Diese Pressemappe wird bis zum Kindersymposium laufend mit neuen Informationen über die stattfindenden Vorträge versehen.

Derzeit finden Sie hier die Zusammenfassungen folgender Vorträge

Dr. Christian Salazar-Volkmann (UNICEF Deutschland): Die UN-Konvention: Rechte des Kindes - Problemaufriß

Dorit Stenke (TU-Dresden): Zwischen Anerkennung und Abgrenzung. Interaktion von Jungen und Mädchen in der Schule.

Dr. Sabine Walper (Universität München): Armut von Kindern

Dipl. Soz. Gabriela Zink (Deutsches Jugendinstitut München): Straßenkinder und Straßenkarrieren

Dipl. Soz. Simone Kruschwitz (AG "Gewalt im sozialen Nahraum)





Dr. Christian Salazar-Volkmann (UNICEF Deutschland)

Die UN-Konvention: Rechte des Kindes - Problemaufriß

187 Staaten der Erde haben die Konvention über die Rechte des Kindes bislang ratifiziert. Allerdings hat ein Drittel der Staaten - darunter die Bundesrepublik Deutschland - die Rechte der Kinder nicht uneingeschränkt in Kraft gesetzt. UNICEF und andere Kommentatoren haben diese Konvention 1990 bei Inkrafttreten als "Magna Charta" zum Wohle der Kinder als "Meilenstein" oder "Historischen Wendepunkt" bezeichnet. Sie definiert internationale Mindeststandarts für die Versorgung, den Schutz und die Beteiligung von Kindern am gesellschaftlichen Leben.

Mit der Konvention über die Rechte des Kindes gelang ein Durchbruch in der Geschichte der Menschenrechte. Erstmals werden politische Bürgerrechte und soziale Menschenrechte in einem Dokument zusammengeführt. Dabei fließen zwei geistesgeschichtliche Traditionen zusammen, die sich drei Jahrhunderte parallel, teilweise im politischen Gegensatz zueinander entwickelt haben. Es ist faszinierend zu sehen, wie in der Kinderkonvention gewissermaßen Kant, Rousseau, Locke und Marx zueinander finden. Noch 1948 standen sich unterschiedliche Auffassungen von Menschenrechten unversöhnlich gegenüber. Ein Vertreter der englischen Regierung bei den Vereinten Nationen äußerte damals: "Wir wünschen freie Menschen, nicht wohlgenährte Sklaven." - worauf der ukrainische Vertreter entgegnete: "Freie Menschen können verhungern."

In vielen Ländern haben sich Nationale Koalitionen für die Rechte des Kindes gebildet. Einige Beispiele sind die französische COFRADE, die aus Hunderten von Organisationen besteht. In Großbritanien haben die Kinder- und Jugendorganisationen eine Geschäftsstelle für Kinderrechte, eingerichtet: die Children's Rights Development Unit. In der Schweiz setzt sich ein NRO-Bündnis intensiv für die Unterzeichnung und Ratifizierung der Konvention ein. Auch in vielen Entwicklungsländern - Kambodscha, Bangladesch, Nepal, um nur drei Beispiele zu nennen - sind Bündisse für die Rechte der Kinder entstanden.

Die Bundesregierung hat bereits vor 1989 an der Konvention über die Rechte des Kindes mitgearbeitet. Im Verlauf der Verhandlungen sind von deutscher Seite aus eine Reihe von Einwänden vorgebracht worden:

1. Generalklausel: Die Bundesregierung erklärt, daß Deutschland die Kinderkonvention "nach näherer Bestimmung ihres mit dem Übereinkommen übereinstimmenden innerstaatlichen Rechts erfüllt."

2. Kinderschaftsrecht: Der zweite Vorbehalt richtet sich vor allem gegen ein gemeinsames Sorgerecht als Regelfall und die Gleichstellung von nichtehelichen Kindern in erbrechtlichen Fragen.

3. Strafrecht: Der dritte Vorbehalt schränkt die Rechte der Kinder auf einen Pflichtverteidiger und die Revision ein, wenn "Straftaten minderer Schwere" verhandelt werden.

4. Asyl- und Ausländerrecht: Der vierte Vorbehalt macht deutlich, daß das deutsche Ausländer- und Asylrecht nicht durch die Konvention berührt werden soll.

5. Kindersoldaten: Hier handelt es sich um einen "positiven" Vorbehalt. Die Bundesrepublik Deutschland akzeptiert eine entscheidende Schwachstelle der Kinderkonvention nicht: die Teilnahme von Kindern an Kriegen.

Die Bundesregierung hat im November 1995 vor dem UN-Kinderrechtskommitees in Genf berichtet, was seit der Ratifizierung im Jahre 1992 für die Umsetzung der Kinderrechtskonvention getan wurde. Das Komitee hat nach einer zweitägigen Diskussion eine Reihe von Kommentaren und Empfehlungen an die Bundesregierung ausgesprochen. Unter anderem

1. bedauert das Komitee die deutschen Vorbehalte zur Konvention und begrüßt die angekündigte Bereitschaft der Bundesregierung, diese Vorbehalte zu überprüfen.

2. bemängelt das Komitee die Koordinationsprobleme von Bund, Ländern und Gemeinden und verweist auf die Notwendigkeit, hier nach neuen Wegen institutioneller Abstimmung und Interessenvertretung für Kinder zu suchen;

3. bemängelt das Komitee die unzureichende Öffenlichkeitsarbeit für die Konvention in Deutschland;

4. bedauert das Komitee die Kluft der Lebensverhältnisse von Kindern im Osten und im Westen Deutschlands und

5. äußert es sich besorgt über das deutsche Ausländer- und Asylrecht und regt eine Überprüfung im Licht der Kinderrechtskonvention an.


Dorit Stenke (TU-Dresden)

Zwischen Anerkennung und Abgrenzung.

Interaktionen von Jungen und Mädchen in der Schule

Eingebenet in die Diskussion um "Gewalt an Schulen" wird in diesem Vortrag den Interaktionsprozessen zwischen Jungen und Mädchen in schulischen Situationen nachgegangen. Dabei werden Erkenntnisse der Gewaltforschung mit denen der Interaktionsforschung unter geschlechtsspezifischen Gesichtspunkten miteinander verknüpft.

Die Altersphasen 12 und 16 (in der an den Schulen das größte Gewaltaufkommen zu verzeichnen ist) geht für die Heranwachsenden mit zahlreichen körperlichen und sozialen Veränderungen einher. Dabei spielt die Auseinandersetzung mit dem jeweiligen 'anderen' Geschlecht eine wichtige Rolle, denn auch auf diesem Gebiet gibt es neue Entwicklungsaufgaben zu bewältigen. Nun ist aber gerade die Auseinandersetzung mit den Geschlechterrollen weder wahlfrei noch sind die zur Auseinandersetzung anstehenden Inhalte beliebig. Die herrschenden Geschlechtsrollendefinitionen sind für Jungen und Mädchen immer noch verschieden und sie gehen mit einer hierarchischen Ordnung einher, beinhalten also unterschiedliche Aufgaben und Enwicklungsverläufe für Jungen und Mädchen.

Anhand schulischer Fallbespiele werden drei typische Interaktionsmuster von Jungen und Mädchen vorgestellt, die zeigen, wie schwierig sich die Kommunikation zwischen den Geschlechtern gestaltet und wie verschieden die Wahrnehmung und Bewertung von schulischer Gewalt sein kann. Insbesondere fällt auf, wie eng aggressive Auseinandersetzungen mit dem Infragestellen körperlicher Integrität und sexueller Selbstbestimmung der Mädchen verknüpft sind.

Es soll abschließend danach gefragt werden, welchen Beitrag Schule und die in ihr handelnden Menschen leisten müssen, um allen Kindern und Jugendlichen bessere Entwicklungschancen zu gewährleisten und die Suche nach persönlicher Anerkennung und Abgrenzung zu unterstützen. Angesichts sich verändernder und nicht mehr eindeutiger Männer- und Frauenrollen bestünde eine Möglichkeit der Gestaltung des Geschlechterverhältnisses in der Verständigung über und letzlich dem gleichberechtigten "Aushandeln" von Handlungsspielräumen. Dazu kann und sollte auch Schule in Zukunft verstärkt beitragen.


Dr. Sabine Walper (Universität München)

Armut von Kindern

Daß es auch in Deutschland als einem der reichsten Industriestaaten Armut gibt, ist kein Geheimnis. Übersehen wird dabei allerdings vielfach, in welchem hohen Maße gerade Kinder und Jugendliche von Armut betroffen sind.

Als arm wird definiert, wer für seinen Lebensunterhalt auf Sozialhilfe angewiesen ist. Die Zahl der Sozialhilfeempfänger an der Gesamtbevölkerung hat sich (in Westdeutschland) in den letzten 20 Jahren mehr als verdoppelt. Noch ungleich stärker ist in diesem Zeitraum der Anteil der Kinder und Jugendlichen angestiegen, die in einem Haushalt mit Sozialhilfebezug leben. Über 9% der Kinder unter 7 Jahren und knapp 8% der Schulkinder und Jugendlichen leben inzwischen in einem Haushalt, der auf staatliche Unterstützung angewiesen ist. Während 1970 der Anteil von Sozialhilfeempfängern bei Kindern unter 7 Jahren nur halb so groß war wie bei den Senioren, kehrte sich dieses Bild seit 1990 um. Der Anteil der Sozialhilfeempfänger bei Kindern ist inzwischen um mehr als das dreifache größer als bei den Senioren. Keine andere Altersgruppe ist in diesem hohen Umfange von Armut betroffen wie Kinder und Jugendliche. Dies hat Sozialwissenschaftler veranlaßt von einer wachsenden Infantilisierung der Armut in unserer Gesellschaft zu sprechen.

Ein (weiteres) gängiges Armutskriterium, gerade auch in internationalen Vergleichen, ist das der relativen Einkommensarmut. Als arm wird bezeichnet, wer über weniger als 50% des durchschnittlichen (nach Bedarf gewichteten) Pro-Kopf-Einkommens verfügt. Legt man eine gemeinsame Armutsschwelle für die beiden Teile Deutschlands zugrunde, dann zeigt sich für 1992, daß jedes fünfte Kind in Ostdeutschland von Einkommensarmut betroffen ist. In Westdeutschland ist diese Quote nur halb so groß. Vor allem Alleinerziehende (durchschnittlich jeder dritte Haushalt) und kinderreiche Paare (rund jeder zweite Haushalt) müssen mit knappen Ressourcen auskommen.

Zu den Konsequenzen der Armut von Kindern und Jugendlichen mangelt es an deutschen Untersuchungen. Die hierzu verfügbaren Erkenntnisse stammen meist aus amerikanischen Studien. Sie verweisen auf eine breite Palette von Beeinträchtigungen im kognitiven, emotionalen, sozialen und gesundheitlichen Bereich, die durch Armut ausgelöst werden. Armut beeinträchtigt die Sprach- und Intelligenzentwicklung sowie die schulische Leistungsfähigkiet. Sie führt vielfach zu Minderwertigkeitsgefühlen, Ängstlichkeit, aber auch zu Aggressivität und erhöhter Bereitschaft zu Normverstößen. Mit Armut geht ein erhöhtes Risiko für Fehlernährung, häufigere Erkrankungen und Verletzungen einher. Die wachsende Armut von Kindern und Jugendlichen ist ein massives soziales Problem, das einen hohen Handlungsbedarf besitzt.


Frau Gabriela Fink

Zwischenergebnisse aus dem Forschungsprojekt des Deutschen Jugendinstituts "Strassenkarrieren von Kindern und Jugendlichen"

gefördert vom Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (4/94-8/97)

- "Strassenkinder", wer sind sie?

Ist von Strassenkindem in den Medien und in der (Fach-)Öffentlichkeit die Rede, dann werden darunter meist diejenigen Jugendlichen verstanden, die sich in verfestigten Szenen der Innenstädte in Ost und West aufhalten, die weitgehend ohne Wohnung sind und sich mit illegalen Strategien über Wasser halten müssen oder wollen, z.B. mit Kleinkriminalität und Drogenkonsum. Ein weiteres Merkmal ist die zunehmende Distanz dieser Gruppen zu Formen klassischer Sozialarbeit.

Entgegen dem Begriff "Strassenkinder" handelt es sich bei diesen Gruppierungen in Deutschlands Innenstädten jedoch überwiegend um Jugendliche ab 15 Jahren. Die Jugendlichen, die solchen verfestigten Innenstadtcliquen zugerechnet werden, sind nicht alle obdachlos oder ausschließlich auf den Lebensort Straße verwiesen. Darunter sind viele, die zumindest mit einem Bein noch zuhause leben, die immer wieder Jugendhilfeeinrichtungen aufsuchen, die noch ab und zu in die Schule gehen, die sich aber von solchen Szenen angezogen fühlen. Es handelt sich also um ganz gemischte Gruppierungen. Darunter sind zahlreiche heimatlose oder entwurzelte Jugendliche, die als solche nicht erkennbar sind, die sogar großen Wert darauf legen, nicht als "Straßenkind" identifiziert werden zu können. Sie kleiden sich gut, unterscheiden sich nicht von "normalen" Jugendlichen, würden nie um die berühmte Mark "schnorren".

Viele Jugendliche haben lange Heimkarrieren hinter sich, stammen aus mehrfach belasteten Famlien. Anzutreffen sind dort aber auch Kinder und Jugendliche aus besser situierten Familien.

- Mythos Mobilität:

Der sogenannte Szenetourismus von entwurzelten Kindern und Jugendlichen ist weit weniger verbreitet, als allgemein angenommen wird. Nur ein kleiner Kern der Szeneangehörigen (insb. Punks und Stricher) reist auch ab und zu in andere Städte. Auch sie haben aber ihre "feste" Stadt, in die sie immer wieder mal zurückkehren.

Die meisten der Kids kommen aus den jeweiligen Großstädten oder aus dem Umland.

Der Szenetourismus hat - nach Expertlnnen-Meinung - im Vergleich zu den Jahren früher - abgenommen. Das liegt auch an einer zunehmenden Verelendung (z.B. durch Drogen, gesundheitliche Beeinträchtigungen).

- bei den (noch) überschaubaren Innenstadt-Szenen von Strassenkindem, die massiv entwurzelt sind, werden qualitative Veränderungen benannt. Die Jugendlichen sind stärker in Gefahr, psychisch und physich zu verelenden durch steigenden Drogenkonsum, durch größere Konkurrenz, durch zunehmende Ausbeutung von Erwachsenen (Paderasten, Prostitution) und durch zunehmende Gewalt untereinander.

- City-Szenen und der Mythos Ersatzfamilie:

Die Kids durchschauen, daß es sich, falls es drauf ankommt, nicht um wirkliche Freunde und Familienersatz handelt, aber: die Kinder fühlen sich durch die gemeinsamen Erfahrungen mit Straße und mit ihren zum Teil ähnlichen Schicksalen zueinander hingezogen, viele haben nur noch die Szene.

- Fluchtbewegungen und schleichende Hinwendung zur Straße:

Es gibt unter den Strassenkindern nicht nur solche, die auf der Straße bzw. in den Cityszenen landen, weil sie mehrfach nach Konflikten von zuhause oder aus Heimen abgehauen sind, bzw. hinausgeworfen wurden. In bestimmten Stadtteilen ost- und westdeutscher Städte verlagern immer mehr Kinder und Jugendliche ihr Leben ohne spektakuläre Ereignisse und Krisen in den Familien zunehmend auf die Strasse und entwickeln eine große Distanz zu Schule, Arbeit und Zukunftsvorstellungen. Eltern, Nachbarn aber auch Schulen stehen dieser Entwicklung nicht selten hilflos gegenüber.

- Mädchen und Jungen

Mädchen sind auf der Straße quantitativ weniger stark vertreten als Jungen. Zumindest fallen sie in provokativen und kriminellen Zusammenhängen weniger stark auf. Ihre Straßenkarrieren verlaufen häufig verdeckter. Oft finden sie bei bei männlichen Freunden und/oder Freiern Unterschlupf und geraten über "Liebesbeziehungen" in Abhängigkeiten und Szenen. Der Zugang zu solchen verdeckten weiblichen Strassenkarrieren ist für Sozialarbeit häufig schwierig.

- Hilfen für entwurzelte Kinder und Jugendliche

Bei verfestigten "Straßenkarrieren" kann die Rückkehr hin zu Schule, Ausbildung und einer selbständigen Lebensführung nur gelingen über flexible, stufenartige Hilfestellungen. Der normale Kinder- und Jugendlichenalltag ist diesen Jugendlichen inzwischen so fremd geworden, daß sie - um die hohen Hürden zu überwinden - eine "Strickleiter" brauchen. Die herkömmlichen Angebote der Jugendhilfe (Heime, Wohngemeinschaften, Schulprojekte, Ausbildungsprojekte) setzen in aller Regel zuviel voraus - die Jugendlichen scheitern dementsprechend häufig daran.

Es fehlen Stadtteilangebote, die die Familien und die Jugendlichen von Grund auf stärken und die sie dabei unterstützen, Ressourcen zu entdecken, aufzubauen und zu nutzen.

Weitere Materialien können unter folgender Adresse gezogen werden:

Deutsches Jugendinstitut e.V., Außenstelle Leipzig

Projekt "Strassenkarrieren von Kindern und Jugendlichen

Frau Renate Schulze

Stallbaumstrasse 9, 04155 Leipzig


Simone Kruschwitz (Dip1. Soziologin)

"Gewalt gegen Kinder"

Für viele Mädchen und Jungen ist Gewalt leider noch immer noch eine alltägliche Erfahrung. Bei Kindesmißhandlung und Vernachlässigung der Fürsorgepflicht durch Eltern sind Mädchen wie Jungen gleichermaßen betroffen. Eine Ohrfeige oder eine Tracht Prügel wird Gesellschaftlich sogar toleriert. Sexuelle Gewalt dagegen stößt auf Abscheu und Unverständnis. Hilfe ist hier aber besonders schwierig, denn sexueller Mißbrauch findet hauptsächlich hinter den Mauern familiärer Abgeschiedenheit statt.

Betroffene sind zu 80% Mädchen und zu etwa 20% Jungen.

Anders als es die Medien in den letzten Monaten dargestellt haben, ist es nicht der unbekannte, fremde Täter, welcher für Gewalttätigkeiten an Kinder verantwortlich ist. Es sind v.a. Personen aus dem engeren Bekannten- und Verwandtenkreis.

Im Freistaat Stchsen ist in den Straftatbeständen, Gewalt an Kindern betreffend" eine Steigerung in den letzten fünf Jahren festzustellen.

Besonders hoch und besorgniserregend sind die erfaßten Fälle von sexuellem Mißbrauch nach § 176 StGB mit 914 Anzeigen im Jahr 1995.

Das entspricht einer Zunahme um 20 % im Vergleich zum Vorjahr. Schätzungen gehen davon aus, daß die Dunkelziffer mindestens fünfmnal höher liegt.

Die Statistik vergrößert den Handlungsdruck, Maßnahmen gegen die Gewalt zu ergreifen. Steigende Anzeigenbereitschaft kann, gekoppelt mit wachsender Sensibilität bezüglich sexueller Gewalt an Kindern, ein Zeichen für die steigende Auseinandersetzung mit dem Thema sein.

Das die Sensibilität wächst und sich Mädchen und Jungen allmählich trauen, Beratung bei erlebter Gewalt zu suchen, kann auch die Beratungsstelle gegen familiare Gewalt und sexuellen Mißbrauch "AUSWEG" in Dresden bestätigen. Je mehr es sich durch Zeitungsartikel oder persönliche Empfehlungen herumspricht, daß es bei "AUSWEG" Beratung und damit die Chance zum Durchbrechen des Kreislaufes der Gewalt gibt, desto mehr Kinder und Erwachsene suchen dieses Angebot auf. Der steigenden Nachfrage kann kaum mehr entsprochen \verden.

Mädchen und Jungen suchen, wenn überhaupt, solche Beratungen auf, wo das Angebot ihre Krisensituation konkret benennt, ihnen Anonymität in der Beratung zugesichert und ein parteiliches, nach Möglichkeit geschlechtsspezifisches Angebot unterbreitet wird. Besorgniserregend ist es deshalb, daß gerade diese Projekte und Institutionen des sozialen Netzwerkes, zumeist durch Initiativ-und Frauengruppen auf ABM und 249h Basis ins Leben gerufen, noch immer nicht abgesichert sind. Viele Projekte und Zufluchtsmöglichkeiten sind durch die neuen ABM Regelungen und das Auslaufen der 249h Stellen vom Aus bedroht. Kommunale Veratwortung ist an dieser Stelle gefragt, wenn Kindern wirklich geholfen werden soll, dem Kreislauf der Gewalt zu entfliehen.

Weil es generell zu wenige dieser Angebote in Dresden und Sachsen gibt und weil Maßnahmen zum Schutz der betroffenen Kinder über die Möglichkeiten einer Institution, einer Berufsgruppe hinausgehen, ist Vemetzung dringend nötig.

Beispielgebend ist die stadtweite Arbeitsgruppe "Gegen sexuellen Mißbrauch an Kindern und Jugendlichen Dresden". Erfreulich ist die Übernahme der Koordinierungsstelle durch das Jugendamt der Stadt. Unverständlich und nicht zu billigend aber ist die Entscheidung der Stadtverwaltung, die in der Koordinierungsstelle seit zwei Jahren tätigen und erfahrenen Fachfrauen nicht zu übernehmen.