Stellungnahme
der Koordinierungsgruppe der National Coalition zum Erstbericht der Bundesregierung zur UN-Kinderrechtskonvention

Die UN-Konvention über die Rechte des Kindes (KRK) vom 20. November 1989 ist am 5. April 1992 für Deutschland in Kraft getreten. In ihr haben sich die Unterzeichnerstaaten verpflichtet, „alle geeigneten Gesetzgebungs-, Verwaltungs- und sonstigen Maßnahmen zur Verwirklichung der in diesem Übereinkommen anerkannten Rechte" zu treffen (Art.4 KRK).

In Art. 44 KRK verpflichten sich die Vertragsstaaten, dem UN-Ausschuß für die Rechte des Kindes regelmäßig Berichte über die Maßnahmen, die sie zur Verwirklichung der Kinderrechte getroffen haben, und über die dabei erzielten Fortschritte vorzulegen und zwar einen Erstbericht innerhalb von zwei Jahren nach Inkrafttreten des Übereinkommens und danach alle fünf Jahre. „In den nach diesem Artikel erstatteten Berichten ist auf etwa bestehende Umstände und Schwierigkeiten hinzuweisen, welche die Vertragsstaaten daran hindern, die in diesem Übereinkommen vorgesehenen Verpflichtungen voll zu erfüllen. Die Berichte müssen auch ausreichende Angaben enthalten, die dem Ausschuß ein umfassendes Bild von der Durchführung des Übereinkommens in dem betreffenden Land vermitteln." (Art.44 Abs. 2 KRK).

Die Bundesregierung hat im August 1994 ihren Erstbericht an den UN-Ausschuß vorgelegt. Nach der Praxis des Ausschusses werden Nichtregierungsorganisationen, die in ihrer Tätigkeit mit den Rechten von Kindern (gemeint sind damit Kinder und Jugendliche im Alter bis zu 18 Jahren) befaßt sind, gebeten, sachkundige Stellungnahmen zur Durchführung des Übereinkommens abzugeben (vgl. Art. 45 Buchst. a KRK).

Dem Vorbild anderer Länder folgend hat sich in Deutschland eine Koordinierungsgruppe (KOG) von Vertreterinnen zahlreicher auf dem Gebiet der Kinder- und Jugendpolitik tätiger Verbände und Stellen gebildet, die die Bildung einer National Coalition für die Umsetzung der Kinderrechtskonvention in Deutschland (NC) betrieben hat.

Die Koordinierungsgruppe der National Coalition hat mit Unterstützung zahlreicher anderer Organisationen und Verbände eine gemeinsame Stellungnahme zum Erstbericht der Bundesregierung erarbeitet, die dem UN-Ausschuß für die Rechte des Kindes im März 1995 zugeleitet worden ist. Sie soll zusammen mit dem Erstbericht der Bundesregierung Gegenstand der Beratungen des Ausschusses sein, der sich im Sommer 1995 mit dem Stand der Verwirklichung der KRK in Deutschland beschäftigen wird.

FORUM Jugendhilfe dokumentiert im folgenden den deutschen Text dieser Stellungnahme sowie eine Kurzfassung in Form von Empfehlungen für den Ausschuß. Die dem Ausschuß vorgelegten Texte in englischer Sprache können bei der Geschäftsstelle der AGJ angefordert werden.

Weiterhin werden die (häufig zitierte) „Vorbehaltserklärung" der Bundesregierung sowie das Vorwort zum Erstbericht dokumentiert.

Abschließend informieren wir über Ziele und Aufgaben sowie Struktur und Arbeitsweise der NC.

Eine Broschüre mit dem Text des Übereinkommens sowie dem Ratifikationsgesetz und der Bekanntmachung über das Inkrafttreten kann kostenlos angefordert werden bei AJS-Landesstelle Nordrhein-Westfalen, Hohenzollernring 85-87, 50672 Köln, FAX:0221/95153818.

Der Bericht der Bundesrepublik Deutschland an die Vereinten Nationen gemäß Art. 44 Abs. 1 Buchst. a des Übereinkommens über die Rechte des Kindes kann kostenlos angefordert werden beim Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend, Rochusstr. 8-10, 53123 Bonn.

Stellungnahme der Koordinierungsgruppe der National Coalition zum Erstbericht der Bundesregierung zur UN-Kinderrechtskonvention

GLIEDERUNG

Vorbemerkungen
1. Grundhaltung des Erstberichts
2. Ausgangsposition der National Coalition

Allgemeine Durchführungsmaßnahmen
3. Kinderrechte in der Bundesrepublik Deutschland
4. Umsetzung der Kinderrechtskonvention (Art.4)
5. Bekanntmachung der Kinderrechtskonvention (Art.42)
6. Bekanntmachung des Erstberichts (Art.44 Abs.6)

Allgemeine Grundsätze
7. Wohl des Kindes (Art.3)
8. Entwicklungshilfe, Recht auf Überleben (Art.6 u.a.)
9. Achtung der Meinung des Kindes (Art.12)

Zivile Rechte und Freiheiten
10. Zugang zu angemessener Information (Art.17)

Familiäre Umgebung und andere Formen der Betreuung
11. Elterliche Verantwortung (Art.18), Trennung von den Eltern (Art.9)
12. Mißhandlung und Verwahrlosung (Art.19), sexuelle Ausbeutung und sexueller Mißbrauch (Art.34)

Gesundheitliche Grundversorgung und Wohl des Kindes
13. Überleben und Entwicklung (Art.6 Abs.2)
14. Kinderbetreuungsdienste und -einrichtungen (Art.18 Abs.1)
15. Lebensstandard (Art.27 Abs.1-3)

Erziehung, Freizeitbeschäftigung und kulturelle Betätigung
16. Freizeitbeschäftigung, Erholung und kulturelle Betätigung (Art.31)

Sozialschutzmaßnahmen
17. Ausländerkinder
18. Flüchtlingskinder (Art.22) 19. Drogenmißbrauch (Art.33)

Schlußbemerkungen

Vorbemerkungen

1. Grundhaltung des Erstberichts

Mit dem „Bericht der Bundesrepublik Deutschland an die Vereinten Nationen gem. Art. 44 Abs. 1, Buchst. a des Übereinkommens über die Rechte des Kindes" (im folgenden: Erstbericht)2 wiederholt die Bundesregierung ihre Auffassung, wonach das Übereinkommen der Vereinten Nationen über die Rechte des Kindes (im folgenden: Kinderrechtskonvention) große Bedeutung hat und „einen Impuls für innerstaatliche Reformen auf den Gebieten der Gesetzgebung und sonstiger Maßnahmen setzt" (S.2). Zugleich jedoch sieht die Bundesregierung keinen Handlungsbedarf, weil die deutsche Rechtslage durch die Kinderrechtskonvention bestätigt werde. Die Bundesregierung habe das erforderliche Vertragsgesetz nur deswegen in den Bundestag eingebracht, weil aus ihrer Sicht sichergestellt war, daß das innerstaatliche Recht nach einer Ratifizierung keiner Änderung bedürfe. Um hierzu etwaige Mißverständnisse auszuschließen, hat die Bundesregierung auch ihre früheren Erklärungen (Vorbehalte) im Erstbericht bekräftigt (S.2, Anlage).

Mit dieser Haltung unterstreicht die Bundesregierung aus Sicht der National Coalition für die Umsetzung der UN-Kinderrechtskonvention in Deutschland - Koordinierungsgruppe - (im folgenden: NC) ihre defensive und auch widersprüchliche Haltung gegenüber der Kinderrechtskonvention. Darüber hinaus hat sie die Aussagekraft ihres Berichts weiter eingegrenzt: Im Zusammenhang mit der „Situation und Entwicklung der Lebensverhältnisse von Kindern in Deutschland (1991 - 1994)" verweist sie auf den beabsichtigten Kinderbericht (S. 62). Darüber hinaus will die Bundesregierung über neue Entwicklungen und erzielte Fortschritte (Art.44 Abs.1) erst im nächsten (Fünf-Jahres-) Bericht informieren (S.2). Die Bundesregierung nimmt damit Bezug auf Schriften, die noch gar nicht existieren.

2. Ausgangsposition der National Coalition

Aus Sicht der NC kann die Kinderrechtskonvention nur dann richtig verstanden werden, wenn die Umsetzung der Rechte des Kindes als dauernde Aufgabe angesehen wird. Dabei hält es die NC insbesondere für bedeutsam, daß bei der Kinderrechtskonvention über Schutzmaßnahmen (Protection) hinaus die Ziele der Förderung/Versorgung (Provision) und Beteiligung (Participation) gleiches Gewicht erhalten.

Insoweit macht auch die Übersetzung des englischen Originaltexts „the best interest of the child" mit „Kindeswohl" eine Klarstellung erforderlich: Der Kindeswohlbegriff wird nach herkömmlichem deutschem Rechtsverhältnis in erster Linie herangezogen, um bei Rechtsverletzungen staatliche eingriffe im Sinne von Schutzmaßnahmen (Protection) zu legitimieren (z.B. Entziehung des elterlichen Sorgerechts bei Verletzungen des Kindeswohls). Die Konvention bringt dem gegenüber einen positiven Inhalt zum Ausdruck, der den Staaten nicht nur Schutzmaßnahmen, sondern Förderung (Provision) auferlegt. Sie begründet damit die Verpflichtung, in allen die Interessen von Kindern betreffenden Angelegenheiten auf die Herstellung kinderfreundlicher Lebensbedingungen hinzuwirken.

Die NC hält es für geboten, diesen Rechtsfortschritt - auch in der Öffentlichkeit- zu verdeutlichen und auf allen Verantwortungsebenen Instrumente zur Durchführung praktischer Kinderfreundlichkeit zu entwickeln.

Vor diesem Hintergrund hat die NC zum Erstbericht eine differenzierte Haltung. Zum einen begrüßt sie, daß der Bericht eine ausführliche Darstellung der Normen des Deutschen Rechts enthält, die mit den Artikeln der Kinderrechtskonvention übereinstimmen oder diese ausfüllen. Positiv ist im Prinzip auch - trotz der unter 1 angesprochenen Unvollständigkeit - die im Bericht enthaltene „Darstellung wesentlicher Aspekte der tatsächlichen Lebenssituation der Kinder und Jugendlichen in Deutschland" (S.62 ff.) sowie die Auflistung der „Entwicklungen in den Jahren 1991 bis 1994" (S.81 ff.)

Zum anderen macht aber die Grundhaltung der NC gegenüber der Kinderrechtskonvention Ergänzungen des Erstberichts der Bundesregierung erforderlich; dies gilt sowohl für die Informationen zur tatsächlichen Lebenssituation von Kindern als auch hinsichtlich der Einschätzung von Fortschritten und Schwierigkeiten bei der Umsetzung. Die NC hält es für geboten, daß gerade die Bereiche gezielt überprüft werden, die in der von der Bundesregierung immer wieder betonten (Vorbehalts-)Erklärungen benannt werden.

Im folgenden werden daher wichtige Ergänzungen dargelegt. Sie erheben keinen Anspruch auf Vollständigkeit. Für die Gestaltung positiver Lebensbedingungen in Deutschland müssen die im Lande entwickelten fachlichen und sozialen Standards der Maßstab für die Umsetzung der Kinderrechtskonvention sein. Darüber hinaus muß vor dem Hintergrund der vergleichsweise privilegierten Situation von Kindern in Deutschland geprüft werden, was deutsche Politik zur Verbesserung oder Verschlechterung der Lage von Kindern in anderen Teilen der Welt beiträgt.

Die Auswahl der konkret angesprochenen Artikel bedeutet keine Rangfolge. Die Reihenfolge (Gliederung) orientiert sich soweit wie möglich an den Vorgaben des Komitees über die Rechte des Kindes, 3 an die sich auch der Erstbericht angelehnt hat.

Im übrigen behalten sich die einzelnen Mitglieder der NC vor, dem Komitee über die Rechte des Kindes weitergehende Anregungen zur Verfügung zu stellen.

Allgemeine Durchführungsmaßnahmen

3. Kinderrechte in der Verfassung der Bundesrepublik Deutschland

Bisher nennt der Text der deutschen Verfassung (Grundgesetz) ausdrücklich nur das Recht des Kindes auf Schutz (Protection). Anläßlich der deutschen Einheit mußte die Verfassung überarbeitet werden. Dabei haben sich bedeutende Stimmen aus Politik, Wissenschaft und Gesellschaft dafür eingesetzt, zusätzlich die Förderung (Provision) als eigenständiges Recht des Kindes ausdrücklich mit Verfassungsrang auszustatten. Diese -auch im Blick auf die Kinderrechtskonvention aufgestellte - Forderung hat keine Mehrheit gefunden. Das wurde im wesentlichen damit begründet, daß den Kindern implizit alle Grundrechte zustehen; auch biete die in der bisherigen Verfassung bereits geregelte „Pflicht" der Eltern zur Erziehung und Pflege einen ausreichenden Rahmen dafür, daß Kinder zu ihrem Recht kämen.

Die NC hält es für geboten, für eine umfassende Umsetzung der Kinderrechtskonvention einen neuen Anlauf zu einer Verfassungsänderung, auch in den Bundesländern, vorzunehmen.

4. Umsetzung der Kinderrechtskonvention (Art.4)

Die Bundesrepublik Deutschland hat einen föderalen Aufbau. Die fachliche und finanzielle Verantwortung für wichtige soziale, wirtschaftliche und kulturelle Leistungen für Kinder und Familien wird im Rahmen der kommunalen Selbstverwaltung von gewählten Volksvertretungen auf der örtlichen Ebene wahrgenommen.

Die NC hält hierzu eine Klarstellung für geboten, daß angesichts der föderalen Struktur der Bundesrepublik Deutschland die Behörden auf kommunaler Ebene der Länder und des Bundes gleichermaßen an die von Deutschland eingegangenen Verpflichtungen gebunden sind.

Obwohl Deutschland ein wohlhabendes Land ist, stehen Politik und Verwaltung auf den genannten Ebenen - gemessen am gesellschaftlich möglichen Niveau - nicht im ausreichenden Maße Mittel zur Verfügung, um die Rechte des Kindes zu verwirklichen. Eine unzureichende Gestaltung der gesellschaftlichen Verhältnisse für Kinder stellt auch der Fünfte Familienbericht der Bundesregierung fest, wenn er von einer „strukturellen Rücksichtslosigkeit der Gesellschaft gegenüber Familien und Kindern" spricht.

Die NC hält es für geboten, auch in den Kommunen und Kreisen zu prüfen, ob alle einschlägigen Maßnahmen für Kinder „unter Ausschöpfung ihrer verfügbaren Mittel" durchgeführt werden. Über die Umsetzung der Verpflichtungen aus der Kinderrechtskonvention auf der Ebene der Bundesländer und Kommunen sollte - insbesondere im Hinblick auf die Verpflichtung aus Art. 4 - ausführlicher berichtet werden.

5. Bekanntmachung der Kinderrechtskonvention (Art.42)

Die Inhalte der Kinderrechtskonvention sollen bei Erwachsenen und bei Kindern allgemein bekannt gemacht werden (Art.42). Trotz der bisherigen Maßnahmen, die vor allem auf der Länderebene erfolgt sind, ist die Kinderrechtskonvention in Deutschland weitgehend unbekannt.

Wegen der föderalen Verfassungsordnung und der damit verbundenen Zuständigkeiten müssen für die Verbreitung alle staatlichen Ebenen einbezogen werden: die Länder z.B. im Bereich der Schulen sowie der Rundfunk- und Fernsehanstalten, die Kommunen z.B. im Bereich der außerschulischen Jugendarbeit.

Die NC hält es für geboten, in einem wirklichen Dialog mit diesen staatlichen Institutionen, mit Nichtregierungsorganisationen und mit Kindern ein umfassendes Konzept und für alle Ebenen eigenständige Maßnahmen für die Bekanntmachung zu entwickeln und darüber zu berichten.

6. Bekanntmachung des Erstberichts (Art.44 Abs.6)

Schon frühzeitig haben Nichtregierungsorganisationen zur Umsetzung der Kinderrechtskonvention in Deutschland Stellung genommen. Zunächst geschah dies in Beiträgen für die Kinderkommission des Deutschen Bundestages, später in einigen Stellungnahmen zum „Teil-Rohentwurf" des Erstberichtes der Bundesregierung, den das zuständige Bundesministerium vorgelegt hatte. Die Nichtregierungsorganisationen hatten dabei auf Punkte hingewiesen, in denen die Konvention nach ihrer Auffassung nicht erfüllt ist. Sie befanden sich damit im Widerspruch zu der unter 1 dargestellten Auffassung der Regierung, daß die Verpflichtungen aus der Konvention in der Bundesrepublik weitgehend umgesetzt worden sind. Die Bundesregierung hat nicht deutlich gemacht, ob und wie sie andere Auffassungen im Erstbericht berücksichtigen würde.

Im übrigen bedauert die NC, daß die Regierung ihren im August 1994 vorgelegten Erstbericht bisher weder öffentlichkeitswirksam präsentiert noch Veranstaltungen dazu angeboten hat.

Die Nichtregierungsorganisationen sind übereingekommen, gemeinsam den Erstbericht auszuwerten. Eine erste Einschätzung zu Schwerpunkten wird mit der hiermit vorgelegten Stellungnahme der NC gebündelt. Anschließend sollen der Erstbericht und diese Stellungnahme weiter verbreitet und damit eine öffentliche Auseinandersetzung über die Inhalte der Kinderrechtskonvention vertieft werden. Die NC möchte mit dem von ihr geplanten offenen „Forum UN-Kinderrechtskonvention" hierzu ein Angebot machen.

Die Vertragsstaaten sind verpflichtet, „für eine weite Verbreitung ihrer Berichte im eigenen Land" zu sorgen. Die NC hält es deshalb für geboten, ein praktisches Konzept zu entwickeln, nach dem regelmäßig die Umsetzung der Kinderrechtskonvention geprüft und öffentlichkeitswirksam darüber berichtet werden kann.

Allgemeine Grundsätze

7. Wohl des Kindes (Art.3)

Die „Vorrangklausel" des Art.3 verlangt, daß bei politischen Entscheidungen die Belange von Kindern konkret in die Überlegungen einbezogen werden müssen. Aus der Sicht der NC begründet dies die Verpflichtung, die Interessen der nachwachsenden Generation in allen sie betreffenden Angelegenheiten offenzulegen und dadurch der öffentlichen Diskussion zugänglich zu machen.

Nach Auffassung der NC entfaltet die „Vorrangklausel" im deutschen Recht ihre Bedeutung vor allem im Rahmen sogenannter Ermessensentscheidungen. Hier sind unterschiedliche Belange gegeneinander abzuwägen, z.B. im Städtebaurecht, wenn gestalterische, wirtschaftliche, ökologische, verkehrsmäßige und soziale Belange miteinander in Konkurrenz stehen, oder im Ausländerrecht, wenn staatliche Interessen mit dem Bleibebedürfnis der Betroffenen kollidieren. Die NC hält es für geboten, soweit möglich, im Rahmen von Ausführungsbestimmungen sicherzustellen, daß die „Vorrangklausel" Berücksichtigung findet und im übrigen durch geeignete Maßnahmen dafür Sorge getragen wird, daß die nach der Kinderrechtskonvention bestehende Rechtslage für Entscheidungsträger in Verwaltung und Rechtsprechung gezielt bekannt gemacht wird.

8. Entwicklungshilfe, Recht auf Überleben (Art.6 u.a.)

Die Kinderrechtskonvention hebt mehrfach die internationale Zusammenarbeit als besonders bedeutsam für die Umsetzung der Rechte des Kindes hervor. Der Erstbericht bestätigt dies an zwei Stellen (S.40 und 46). Die NC hält es darüber hinaus für geboten, daß die folgenden Aspekte erörtert werden:

Positive Leistungen:

Es ist wünschenswert, daß die vielfach positiven Leistungen staatlicher Stellen und privater Initiativen in Deutschland, Kindern in aller Welt Unterstützung zukommen zu lassen, dargestellt werden.

Entwicklungshilfe:

Internationale Organisationen wie UNICEF, UNDP und UNFPA haben errechnet, daß zur Verbesserung der Befriedigung der Grundbedürfnisse (Gesundheit, Ernährung und Grundbildung) von Kindern in Entwicklungsländern zusätzlich jährlich ca. 30 bis 40 Milliarden Dollar benötigt werden. Diese können aufgebracht werden, indem 20% der Entwicklungshilfe der Industrieländer und 20% der Staatsausgaben in den Entwicklungsländern selbst für diese Grundbedürfnisse verwendet werden. Nach Angaben des Bundesministeriums für Wirtschaftliche Zusammenarbeit aus dem Jahre 1994 liegt der Anteil der deutschen Entwicklungshilfe für die direkte Armutsbekämpfung nur bei 13 %. Zudem entfernt sich der Anteil der deutschen Entwicklungshilfe am Bruttosozialprodukt (derzeit 0,34%) von der auf internationaler Ebene zugesagten Höhe von 0,7%. Schließlich muß vermieden werden, daß Auflagen internationaler Finanzsituationen die Rechte von Kindern auf (Über-) Leben negativ berühren. Belastend kann sich z.B. auswirken, wenn Strukturanpassungsmaßnahmen zu Kürzungen von Leistungen im Gesundheits- und Erziehungsbereich bis hin zum völligen Zusammenbruch dieser für Kinder lebenswichtigen Angebot führen.

Rüstungsgeschäfte:

Bei Rüstungsexporten und Militärhilfe sind die nachteiligen Wirkungen für Kinder besonders zu bedenken. Die NC hält es für notwendig, darzulegen, ob und wie die Regierung Einfluß darauf nehmen will, damit (Fehl-) Investitionen im unproduktiven Militärbereich nicht steigen, weil die damit verbundene Staatsverschuldung regelmäßig zu Lasten der zivilen Infrastruktur und damit auch zu Lasten von Kindern geht, und ob sie das weltweite Verbot von Waffen, die besonders verheerende Wirkungen auf Kinder haben (z.B. Landminen), unterstützen will.

Kinderarbeit:

Wie die meisten anderen Industrieländer zieht auch Deutschland Vorteile aus der Kinderarbeit in Entwicklungsländern. Nach Auffassung der NC ist Deutschland verpflichtet -über die Bekämpfung verbotener Kinderarbeit im eigenen Lande hinaus- sich für mehr Gerechtigkeit in den Welthandelsbeziehungen einzusetzen und damit auch zu einer Verringerung der Kinderarbeit beizutragen.

Kinderprostitution:

Die NC ist der Auffassung, daß neben den bereits erfolgten Strafrechtsänderungen zusätzliche Maßnahmen erforderlich sind. Nur so kann wirksam gegen den sexuellen Mißbrauch von Kindern durch Sextouristen in den Ländern Südostasiens, Lateinamerikas und Afrikas vorgegangen werden. Notwendig sind z.B. bilaterale Verträge mit den Zielländern der Sextouristen und ein Verbandsklagerecht, da die Opfer in der Regel nicht in der Lage sind, ihr Recht in der Bundesrepublik wirksam einzuklagen.

9. Achtung der Meinung des Kindes (Art.12)

Nach Auffassung der NC ist Art. 12 die Vorschrift, die die maßgebliche Regelung der Rechte von Kindern auf Beteiligung enthält.

Alle Beteiligten wie Kinder- und Jugendämter, Schule und Einrichtungen der Kinder- und Jugendhilfe sind aufgefordert, den Kindern die Gelegenheit zu geben, kindgerecht ihre Meinung zu artikulieren und Möglichkeiten zur Berücksichtigung der Meinung von Kindern zu schaffen und auszubauen. Hierzu gehört auch, Kinderinteressen in Planungs- und Verwaltungsprozesse einzubringen. Die NC hält es für geboten, die in diesem Zusammenhang im Erstbericht genannten Beispiele noch quantitativ und qualitativ zu ergänzen. Darüber hinaus ist zu erläutern, was von staatlicher Seite aus getan werden kann, um diese Ansätze zu unterstützen.

Für den Bereich der öffentlichen Jugendhilfe fordert die Regelung in § 8 KJHG für Kinder und Jugendliche entsprechend ihrem Entwicklungsstand umfangreiche Informations- und Beteiligungsrechte. Die NC ist der Auffassung, daß diese Rechte auf andere, Kinder berührende Angelegenheiten ausgedehnt werden sollten. Institutionen und Einrichtungen sollten geschaffen und unterstützt werden, damit Kinder auch praktisch in die Lage versetzt werden, ihre Rechte wahrzunehmen.

Zivile Rechte und Freiheiten

10. Zugang zu angemessener Information (Art.17)

Die NC teilt die Einschätzung der Wissenschaft, wonach insbesondere Werbung und Gewaltdarstellungen in den Medien negativ belastende Wirkungen für Kinder vor allem im Kontext sonstiger belastender Lebensumstände entfalten.

Die NC hält eine Darstellung für geboten, wie die vorgesehene „Erarbeitung geeigneter Richtlinien zum Schutz des Kindes vor Informationen und Material, die sein Wohlergehen beeinträchtigen" (Art.17e) in Deutschland erfolgt und wie diese Vorgaben wirksam werden können. Die Anwendung neuer Technologien sowie die Internationalisierung der Medien und des Informationsaustausches erfordern hierzu auch neue Wege der internationalen Zusammenarbeit. In diesem Zusammenhang sollte auch berichtet werden, ob der Schutz der Kinder durch die im Erstbericht angesprochene freiwillige Selbstkontrolle der Medien tatsächlich wirksam ist.

Für Medienpolitik sind im wesentlichen die Bundesländer zuständig. Die NC hält es für geboten, im Bericht darzustellen, wie staatliche Stellen „die Massenmedien ermutigen, Informationen und Material zu verbreiten, die für das Kind von sozialem und kulturellem Nutzen sind und dem Geist des Art. 29 entsprechen" (Art.17a) oder „die Herstellung und Verbreitung von Kinderbüchern fördern" (Art.17c).

Familiäre Umgebung und andere Formen der Betreuung

11. Elterliche Verantwortung (Art.18), Trennung von den Eltern (Art.9)

Die Bundesregierung hat an mehreren Stellen des Erstberichts zum Bereich des Kindschafts- und Familienrechts ihrem Reformwillen bekundet (S.24, 28, 81 ff.). Daneben hat sie gleichzeitig ihre auf die Art.2, 9 und 18 bezogenen Vorbehalte bekräftigt. Die NC geht davon aus, daß die geplante Reform dieser Rechtsbereiche in Deutschland den Anliegen der Kinderrechtskonvention entsprechen muß.

Deshalb hält es die NC für geboten, mit der Reform insbesondere die in den Vorbehalten angesprochenen Rechte des Kindes gem. Art. 2, 8, 9 und 18 zu verwirklichen, da

  • nach jetzt geltendem Recht eheliche und nichteheliche Kinder in wesentlichen Angelegenheiten noch nicht durchgängig gleichgestellt sind,
  • ein gemeinsames Sorgerecht bei Eltern ehelicher Kinder nach Scheidung nur in Ausnahmefällen möglich ist und bei nichtehelichen Kindern generell nicht zulässig ist,
  • das Umgangsrecht bisher vorrangig als Recht des Elternteils und nicht als Recht des Kindes ausgestaltet ist und ein Kontaktrecht zwischen einem nichtehelichen Kind und seinem Vater nicht ausreichend entwickelt ist,
  • bei den gesetzlichen Regelungen zur Adoption, zur Feststellung der Abstammung (Vaterschaft) im allgemeinen und zur künstlichen Fortpflanzung und Leihmutterschaft im besonderen das Recht des Kindes auf Kenntnis seiner Herkunft nicht oder nur unzureichend berücksichtigt wird.

  • Die Notwendigkeit der genannten Reformschritte ergibt sich auch aus der einschlägigen Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts, das insoweit in mehreren Entscheidungen die Unvereinbarkeit des geltenden Rechts mit der Verfassung deutlich gemacht hat.

    12. Mißhandlung und Verwahrlosung (Art.19), sexuelle Ausbeutung und sexueller Mißbrauch (Art.34)

    In Deutschland wird davon ausgegangen, daß jährlich 150.000 Kinder körperlich mißhandelt, über eine Million Kinder von ihren Eltern mit Gegenständen geschlagen und 108.000 sexuell mißbraucht werden. Das Ausmaß von Kindesvernachlässigung ist zahlenmäßig nicht nachweisbar, einige Autoren sprechen insoweit von 100.000 Kindern. Konzeption und Strategien staatlicher Stellen, wie der Gewalt gegen Kinder begegnet werden kann, sind im Erstbericht nicht beschrieben.

    Auch vor diesem Hintergrund hält es die NC für unzureichend, wenn beim „Mißhandlungsverbot" gem. § 1631 Abs. 2 BGB nur im Sinne einer klaren Unterscheidung zwischen erlaubten und verbotenen Maßnahmen präzisiert werden soll (S.36). Die NC hält es vielmehr für geboten, im Sinne des Art. 19 durch entsprechende gesetzliche Normen klarzustellen, daß Kinder gewaltlos zu erziehen sind und damit entwürdigende Erziehungsmaßnahmen, insbesondere körperlich und seelisch verletzende Strafen, unzulässig sind.

    Die Ziele einer solchen gewaltfreien Erziehung sollten in Aufklärungskampagnen deutlich gemacht und durch vielfältige Maßnahmen zur Unterstützung der Erziehung in der Familie begleitet werden. Die NC hält es für geboten, über die Darstellung im Erstbericht hinaus deutlich zu machen, in welchem qualitativen und quantitativen Umfeld solche Maßnahmen durchgeführt und finanziert werden.

    Auch Maßnahmen zum Schutz der Kinder vor Kinderprostitution und Kinderpornographie können nur dann durchgeführt werden, wenn ausreichende finanzielle Ressourcen für adäquate Hilfsangebote zur Verfügung stehen. Dies ist derzeit nicht ausreichend der Fall. Für diesen Problembereich liegen valide Zahlen über die Häufigkeit solcher Fälle nicht vor.

    Auch bleiben die im Erstbericht beschriebenen Verschärfungen des Strafgesetzbuches, die einen vermehrten Schutz von Kindern vor pornographischer Ausbeutung bewirken sollten, in der Praxis bisher weitgehend folgenlos. Die NC hält es für geboten, darüber zu berichten, wie die Strafverfolgungsbehörden für diese Aufgaben quantitativ ausgestattet sind und auf welche Weise sie sich auf die besonderen Probleme der betroffenen Kinder einstellen.

    Gesundheitliche Grundversorgung und Wohl des Kindes

    13. Überleben und Entwicklung (Art.6 Abs.2)

    Der Erstbericht geht in diesem Zusammenhang auf Fragen des Strahlenschutzes ein (S.99). Nach Auffassung der NC umfassen die die Kinder gefährdenden oder ihnen nicht zumutbaren Umweltbelastungen darüber hinaus den Bereich der Zunahme von sog. Umweltkrankheiten (z.B. Allergien, Pseudokrupp, Asthma, Hautreizungen). Zu berücksichtigende Faktoren sind außerdem die generelle Problematik von Grenzwerten gesundheitsgefährdender Stoffe sowie des schädlichen Ausstoßes von Kohlendioxyd in die Luft, an dem Deutschland maßgeblich beteiligt ist.

    Die NC hält es für geboten, zu diesen Entwicklungen entsprechendes Zahlenmaterial zur Verfügung zu stellen. Darüber hinaus sollte berichtet werden, welche Bemühungen Bund, Länder und Gemeinden unternehmen, um die Lebenswelten von Kindern jetzt und für ihre Zukunft so zu gestalten, damit für Kinder keine Gefahren in bezug auf ihre Gesundheit entstehen. Dabei sollte auch die Wirksamkeit dieser Bemühungen und die Anwendung kindgerechter Meßverfahren dargelegt werden.

    14. Kinderbetreuungsdienste und -einrichtungen (Art.18 Abs.1)

    Der Erstbericht unterstreicht die Bedeutung dieser Angebote (S.41 f.,94,95 f.). Seit der Kindergartenreform in den siebziger Jahren, bestätigt durch das Inkrafttreten des Kinder- und Jugendhilfegesetzes 1991, soll der Kindergarten in Deutschland eine Bildungs- und Erziehungseinrichtung für alle Kinder und nicht nur für diejenigen von berufstätigen Eltern sein. Ein Rechtsanspruch auf einen Kindergartenplatz, der ab Januar 1996 für alle Kinder ab 3 Jahren gelten soll, ist 1992 durch das Schwangeren- und Familienhilfegesetz gesetzlich festgelegt worden. Die Bundesregierung berichtet, daß eine Verwirklichung dieses Anspruchs in Ländern und Gemeinden auf erhebliche Schwierigkeiten stößt.

    Die NC hält es für geboten, im Hinblick auf die Umsetzung des Anspruchs auf einen Kindergartenplatz neben den vom Erstbericht angesprochenen Öffnungszeiten (S.41) darzustellen, wie ein bedarfsdeckendes Angebot quantitativ und qualitativ realisiert werden kann; zur Qualität der pädagogischen Angebote gehört auch die Aus- und Fortbildung der pädagogischen Fachkräfte. Außerdem ist aus fachlicher Sicht zu erörtern, wie der Gefahr einer Qualitätsverschlechterung entgegengewirkt werden kann.

    15. Lebensstandard (Art.27 Abs.1-3)

    Der Erstbericht verweist einerseits auf finanzielle Leistungen im Bereich der Kinder- und Familienförderung, die „zu einer insgesamt positiven Entwicklung der wirtschaftlichen Situation von Familien beigetragen haben" (S.67). Auf der anderen Seite hebt er hervor, daß der Anteil von Kindern und Jugendlichen in Familien, die Sozialhilfeempfänger sind, „an der Gesamtbevölkerung in den letzten Jahren - bedingt durch die schwierige wirtschaftliche Entwicklung - gestiegen „ ist (S.65 f.).

    Die Art und Weise, wie Kinder in diese Gesellschaft hineinwachsen, ist maßgeblich davon abhängig, welche Mittel den Familien für die Versorgung der Kinder zur Verfügung stehen. Nach der Definition von Armut durch die EU (weniger als 50% des durchschnittlich verfügbaren Einkommens) müssen in den neuen Bundesländern 21,9% und in den alten Bundesländern 11,8% der Kinder als arm gelten. Insgesamt sind hiervon 2,2 Millionen Kinder betroffen, wobei 1 Million Kinder von Sozialhilfe leben. Mit Stand von 1993 leben 500.000 Kinder in Obdachlosensiedlungen. In Deutschland haben sich Einkommen und Vermögen insbesondere zu Lasten Alleinerziehender und von Familien mit Kindern verschoben.

    Das Bundesverfassungsgericht hat unter Berufung auf den verfassungsmäßigen Schutz der Familie (Art.6 GG) und den Gleichheitsgrundsatz (Art.3 GG) festgestellt, daß der Teil des Einkommens, der zur Sicherung des soziokulturellen Existenzminimums von Kindern benötigt wird, nicht besteuert werden darf. Diese Vorgabe ist bisher noch nicht umgesetzt worden.

    Die NC hält die Darstellung der Strategien für geboten, mit denen Kinder - aufgrund des gesamten Systems der Steuerlasten, Steuerbefreiungen und sonstiger Transferleistungen - für Familien der mittleren und unteren Einkommensbereiche nicht weiter ein Armutsrisiko bilden würden. Im Rahmen der Umsetzung von Art.27 sollte konkret dargelegt werden, wie Familien steuerlich entlastet werden, damit sie die materiellen Aufwendungen für die Gestaltung positiver Lebensbedingungen ihrer Kinder aus ihrem eigenen Einkommen bestreiten können.

    Erziehung, Freizeitbeschäftigung und kulturelle Betätigung

    16. Freizeitbeschäftigung, Erholung und kulturelle Betätigung (Art.31)

    Der Erstbericht unterstreicht zwar die Bedeutung der in Art. 31 genannten Rechte des Kindes auf Ruhe, Erholung, Spiel, altersgemäße Freizeitbeschäftigung sowie die freie Teilnahme am kulturellen und künstlerischen Leben. Er nennt auch einige gesetzliche Rahmenbedingungen und Bereiche der Förderung.

    Die NC hält es darüber hinaus für geboten, die tatsächliche Situation bezüglich der Spielräume für Kinder und die Auswirkungen der derzeitigen Kürzungen der dafür zur Verfügung stehenden öffentlichen Mittel (etwa bei Ferienmaßnahmen und Freizeitstätten) zu überprüfen. Darüber hinaus ist erforderlich, Maßstäbe und Richtlinien für die Umsetzung des Rechts auf Spiel, Muße, Freizeit usw. zu entwickeln, damit Orientierungen für deren Verwirklichung vorhanden sind. Grundsätzliche Anforderungen an das Wohnumfeld, den Städtebau und die Freiflächenplanung sind einzubeziehen.

    Sozialschutzmaßnahmen

    17. Ausländerkinder

    Von den mehr als 1,7 Millionen ausländischen Kindern und Jugendlichen in Deutschland ist ein großer Teil hier geboren und aufgewachsen, d.h. er hat sein gesamtes Leben hier verbracht (S.63 ff.). Im Unterschied zu vielen anderen Ländern gilt in Deutschland das „ius soli" nicht (S.17). Deshalb bleiben grundsätzlich auch Kinder der zweiten und dritten Einwanderungsgeneration in Deutschland weiterhin Ausländer, selbst wenn sie und ihre Eltern nie einen anderen Lebensmittelpunkt als die Bundesrepublik Deutschland hatten.

    Der Erstbericht hat eine Gleichbehandlung deutscher Kinder mit Kindern von Migranten durch die Bestätigung der Vorbehaltserklärung der Bundesrepublik Deutschland ausgeschlossen. Danach könne z.B. Art.29 Abs.1 (e) nicht dahingehend ausgelegt werden, „daß Kinder von in der Bundesrepublik Deutschland lebenden Gastarbeiterfamilien oder Kinder sonst fremder Herkunft einen Anspruch darauf hätten, im Aufenthaltsland in ihrer Muttersprache unterrichtet zu werden" (S.46).

    Die NC hat große Zweifel, ob die rechtliche Stellung von Ausländerkindern, so wie sie in Deutschland in der Praxis besteht, mit den Bestimmungen der Kinderrechtskonvention vereinbart ist. Die Bundesregierung sollte gefragt werden, welche Maßnahmen im Staatsangehörigkeitsrecht (z.B. eine doppelte Staatsbürgerschaft) die Gleichbehandlung verbessern könnte, oder wie mit anderen Mitteln die Vorgaben der Kinderrechtskonvention in gleicher Weise auf deutsche Kinder und Kinder von Migranten angewendet werden können.

    18. Flüchtlingskinder (Art.22)

    Die NC unterstützt die Auffassung des Erstberichts (S.48 f.), wonach die in Art. 22 genannten Flüchtlingskinder „besonders schutzbedürftig" sind. Im Zusammenhang mit dem „angemessenen Schutz und humanitärer Hilfe bei der Wahrnehmung der Rechte" nach dieser Vorschrift stehen aber die vom Erstbericht bekräftigte Vorbehaltserklärung und die derzeitige Praxis in Deutschland im klaren Widerspruch zu den Anliegen der Kinderrechtskonvention.

    Die NC hält es für geboten, mit Blick auf die Umsetzung des Art.22 die Praxis der Behandlung von jungen Flüchtlingen zu überprüfen und verweist dazu auf die nachfolgend genannten Problembereiche.

    Minderjährige Flüchtlinge:

    Für Flüchtlingskinder besteht zumeist nur ein Schutz vor einer sofortigen Ausweisung, wenn sie einen Asylantrag stellen. Alleine wegen ihres Alters können diese Kinder die im Rahmen des deutschen Asylverfahrens geforderte individuelle Verfolgung jedoch nur selten nachweisen. Zudem werden sie häufig unfreiwillig in politische und militärische Auseinandersetzungen hineingezogen. Die NC ist der Auffassung, daß für Kinderflüchtlinge ein befristetes Aufenthaltsrecht (Aufenthaltsbefugnis) aus humanitären Gründen erforderlich ist. Dieses müßte unabhängig vom schwer belastenden Asylverfahren eine vertrauensvolle und kindgerechte Betreuung, Bildung und gesundheitliche Versorgung sicherstellen sowie die Entwicklung einer persönlichen Lebensperspektive ermöglichen.

    Unbegleitete Flüchtlingskinder:

    In der gegenwärtigen Praxis werden unbegleitete minderjährige Flüchtlinge als Asylsuchende behandelt. Um einen Asylantrag zu stellen, brauchen diese Kinder im Alter bis zu 15 Jahren einen amtlich bestellten Vormund oder Pfleger. Besondere Probleme ergeben sich für diese Kinder, weil in der Praxis die Amtsvormundschaften überlastet und faktisch nicht in der Lage sind, ihre für das Asylverfahren der Minderjährigen entscheidende Aufgabe angemessen wahrzunehmen. Z.B. dauert die Bestellung eines Amtsvormunds in Hamburg mehrere Monate; diese Stadt hat die größte Zahl unbegleiteter Flüchtlingskinder, und in der genannten Zeit ist die Situation der Kinder völlig unsicher.

    Minderjährige Flüchtlinge über 15 Jahren werden praktisch wie Erwachsene behandelt: Für sie wird nur noch selten eine Vormundschaft beantragt, sie werden in Erwachsenenunterkünften untergebracht und eine jugendgerechte Betreuung findet nicht statt. Darüber hinaus gibt es in Hamburg mehrere hundert obdachlose minderjährige Flüchtlinge, die zeitweise bei Landsleuten oder Bekannten unterkommen oder auf der Straße leben.

    Drittstaatenregelung:

    Die Regelung, wonach die Grenzbehörden einen Antrag auf Asyl ohne Prüfung zurückweisen können, wenn der Antragsteller aus einem „sicheren Drittland" kommt, entspricht nicht dem Geist des Art.22 und ist aus Sicht von Kindern unzumutbar.

    Flughafenregelung:

    Nach dieser Regelung werden Asylbegehrende auf den Flughäfen interniert und wird ein Schnellprüfungsverfahren durchgeführt. In der Regel werden sie sofort wieder abgeschoben, wenn ihr Antrag „offensichtlich unbegründet" ist oder der Flug über ein „sicheres Drittland" geführt hat. Bei diesem Verfahren werden die besonderen Schutzbedürfnisse von Kindern und Jugendlichen nicht berücksichtigt.

    Gleichbehandlung:

    Nach Informationen der NC werden Flüchtlinge gegenüber deutschen Staatsangehörigen ungleich behandelt. Insbesondere die Bereiche schulische Ausbildung, gesundheitliche Versorgung und sonstige Betreuungsleistungen sind mit den entsprechenden Angeboten für deutsche Kinder nicht vergleichbar.

    19. Drogenmißbrauch (Art.33)

    Drogen stellen insbesondere auch eine Bedrohung für Kinder dar (S.59 f.). Zu dem Bereich „Drogen und Sucht" zählen neben Heroin, Kokain, Haschisch usw. auch Alkohol, Nikotin, Medikamente, pathologisches Spielverhalten und Eßstörungen. Mit Stand von 1994 gibt es in Deutschland 2,5 Millionen Alkoholkranke, 800.000 Medikamentenabhängige sowie 100.000 Drogenabhängige (Heroin, Kokain). Zahlenangaben über den Umfang des pathologischen Spielverhaltens oder von Eßstörungen sind schwer erhältlich. Dieser Mißbrauch und diese Abhängigkeiten hängen mit vielen Faktoren der sozioökonomischen Lebensbedingungen zusammen. Zahlen über süchtige Kinder liegen nicht vor. Kinder und Jugendliche sind darüber hinaus auch indirekt von der Sucht betroffen, wenn sie durch süchtige Eltern in ihrer Entwicklung gehemmt werden.

    Die NC hält es für geboten, daß die im Erstbericht nebeneinander dargestellten einschlägigen Strafvorschriften und Maßnahmen des Sozialwesens sowie der Erziehung näher erläutert werden. Bezogen auf die praktische Umsetzung des Art. 33 wäre deutlich zu machen, wie durch eine angemessene Ursachenforschung Defizite in den Lebenslagen von Kindern aufgedeckt werden können, damit entsprechend materielle Hilfe sowie Aufklärung und Information vermittelt werden können. Nach Auffassung der NC dürfen drogenabhängige Kinder und Jugendliche nicht kriminalisiert und in die Verelendung gedrängt werden. Deshalb müssen Aufklärung und Hilfe vor Abschreckung und Strafe stehen; es muß jedem suchtkranken jungen Menschen ein an seinem individuellen Krankheitsbild und Bedarf orientiertes Unterstützungsangebot sofort zur Verfügung stehen.

    Schlußbemerkungen

    Die NC wird sich zu einem späteren Zeitpunkt auch mit den bisher nicht angesprochenen Teilen des Erstberichts beschäftigen. Eine Auseinandersetzung mit der tatsächlichen Situation der Kinder kann allerdings auf der jetzt vorgelegten formal-rechtlichen Grundlage kaum gelingen. Der Erstbericht kann aber ein guter Einstieg in die Diskussion um die Umsetzung der Kinderrechtskonvention sein.

    Die NC bleibt bei ihrer Auffassung, daß Deutschland auf Vorbehalte im Rahmen der Umsetzung der Kinderrechtskonvention verzichten sollte.

    Die Behandlung des Erstberichts durch das Komitee für die Rechte des Kindes in Genf könnte eine befruchtende Wirkung für die konstruktive Erörterung von hilfreichen Umsetzungsschritten in Deutschland haben. Damit könnten auch die Grundlagen für ein Zusammenwirken von Bundesregierung, weiteren staatlichen Ebenen und Institutionen sowie nicht-staatlichen Organisationen, Betroffenen und engagierten Bürgerinnen und Bürgern verbessert werden. Dies entspräche dem im deutschen Recht verankerten Prinzip der partnerschaftlichen Zusammenarbeit von öffentlicher und freier Jugendhilfe zum Wohl junger Menschen und ihrer Familien.

    Die NC möchte einen Beitrag dazu leisten, daß der Erstbericht der Bundesregierung, die Stellungnahme der NC und die Beratungen zwischen dem Komitee über die Rechte des Kindes und der Bundesregierung dazu genutzt werden, die Auseinandersetzung mit der Kinderrechtskonvention in Deutschland zu vertiefen.

    1 Alle Artikel ohne nähere Angabe beziehen sich auf die Kinderrechtskonvention

    2 BMFJ, Bundesministerium für Frauen und Jugend: Dokumentation, August 1994

    3 Allgemeine Richtlinien zu Form und Inhalt der von den Vertragsstaaten gemäß Artikel 44 Absatz 1 Buchstabe (a) des Übereinkommens vorzulegenden Erstberichten (15.Oktober 1991).


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