Kinderrechte nur mit Vorbehalt

Der Bundestag will, dass die UN-Kinderkonvention künftig ohne Abstriche angewandt wird.
Trotzdem wird die heutige Resolution folgenlos bleiben

Von Christian Rath

Freiburg (taz) - Der Bundestag wird sich heute für eine vorbehaltlose Anwendung der UN-Kinderkonvention in Deutschland aussprechen. Folgen wird dies aber keine haben, denn die Ministerien der rot-grünen Bundesregierung haben sich längst darauf geeinigt, dass sich nichts ändern soll.

Das UN-"Übereinkommen über die Rechte des Kindes", so der Langtitel, wurde 1989 von der UNO-Generalversammlung angenommen und betrifft alle Bereiche des kindlichen Lebens, vom Recht auf Bildung und gewaltfreie Erziehung bis zum Schutz vor wirtschaftlicher und sexueller Ausbeutung. 177 Staaten sind dem Vertragswerk bisher beigetreten.

Doch die Geschichte der Kinderkonvention ist - zumindest in Deutschland - keine reine Erfolgsstory. Bei der Ratifikation 1992 legte die Kohl-Regierung nämlich einige folgenschwere Vorbehalte gegen die Konvention ein. Der wichtigste davon lautet: "Nichts in diesem Übereinkommen kann dahin ausgelegt werden, dass die widerrechtliche Einreise eines Ausländers in das Gebiet der Bundesrepublik Deutschland oder dessen widerrechtlicher Aufenthalt dort erlaubt ist." Konkret: Hat ein Kind oder Jugendlicher kein Recht, in Deutschland zu leben, so soll ihm auch die Kinderkonvention nicht helfen können.

Diese Sichtweise wurde von der Bundesregierung zwar als bloße "Interpretation" des Vertragstexts ausgegeben, tatsächlich wird damit eine zentrale Bestimmung der Konvention unterlaufen: das Kindeswohl bei Schaffung und Anwendung von Gesetzen "vorrangig" zu berücksichtigen. In Deutschland steht der Kampf gegen "illegale Einwanderung" aber bislang deutlich über dem Schutz minderjähriger Flüchtlinge.

Per Resolution wird der Bundestag heute - im Rahmen einer kinderpolitischen Debatte - "die Rücknahme der Vorbehalte der früheren Bundesregierung" fordern. Der Resolutionsentwurf wurde von SPD und Grünen gemeinsam eingebracht, was eine Mehrheit sichern dürfte. Ursprünglich wollte die SPD nur "die Prüfung" einer Rücknahme fordern, konnte in einem Koalitionsgespräch zwischen Kerstin Müller und Peter Struck jedoch umgestimmt werden. Immerhin haben beide Parteien in den 80er-Jahren noch heftig gegen die Vorbehalte protestiert.

Die heutige Resolution ist allerdings nicht mehr als eine politische Meinungsäußerung des Bundestags. Die Bundesregierung kann damit zu einer Rücknahme des Vorbehalts nicht gezwungen werden und hat diese auch nicht vor. Ablehnend ist vor allem die Haltung von Innenminister Otto Schily (SPD). "Wir halten diesen Vorbehalt weiterhin für notwendig", erklärte ein Sprecher auf Anfrage. "Es ist nach deutschem Recht nicht möglich, dass ein jugendlicher Flüchtling ein Aufenthaltsrecht allein deshalb erhält, weil er noch nicht volljährig ist." Die Kinderkonvention schreibt dies zwar auch nicht explizit vor, könnte von den deutschen Gerichten aber so ausgelegt werden. Dies will das Innenministerium schon im Ansatz vermeiden.

Widerstand gegen eine vorbehaltlose Anwendung der Kinderkonvention gibt es aber auch aus dem Justizministerium. Ein zweiter deutscher Vorbehalt verhindert nämlich, dass Jugendliche vor Gericht generell einen Verteidiger zugewiesen bekommen. Bei "Straftaten von geringer Schwere" will Deutschland auch weiterhin hierauf verzichten. Außerdem soll bei Jugendstrafen nicht generell eine Berufung möglich sein.

Befürwortet wird eine Streichung aller deutschen Vorbehalte nur im Auswärtigen Amt. Dort weiß man, dass es wenig glaubwürdig ist, andere Staaten zur vorbehaltlosen Einhaltung internationaler Verträge zu drängen, wenn Deutschland selbst jede Rechtsanpassung abblockt. Doch angesichts des massiven Widerstands aus Innen- und Justizministerium hat das Auswärtige Amt die Hoffnung bereits aufgegeben, dass Deutschland sich aus Anlass des zehnjährigen Konventionsjubiläums eine "weiße Weste" zulegen könnte. Inzwischen wird sogar darüber diskutiert, ob bald ein neuer Vorbehalt fällig wird.

In einem Zusatzprotokoll zur Kinderkonvention wird nämlich die Rekrutierung von Soldaten unter 18 Jahren verboten. Versteht man den Begriff "Rekrutierung" weit, kann Deutschland die Bestimmung nicht einhalten, weil jährlich einige hundert Jugendliche auf eigenen Wunsch bereits mit 17 Jahren ihren Wehrdienst beginnen können. Das Auswärtige Amt sieht in dieser Praxis allerdings keinen Verstoß gegen das Zusatzprotokoll. "Eigentlich geht es dort nur um Kampfeinsätze, nicht um die Ausbildung", so ein Sprecher, ein deutscher Vorbehalt sei also gar nicht erforderlich. Die Bundeswehr will auf die Minderjährigen auch nicht verzichten, da hier qualifizierte Bewerber als Zeitsoldaten zu werben sind.
 

taz Nr. 5952 vom 30.9.1999 Seite 7 146 Zeilen
TAZ-Bericht Christian Rath