Generalsekretär Kofi Annan verleiht den Vereinten Nationen ein neues Profil

Zum Schluß Zigarren

Constanze Stelzenmüller
 

New York

Es war wie die Heimkehr eines Siegers aus der Schlacht: Als ein erschöpfter, aber glücklich wirkender Kofi Annan, zurück von seiner erfolgreichen Vermittlungsmission in Bagdad, die Eingangshalle des New Yorker Uno-Hauptquartiers betritt, brechen die wartenden Mitarbeiter der Weltbehörde in Jubel aus. Einer, der eigens von seinem Schreibtisch beim Uno-Entwicklungsdienst UNDP auf der anderen Straßenseite herübergekommen ist, weil er diesen historischen Augenblick nicht verpassen wollte, ruft strahlend: "Dieses Haus wartet seit Jahren auf einen solchen Triumph. Aber Kofi hat ihn verdient!"

Das fällt als erstes auf, wenn Uno-Bedienstete von ihrem Generalsekretär sprechen: Respekt, ja Zuneigung, von der Kantine im Erdgeschoß bis zur Vorstandsetage im 38. Stockwerk des schimmernden Glasquaders am East River. Der 59jährige Ghanaer Annan ist einer von ihnen. Seit mehr als drei Jahrzehnten hat er sich bei den Vereinten Nationen hochgedient. Als Leiter der Unterabteilung für Friedenssicherung, wo er ab 1993 für sechzehn Operationen mit rund 80 000 Blauhelmen zuständig war, imponierte er der amerikanischen Uno-Botschafterin Madeleine Albright mit seiner Besonnenheit und seinem Verhandlungsgeschick. Als Washington Ende 1996 dem im Kongreß verhaßten Vorgänger Butros-Ghali durch ein Veto im Sicherheitsrat die Wiederwahl verwehrte, war der Ghanaer Albrights am Ende erfolgreicher Kandidat.

Um den Job beneiden konnte ihn keiner, denn die Uno war gerade rüde aus dem Rausch der Allzuständigkeit erwacht. Die Stationen der Ernüchterung hießen: Somalia, Bosnien, Ruanda. Mit der Entzauberung wurden auch die alten Vorwürfe wieder laut: Trägheit, Ineffizienz und wuchernde Bürokratie. Schlimmer noch, die Uno stand kurz vor dem Bankrott. Als Annan im Sommer 1997 sein Amt antrat, war klar: nicht den Weltfrieden, sondern die Uno selbst werde er retten müssen.

Der Generalsekretär hat die Botschaft verstanden. Sein Vorgänger Butros-Ghali, dem Vertraute seufzend attestieren, er sei "mehr General als Sekretär gewesen", hatte mit weltumspannender Geste Regierungserklärungen wie die "Agenda for Peace" formuliert. Annan dagegen übte sich in Bescheidenheit. Er betonte, nach der Uno-Charta sei er lediglich der "oberste Verwaltungsbeamte der Vereinten Nationen", und legte ein knappes Programmpapier vor mit dem Titel "Renewing the United Nations". Der Tenor: Sparen, straffen, delegieren und nochmals sparen.

In der Sache waren seine Vorschläge kaum neu, oft vernünftig und nie revolutionär. Immerhin gelang es Annan im Dezember letzten Jahres, den größten Teil seines Erneuerungspakets von der Generalversammlung absegnen zu lassen. Fast tausend Stellen wurden gekürzt, ganze Abteilungen abgeschafft, andere zusammengelegt. Die Aktivitäten der Uno draußen "im Feld", wo die Hilfswerke bisher eifersüchtig ihre Kompetenzen hüten (und sich damit in mancher humanitären Krise blamierten), werden gebündelt und dem Befehl eines einzigen Koordinators unterstellt.

Anders als seine Vorgänger, die ihre Entscheidungen in den einsamen Höhen des 38. Stocks fällten und sie dann per Aufzug nach unten weitergaben, trifft Annan sich regelmäßig mit seinem "Kabinett". Der neue Posten eines Stellvertretenden Generalsekretärs wurde geschaffen und mit der Kanadierin Louise Fréchette besetzt, die den Chef von der Tagesarbeit entlasten soll.

Frieden und Sicherheit als Frage der Menschenrechte

Nur - wofür? Hat Kofi Annan außer Verwaltungsgrundsätzen gar, man wagt das Wort kaum laut auszusprechen, eine Vision? Ein Ort, an dem solche Überlegungen ausgebrütet werden könnten, wird in den nächsten Wochen eingerichtet: die "Strategic Planning Unit", ein Planungsstab unter der Führung von John Ruggie, vormals Dekan der School of International Relations an der New Yorker Columbia-Universität. Die Frage allerdings, was für Strategien denn dort geplant werden sollen, stößt im Beraterkreis Annans auf eloquentes Schweigen. Mit Rücksicht auf die grollenden Geräusche aus dem Kapitol, wo einige nach der Bagdad-Mission schon wieder erste Vorboten eines "aggressiven UN-Multilateralismus" heraufdräuen sehen, ist diese Zurückhaltung nur klug - zumal die leidige Frage der amerikanischen Mitgliedsbeiträge an die Uno noch immer ungelöst ist.

Viele Beobachter sind indes fest davon überzeugt, daß auch Annan eine Agenda für den Frieden hat, ohne sie so nennen zu wollen. "Er ist der erste Generalsekretär, der Frieden und Sicherheit als eine Frage der Menschenrechte bezeichnet", sagt Joanna Weschler von der amerikanischen Organisation Human Rights Watch. Annan habe ein klares Signal gesetzt, als er die streitbare Irin Mary Robinson zur Menschenrechts-Hochkommissarin berief. Und eine Diplomatin fügt hinzu: "Annan hat sogar den amnesty-Vorsitzenden Pierre Sané eingeladen, vor dem Sicherheitsrat zu sprechen. Unter Butros-Ghali: un-vor-stell-bar."

Womöglich verhilft ihm diese unbekümmert-pragmatische Fähigkeit, über institutionelle und ideologische Grenzen hinweg Brücken zwischen den Menschen zu bauen, zu mehr Erfolg als jedes Programmpapier. Wie er in Harare afrikanische Staatschefs auffordert, bessere Bedingungen für Privatinvestitionen zu schaffen, so wirbt er in Davos um die Wirtschaftsführer. Annan lobt die Anti-Landminen-Kampagne als gelungene Aktion der Zivilgesellschaft gegen die "unzivile" Gesellschaft der Waffenexporteure - und baut zugleich die Uno-Abteilung für Abrüstung aus. Die stolzen Fürsten der Uno-Sonderorganisationen ließen sich von ihm jüngst zu einem Wochenendseminar zusammenpferchen, auf daß die Kommunikation besser gedeihe; im April soll dem Sicherheitsrat das gleiche widerfahren.

Mit seiner Vermittlungsmission im Irak hat Kofi Annan nun bewiesen, daß es weiterhin eine aktive Rolle für die Uno in der multilateralen Politik geben kann. Gewiß, die Drohung eines amerikanischen Bombenangriffs verlieh Annans Verhandlungsbemühungen in Bagdad den gebührenden Nachdruck. Aber Annan bewies Initiative und Phantasie, als er ein dreiköpfiges Kartographenteam in den Irak schickte, das die "Präsidentenpaläste" vermaß und feststellte, daß die umstrittene Fläche nur halb so groß war wie zuvor vermutet. Vor dem Abflug formulierte er einen Verhandlungsrahmen, der von allen fünf Ständigen Mitgliedern im Sicherheitsrat mitgetragen werden konnte; einen "Spickzettel" der Amerikaner dagegen hat er rigoros abgelehnt. Und den Diktator in Bagdad entwaffnete der Generalsekretär mit der ihm eigenen Mischung von ruhiger Höflichkeit und schnörkelloser Direktheit - um dann mit ihm Zigarren zu rauchen. "Annan hat die Gabe", sagt ein Berater anerkennend, "daß er einem Kontrahenten größte Konzessionen abringen kann - und ihm dabei auch noch das Gefühl gibt, sich selbst aus einer mißlichen Lage zu befreien."

Kofi Annans erster großer Erfolg hat seine Position und damit die seiner Organisation spürbar gestärkt - bis zur nächsten Bewährungsprobe. Sie könnte früher kommen, als allen Beteiligten lieb ist.
 

DIE ZEIT
1998 Nr. 11