb des Landes Rheinland-Pfalz gewonnen hat (do)

Weitere Informationen im Internet:
www.integrierte-mediation.net
www.portafamilia.de