Rot-grüne Zukunft: Millionen Kinder arm

Woche der Kinderrechte: UNICEF kritisiert deutsche Zustände
jW-Bericht

Immer mehr Kinder in Deutschland leben in Armut. Rund eine Million Minderjährige leben einer Untersuchung von UNICEF zufolge in der BRD von Sozialhilfe. Noch schwärzer sieht der Geschäftsführer des Deutschen Kinderschutzbundes, Walter Wilken, die Lebensbedingungen junger Menschen hierzulande: Nach seinen Schätzungen leben drei Millionen Kinder unter 18 Jahren in sehr schlechten finanziellen Verhältnissen. Ihren Familien stünden weniger als 50 Prozent des durchschnittlichen Einkommens zur Verfügung. Bei einer alleinerziehenden Mutter mit einem Kind seien dies beispielsweise 1 160 DM netto.

Das Leben in Armut habe negative Folgen für die Entwicklung und Gesundheit der Kinder. Aber auch die Chancen für die berufliche Zukunft der Kinder seien eingeschränkt, weil sie wegen ihrer Armut häufig in der Schule isoliert seien. So könnten Kinder aus armen Familien oftmals an Klassenfahrten nicht teilnehmen. Auch könnten sie häufig nicht in Sportvereine gehen. Das alles kratze an ihrem Selbstwertgefühl.

Kinder aus ärmlichen Verhältnissen werden zudem oft ungesund ernährt, weil frische Produkte wie Obst und Gemüse zu teuer seien. Zugleich sei mit einer langanhaltenden Armut oft eine Demoralisierung der Eltern verbunden. Diese würden dann die Bedürfnisse der Kinder nicht mehr wahrnehmen. Der Besuch beim Arzt oder das rechtzeitige Gespräch mit Lehrern werde vernachlässigt. Wilken fügte hinzu, in zu engen Wohnverhältnissen könnten sich Schüler auch nicht bei ihren Hausaufgaben konzentrieren, was zusätzlich ihre Leistungsfähigkeit blockiere.

Besonders groß sei das Risiko für alleinerziehende Elternteile. 35 Prozent von ihnen müßten mit einem Nettoeinkommen von weniger als 1 800 DM im Monat auskommen. Wilken forderte, in den Stadtteilen, in denen vermehrt Sozialhilfeempfänger leben, kostenlose Freizeit- und Bildungsangebote und Mittagstische für Schüler einzurichten. Nur so hätten benachteiligte Kinder eine Chance, ihre Defizite auszugleichen. Gegenüber jW beklagte Wilke die schreiende soziale Ungerechtigkeit, die »die Leute auch so fertigmacht: Daß andere wirklich in Saus und Braus konsumieren und sie selber nicht mehr vernünftig Geburtstag feiern können.«

Anläßlich der Woche der Kinderrechte hat Bundesfamilienministerin Christine Bergmann (SPD) verstärkte Bemühungen um Chancengleichheit von Kindern und Jugendlichen angekündigt. Die Bundesregierung wolle allen Kindern gleiche Bildungschancen eröffnen, um eine lebenslange Benachteiligung der weniger gebildeten Kinder auszuschließen. Weiterhin will sich die Ministerin nach eigenen Aussagen für das Recht der Kinder auf gewaltfreie Erziehung und auf Mitwirkung bei der Städte- und Verkehrsplanung stark machen. (Foto: Der Bundespräsident auf dem Bundespresseball am Freitag - Kostenpunkt rund 1,6 Millionen Mark - tanzt vielleicht auch dafür durch die Gegend)

UNICEF hat zum zehnten Jahrestag der UN- Kinderrechtskonvention eine kritische Bilanz zur weltweiten Lage der Kinder gezogen. Die Kinderrechtskonvention war am 20. November 1989 von der Vollversammlung der Vereinten Nationen verabschiedet worden. Keinem anderen Menschenrechtsdokument sind nach Angaben von UNICEF so viele Länder beigetreten wie diesem: 191 Staaten haben die Konvention ratifiziert. Nur die USA und Somalia fehlten noch.

jW-Foto: Sabine Peters

(Siehe auch Interview mit Walter Wilken)
 
 

16.11.1999
Junge Welt