Bonn, den 4. August 1988
Bundesjustizminister Hans A. Engelhard zur Diskussion um das Umgangsrecht der Väter nichtehelicher Kinder: Auf das Kindeswohl kommt es an !
Noch vor rund 20 Jahren galten das nichteheliche Kind und sein Vater als nicht miteinander verwandt. Und bis heute begegnet das Recht dem Vater eines nichtehelichen Kindes mit erheblichen Vorbehalten. Kein Wunder, daß der von Bundesminister Engelhard vorgelegte (Referenten-) Entwurf eines Gesetzes zur Erweiterung des Umgangsrechts nichtehelicher Väter eine breite Diskussion ausgelöst hat. Um was geht es ?
Sicher nicht um Gesetzgebung im Dienste der Männer zu Lasten der Frauen. Ebenso sicher nicht um mehr Rechte für Väter auf Kosten der Mütter. Im Mittelpunkt steht vielmehr das Kind. Die Kenntnis vom Vater und die Beziehung zu ihm können für die Persönlichkeitsentwicklung auch des nichtehelichen Kindes von wesentlicher Bedeutung sein. Kontakte zwischen Vater und Kind können diese Kenntnis und Beziehung vermitteln oder erhalten.
Dennoch vermutet das Bürgerliche Gesetzbuch, daß ein Kontakt mit dem Vater, falls von der Mutter nicht gewollt, dem nichtehelichen Kind im Regelfall schadet. Diese Annahme ist in ihrer Allgemeinheit heute nicht mehr richtig: Zu unterschiedlich motiviert ist die Ablehnung von Müttern, zu verschieden sind die Absichten kontaktwilliger Väter. Und auch die ganz unterschiedliche Lebenssituation nichtehelicher Kinder entzieht sich dem groben Raster einer einseitigen gesetzlichen Typisierung.
Der Gesetzesvorschlag von Bundesjustizminister Engelhard zieht heraus die Konsequenz:
- Auch künftig bestimmt die Mutter, ob und in welchem Umfang der Vater zu seinem nichtehelichen Kind Kontakt aufnehmen und unterhalten kann. Auch künftig kann, wie schon bisher, das Vormundschaftsgericht die von der Mutter getroffene Bestimmung korrigieren.
- Eine solche Korrektur durch das Vormundschaftsgericht ist jedoch nicht länger an besondere, einschränkende Voraussetzungen gebunden. Maßstab für die Entscheidung des Vormundschaftsgerichts ist vielmehr ausschließlich das Kindeswohl.
- Das bedeutet praktisch: Läßt ein Kontakt mit dem Vater Nachteile für das Kind besorgen, kommt eine Korrektur durch das Vormundschaftsgericht nicht in Betracht. Läßt - umgekehrt - der Umgang mit dem Vater einen besonderen Nutzen für das Kind erwarten, muß das Vormundschaftsgericht dem Kind diesen Kontakt - auch gegen den Willen der Mutter - ermöglichen.
Fehlt es an konkreten Anhaltspunkten für Gefährdung oder Nutzen, hat das Vormundschaftsgericht alle für und gegen einen Umgang sprechenden Aspekte unter dem Gesichtspunkt des Kindeswohls abzuwägen. Dabei muß es dem Wert eines Kontaktes mit dem Vater für die Persönlichkeitsentwicklung des Kindes Rechnung tragen und insbesondere eine während eines längeren Zusammenlebens gewachsene Vater-Kind-Beziehung berücksichtigen; andererseits darf es die Möglichkeit sachfremder Motive des auf eine Umgangsbefugnis drängenden Vaters nicht ignorieren oder Schwierigkeiten übersehen, die sich aus persönlichen Differenzen zwischen beiden Elternteilen oder bei der Integration des Kindes in eine von der Mutter neu gegründete Familie ergeben können.
- Die Quantifizierung und wechselseitige Gewichtung dieser Gesichtspunkte kann der Gesetzgeber dem Vormundschaftsgericht nicht abnehmen, ohne zumindest in Randbereichen einen für das Kindeswohl gefährlichen Entscheidungsautomatismus zu begründen. Der Entwurf begegnet dieser Gefahr und sichert dem Richter zugleich den notwendigen Entscheidungsfreiraum, ohne den sich Kindeswohl im Einzelfall nicht wirksam realisieren läßt.
Der Vorschlag vom Bundesjustizminister Engelhard hat bei den Justizministern und -senatoren der Länder breite Zustimmung gefunden. In der Öffentlichkeit sind allerdings auch engagierte Stimmen gegen das Vorhaben laut geworden. Bundesjustizminister Engelhard: „Wer in der vorgeschlagenen Regelung eine undifferenzierte Begründung nichtehelicher Väter sieht, hat sie gründlich mißverstanden. Und wer den Vorschlag zum „Nebenschauplatz“ erklärt, verkennt den Wert einer intakten Beziehung des Kindes zu beiden Elternteilen. Der von mir vorgelegte Entwurf verfolgt das Ziel, eine am individuellen Kindeswohl orientierte Entscheidung von Umgangsstreitigkeiten zu erleichtern. Er will aber darüber hinaus solche Entscheidungen nach Möglichkeit von vorne herein vermeiden. Zwar kann kein Gesetz Eltern zwingen, zum Wohl ihres Kindes einvernehmlich zusammenzuwirken. Der Gesetzesvorschlag will jedoch ihre Bereitschaft fördern, sich - unter Hintanstellung aller persönlichen Divergenzen - allein unter dem Gesichtspunkt des Kindeswohls über Umgangs- und Kontaktfragen auseinanderzusetzen. Er ist damit der erste Schritt auf einem Weg, der über mehr elterliche Kooperation zu mehr Kindeswohl führt.“
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