Bedeutung der UN-Kinderrechtskonvention für
die Rechtsordnung der Bundesrepublik
Deutschland
Einführende Thesen anläßlich des 2. Offenen Forums der National Coalition
beim 10. DJHT in Leipzig
Prof. Dr. Hubertus Lauer

1.

Die erste These befaßt sich mit dem Wirkungszusammenhang von internationalen Rechtskonventionen und der Rechtsordnung der Bundesrepublik Deutschland. Die Konvention bindet völkerrechtlich die Bundesrepublik Deutschland nach dem wohl wichtigsten internationalen Rechtsgrundsatz „pacta sunt servanda", stellt aber noch kein nationales Recht dar, sondern bedarf der entsprechenden Umsetzung in geltendes nationales Recht. Für die gegenwärtig geltende Rechtspraxis in der Bundesrepublik Deutschland bedeutet dies, daß aus der UN-Kinderrechtskonvention keine unmittelbaren Rechtsansprüche oder rechtliche Verpflichtungen abzuleiten sind. Dennoch wird durch die Unterzeichnung der Konvention eine Verbindlichkeit in der Interpretation und Anwendung des geltenden Rechts geschaffen, etwa bei der Interpretation von unbestimmten Rechtsbegriffen und Generalklauseln. Wie sehr gerade die Konvention darauf abzielt, innerstaatliche Wirkungen zu entfalten, zeigen im Übrigen die Art. 43-45. Hiernach sollen entsprechende Ausschüsse die Umsetzung der Konvention überwachen und entsprechende Anregungen für ihre Weiterentwicklung geben.

2.

Weil die gesamte Rechtsordnung der Bundesrepublik von der Konvention erfaßt wird, muß auch die Verfassung der Bundesrepublik überprüft werden, ob sie entsprechend der Kinderrechtskonvention ausreichende rechtliche Garantien bietet. Es geht um die Frage, ob und inwieweit die Grundrechte eine Ergänzung durch spezielle Kindergrundrechte benötigen. In der herrschenden Verfassungslehre ist es unbestritten, daß Kindern wie Erwachsenen die gleichen Grundrechte zustehen. Ihre Ausübung ist nicht von einer speziellen Grundrechtsmündigkeit abhängig, wie eine vor Jahren vertretene Rechtsmeinung glauben machen wollte. Einzig durch die verantwortliche Ausübung der elterlichen Erziehungsrechte und -pflichten und die gesetzliche Vertretung der Kinder durch die Eltern können sich Einschränkungen ergeben.

Zentral geht es hier um die Frage, wie sehr sich die bisherige Verfassungsdiskussion allzusehr auf Art. 6 GG (Schutz von Ehe und Familie) restriktiv (im Sinne von Überwachung) beschränkt hat und damit die besondere Schutzwürdigkeit der Interessen von Kindern in der Verschränktheit mit den elterlichen Erziehungsrechten und -pflichten als Anspruch auf Gewährleistung anderer existierender Grundrechte, insbesondere von Art.1 und 2 GG, durch den Staat vernachlässigt hat. Grundrechte sind auch Gestaltungsrechte und nicht nur Abwehrrechte. Dies gilt um so mehr, je stärker gesellschaftliche und strukturelle Veränderungen die Eltern in ihrer zentralen Verantwortlichkeit gegenüber ihren Kindern häufig ohnmächtig erscheinen lassen. Dies betrifft die materielle wie Grundversorgung der Kinder durch die Eltern ebenso wie die angesichts der globalen gesundheitlichen Risiken (Seuchen, Allergien, Nahrungsmittelbelastungen) fast nicht lösbaren Aufgaben der gesundheitlichen Versorgung durch die Eltern.

Fazit: Auch wenn das Grundgesetz die Grundrechte uneingeschränkt den Kindern zugesteht, scheint eine deutliche Hervorhebung in der Verfassung geboten, um eine unzweifelhafte Anwendung im Interesse der Kinder zu sichern. Gleichzeitig muß eine verfassungsrechtliche Sichtweise Platz greifen, welche die Interessen der künftigen Generationen gegen verhängnisvolle, weil über lange Zeiträume unwiderruflich bindende technologische Entscheidungen von heute abwägt.

3.

Auf der Ebene der nationalen Einzelgesetze gibt es erheblichen Handlungsbedarf, wie sich am Beispiel der angelaufenen verschiedenen Reformgesetze (Nichtehelichenrecht, Reform des elterlichen Sorgerechts - auch und gerade bei Scheidungen, Mißhandlungsverbot u.a.) zeigen läßt.

Reform bzw. Abschaffung des Nichtehelichenrechts

Obwohl der verfassungsrechtliche Gleichbehandlungsgrundsatz von Art. 6 Abs.5GG eine Gleichstellung der ehelichen und der nichtehelichen Kinder vorsieht, haben wir bis heute gerade im Familienrecht eine grundsätzliche Einteilung in eheliche und nichteheliche Kinder mit entsprechenden unterschiedlichen rechtlichen Ausformungen im Unterhaltsrecht, im elterlichen Sorgerecht sowie im Erbrecht. Diese rechtliche Unterscheidung ist nach wie vor prägend auch für das öffentliche und private Rechtsbewußtsein. Hier liegen unzweideutig entscheidende, ja beschämende Versäumnisse des Gesetzgebers vor, deren Beseitigung das Bundesverfassungsgericht 1991 nochmals gegenüber dem Gesetzgeber verbindlich angemahnt hat, bis heute ohne abschließendes Ergebnis.

Reform des elterlichen Sorgerechts

Es geht an dieser Stelle insbesondere darum, den Grundanspruch des Kindes auf Betreuung durch beide Elternteile zu sichern (Art.7 Abs. 1) sowie im Falle der Trennung von beiden Eltern oder von einem Elternteil (Art.9) ein Recht des Kindes auf persönliche Beziehungen und unmittelbaren Kontakt zu beiden Elternteilen zu verankern, sofern dies nicht dem Wohl des Kindes widerspricht. Ein Blick in die derzeit verhandelte Kindschaftsrechtsreform lehrt uns aber, daß dieser Grundsatz noch nicht rechtliches Allgemeingut geworden ist. So soll zwar auch den nichtehelichen Vätern und auch Großeltern und Geschwistern ein Recht auf Umgang zugestanden werden, nicht aber umgekehrt dem Kind selbst. Vielmehr wird nach §1626 Abs.3E davon ausgegangen, daß ein solcher Umgang in der Regel dem Kindeswohl dient. Hier rächt sich, daß der Gesetzgeber nicht konsequent davon ausgeht, daß korrespondierend zu der elterlichen Verpflichtung dem Kind gegenüber eine entsprechende Berechtigung des Kindes steht. Kinder haben ein Recht auf Eltern und ein Recht auf Erziehung durch ihre Eltern. Diese grundsätzliche Aussage der Kinderrechtskonvention ist gleichzeitig auch eine Aufforderung an die jeweiligen Unterzeichnerstaaten, ihre politischen, sozialen und rechtlichen Möglichkeiten für eine Begleitung und unterstützende Sicherung dieser elterlichen Verantwortung einzusetzen. Wie die gegenwärtige Praxis insbesondere auch des KJHG zeigt, sind noch längst nicht alle Möglichkeiten ausgeschöpft, entsprechende Hilfe- und Unterstützungsprogramme - gerade auch im päventiven Bereich - für Familien hierfür einzusetzen.

Mit Unverständnis muß die Tatsache registriert werden, daß der Gesetzgeber nicht den Mut aufbringt, die in Art. 19 erhobene Forderung, das Kind vor jeglicher Form körperlicher oder geistiger Gewaltanwendung, Schadenszuführung oder Mißhandlung, vor Verwahrlosung, Vernachlässigung und Ausbeutung einschließlich des sexuellen Mißbrauchs zu schützen eindeutig und unmißverständlich in dem neuen Kindschaftsrecht zu regeln. Gerade diese Regelung muß angesichts der immer wieder in der Praxis bekannt werdenden Fälle als Kernstück der Reform und damit auch der Umsetzung der Konvention angesehen werden.

Beteiligung der Kinder

Die Konvention spricht in Art. 12 davon, daß das Kind an allen Verwaltungs- und Gerichtsverfahren entweder persönlich oder durch einen Vertreter zu beteiligen ist. Das geltende Recht sieht in § 8 KJHG eine Beteiligung von Kindern und Jugendlichen entsprechend ihrem Entwicklungsstand an allen sie betreffenden Entscheidungen der öffentlichen Jugendhilfe vor, die Praxis trägt dem längst nicht immer Rechnung. Das Jugendamt kann seiner rechtlichen Stellung nach eine Vertretungsfunktion für die Kinder und Jugendlichen zumindest dann übernehmen, wenn es nicht selbst betroffen ist; allein die Diskussionen innerhalb der Jugendhilfe lassen berechtigte Zweifel zu, ob das Jugendamt bei seiner Interesseneingebundenheit in den öffentlichen Leistungsapparat als Teil der öffentlichen Verwaltung dieser Vertretungsaufgabe auch gegen den öffentlichen Träger der Jugendhilfe gerecht werden kann.

Minderjährige unbegleitete Flüchtlinge

Die Bundesrepublik ist das Ziel zahlreicher unbegleiteter minderjähriger Flüchtlinge. Der erklärte Vorbehalt hat an diesem Faktum nichts ändern können. Die gegenüber solchen minderjährigen Flüchtlingen durchaus positiven praktizierten Hilfen sollten von dem Odium des Vorbehaltes befreit werden. Gemessen an dem, was die Bundesrepublik tatsächlich leistet, durchaus auch verglichen mit anderen Staaten, ist dies kleinkariert und nicht vereinbar mit der Verpflichtung, die die Bundesrepublik gem. Art. 22 der Konvention eingegangen ist.

4. Was ist zu tun ?

An die Adresse des Gesetzgebers gerichtet kann die Forderung nur lauten:

Die Interessen der Kinder in den Vordergrund der rechtlichen Bemühungen um eine entscheidende Verbesserung ihrer Stellung in den Familien und der Gesellschaft zu stellen. Die bisherigen Vorschläge lassen den Verdacht aufkommen, daß Erwachsene ihre eigenen Interessen in Bezug auf Kinder wohl zu vertreten wissen, daß sie aber eine rational kaum nachzuvollziehende Scheu besitzen, ihren Kindern soweit zu vertrauen, daß sie ihnen ebenfalls Rechte zugestehen. Dabei beweisen Kinder in den vielfältigen Begebenheiten und Konflikten mit ihren Eltern eine viel größere Solidarität, als dies umgekehrt der Fall ist.

Die Rechtsordnung der Bundesrepublik Deutschland benötigt eine deutliche Kurskorrektur in der Aufnahme und Wahrnehmung von Interessen und Rechten der Kinder. Da die Interpretation vorhandener rechtlicher Normen - auch der Grundrechte - zur Sicherung der Rechte von Kindern offensichtlich nicht ausreicht, müssen die Rechte und Interessen der Kinder im Unterschied zu anderen Altersgruppen in der besonderen Verantwortung der Erwachsenen für die nachfolgenden Generationen besonders normiert und durch entsprechende verfahrensrechtliche und institutionelle Vorgaben geschützt werden.