Kabinett billigt neues Sorgerecht
Bonn stärkt die Position der Kinder - Weitreichende Neuerungen für unverheiratete Eltern

WELTNACHRICHTENDIENST
Bonn - Kinder geschiedener oder unverheirateter Eltern sollen künftig auf die Sorge von Vater und Mutter vertrauen können. Das Bundeskabinett billigte gestern eine umfassende Reform des Kindschaftsrechts, nach der künftig weit mehr als bisher das gemeinsame Sorgerecht getrennter Eltern ermöglicht und für nicht verheiratete Paare erstmals eingeführt werden soll. Zudem soll das neue Gesetz rechtliche Unterschiede für eheliche und uneheliche Kinder beseitigen. Die Arbeit an dem Entwurf von Bundesjustizminister Edzard Schmidt-Jortzig (FDP) begann bereits unter seinen Vorgängern Klaus Kinkel und Sabine Leutheusser-Schnarrenberger.

Die weitgehenden Änderungen im Sorgerecht sehen vor allem vor, daß bei einem Scheidungsverfahren das Gericht nicht mehr automatisch entscheiden muß, wie nach der Trennung die elterliche Sorge geregelt wird: Das zuvor in der Ehe bestehende gemeinsame Sorgerecht soll bleiben können, falls nicht Mutter oder Vater eine andere Regelung beantragen. Das sei auch "ein Appell an die Eltern, künftig vorrangig die Interessen ihrer Kinder zu berücksichtigen", sagte der Justizminister. Zur Zeit haben 17,1 Prozent der geschiedenen Paare in Deutschland ein gemeinsames Sorgerecht. Bei einer solchen Regelung soll auch künftig der Elternteil, bei dem das Kind aufwächst, "Alleinentscheidungsbefugnis" in Alltagsfragen haben und den anderen nur in Grundsatzfragen um Einverständnis fragen müssen. Auf Antrag von Vater oder Mutter kann ein Familiengericht aber auch nur einem Elternteil die alleinige Sorge übertragen.

Im neuen Gesetz sind weitreichende Neuregelungen für die Kinder unverheirateter Eltern vorgesehen. Bislang liegt das Sorgerecht für ein uneheliches Kind automatisch und unanfechtbar bei der Mutter. Künftig sollen auch unverheiratete Eltern nach einem einfachen Antrag beider die Sorge gemeinsam ausüben können, was aber laut Justizminister "kein neues Recht für uneheliche Lebensgemeinschaften" bedeutet. Und: Auch ohne gemeinsames Sorgerecht soll der Vater eines unehelichen Kindes das Recht bekommen, sein Kind zu sehen. Ein Umgangsrecht soll künftig erstmals auch für andere wichtige Bezugspersonen wie Großeltern oder Geschwister festgeschrieben werden können.

Familienministerin Claudia Nolte (CDU), mit deren Ressort der Entwurf abgestimmt wurde, unterstrich als Regierungsziel: "Eltern bleiben Eltern, auch wenn sie auseinandergehen." Das Gesetz, dem auch der Bundesrat zustimmen muß, könnte 1997 in Kraft treten.
 

DIE WELT, 29.2.1996