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amnesty international
ai-JOURNALFebruar 1999
 

Interview mit Gerd Poppe

"Ich bin kein Kamikazeflieger"

Sein Amt symbolisiert die gestärkte Bedeutung der Menschenrechte in der neuen Bundesregierung. Der Menschenrechtsbeauftragte des Auswärtigen Amtes, Gerd Poppe (57), spricht im ai-JOURNAL über seine Zeit in der DDR-Opposition, über die Schwerpunkte seiner Arbeit, das schwierige Verhältnis zu China sowie über Sachzwänge in der Politik.
 

ai-JOURNAL: Sie waren in der DDR Bürgerrechtler und sind heute Menschenrechtsbeauftragter des Auswärtigen Amtes. Ist das die Fortsetzung des damals begonnenen Weges?

Gerd Poppe: Die Erfahrungen in der DDR sind natürlich wichtig für mich. Ich glaube, gewisse Erfahrungen in einer Diktatur, in der die Menschenrechte mißachtet wurden, sind sehr hilfreich, wenn man über Menschenrechte und Menschenrechtsverletzungen redet. Und auch Erfahrungen in der Überwindung einer Diktatur und darüber, wie kleine Gruppen in einem solchen Staat arbeiten. Ich habe jedenfalls die Erfahrung gemacht, daß es außerordentlich wichtig ist, wenn Demokratieströmungen und Bürgerrechtsbewegungen unterstützt werden, um die Zustände in einem Land zu verbessern.

Dazu kommt, daß ich danach acht Jahre im Bundestag und dort im Auswärtigen Ausschuß und im ehemaligen Unterausschuß Menschenrechte und humanitäre Hilfe tätig war. Im Rahmen dieser Arbeit habe ich viele Länder besucht, darunter auch solche, in denen Menschenrechte systematisch verletzt werden. Insoweit haben mich beide Erfahrungen geprägt.

Nach meinem Eindruck sind vergleichsweise wenige Bürgerrechtler den Weg gegangen, sich nach dem Ende der DDR für Menschenrechtspolitik zu interessieren. Andere haben sich zurückgezogen, hängen an alten Zeiten oder beackern in der Politik andere Felder. Warum waren Menschenrechtsorganisationen wie amnesty international eigentlich nicht attraktiver für die ehemalige DDR-Opposition?

Das würde ich so nicht sehen. Ich kenne eine ganze Reihe von Leuten, die an dem Thema sehr interessiert sind und die auch in ihrer politischen Praxis dabei einen Schwerpunkt ihrer Aufgaben sehen. Das gilt für Bärbel Bohley, die in Sarajevo sehr aktiv ist, oder auch für meinen ehemaligen Mitarbeiter im Bundestag Reinhard Weißhuhn, der eine vergleichbare Biographie hat. Für viele andere war es nach dem Ende der DDR ein Problem, daß sie sich neu orientieren mußten. Sie mußten sehen, daß sie in ihrem früheren Beruf, den sie oft jahrelang nicht ausüben konnten, wieder Fuß faßten. Deshalb ist ein Teil der früheren Bürgerrechtler aus der Politik ganz herausgegangen. Aber ein Engagement in verschiedenen Organisationen, Verbänden oder Parteien gibt es durchaus.

Zu Ihrem jetzigen Amt, das Sie etwa zehn Wochen innehaben: Haben Sie schon einen ersten Eindruck, wo Sie tatsächlich etwas bewegen können?

Das ist derzeit noch schwer zu beurteilen. Es gibt allerdings weitere wichtige Veränderungen, die mich optimistisch stimmen. Wir haben eine neue Regierung, die den Menschenrechten in der Außenpolitik ausdrücklich einen hohen Stellenwert einräumen will. Dann haben wir eine Aufwertung der Menschenrechte durch den neuen Menschenrechtsausschuß des Bundestages. Es hat auch schon einige erste Schritte gegeben, um den Menschenrechten größere Geltung zu verschaffen; deshalb sehe ich durchaus eine Chance, etwas zu bewegen. Dabei setze ich auch auf eine stärkere Zusammenarbeit mit dem Parlament und eine intensive Zusammenarbeit mit Nichtregierungsorganisationen.

Neben den klassischen Fragen der internationalen Menschenrechtspolitik gibt es Themenfelder, die nicht in der Federführung des Auswärtigen Amtes liegen, die aber menschenrechtliche Relevanz haben, zum Beispiel die ganze Asyl- und Flüchtlingsfrage. Da müssen wir mehr für eine ressortübergreifende Zusammenarbeit tun. Ich bin voll damit einverstanden, wenn gesagt wird, Menschenrechte sind eine Querschnittsaufgabe.

Trotzdem sind Sie nicht Menschenrechtsbeauftragter der Bundesregierung, sondern im Auswärtigen Amt angesiedelt.

Die Schaffung dieses Amtes war die Entscheidung des Außenministers, nicht die der Bundesregierung. Joschka Fischer wollte die Bedeutung der Menschenrechte im Auswärtigen Amt stärken. Wie weit das über die Ressortzuständigkeit hinaus ausstrahlt, muß sich im Einzelfall klären. Ich habe jedenfalls die Absicht, Felder, bei denen es eine Schnittmenge von Menschenrechtsthemen mit anderen Fragen gibt, auch ressortübergreifend zu behandeln. Das gilt auch für die Entwicklungspolitik, wo man entscheiden muß, welche Form der Zusammenarbeit mit menschenrechtsverletzenden Staaten möglich ist und welche Projekte der Verbesserung der Menschenrechte dienen.

Haben Sie da Mitspracherecht?

Das würde ich mir wünschen.

Sie haben mehrfach in Interviews gesagt, Sie wollten den Schutz von Menschen verbessern, die vor nichtstaatlicher Verfolgung fliehen müssen. Wie wollen Sie das angehen?

Das ist einer der Punkte, wo es diese Zusammenarbeit, zum Beispiel mit dem Innen- und Justizministerium geben sollte. Die Frage ist zum Beispiel, ob man eine Gesetzesänderung braucht. Ich glaube das nicht. Man kann auf der Grundlage der bestehenden Gesetze einen Konsens herbeiführen zwischen Bundesregierung und Länderregierungen, um Menschen, die aus Algerien, Somalia oder Afghanistan flüchten müssen, angemessen zu schützen.

Die Rechtsprechung ist ja in diesem Punkt sehr menschenrechtsfeindlich, weil sie auch für diese Länder politische Verfolgung nur als Verfolgung durch Staaten definiert.

Es gibt problematische Entscheidungen, zum Beispiel eine Grundsatzentscheidung des Bundesverwaltungsgerichtes zu Afghanistan von 1997. Darin wird eine Bürgerkriegssituation festgestellt und eine staatliche oder quasistaatliche Verfolgung abgestritten. Ich glaube, daß so ein Urteil angesichts der heutigen Situation nicht aufrechtzuerhalten ist.

Oft sind die Lageberichte des Auswärtigen Amtes die Entscheidungsgrundlage in Asylverfahren. amnesty international fordert, daß die bisher als 'vertraulich' geltenden Berichte öffentlich gemacht werden, damit die Einschätzung der Bundesregierung über bestimmte Länder transparent wird.

Ich bin für einen Kompromiß. Wenn man die Lageberichte generell öffentlich macht, ist der Schutz mancher Informanten gefährdet. Vor allem gilt es, an der Qualität und Aktualität der Lageberichte zu arbeiten. Man müßte die zugänglichen Informationen von Menschenrechtsorganisationen, Hilfsorganisationen oder auch von Abgeordneten stärker einbeziehen. Die Federführung sollte natürlich beim Auswärtigen Amt bleiben. Die Berichte könnten dann den Mitgliedern des Menschenrechtsausschusses oder des Auswärtigen Ausschusses zugänglich gemacht werden, damit diese politisch damit umgehen können. Bisher können Abgeordnete die Lageberichte nämlich nicht offiziell bekommen. Da bin ich für eine Teilöffnung.

Bei amnesty international konnte man die Lageberichte bis vor kurzem beziehen. Das Auswärtige Amt ist dagegen unter Androhung einer Klage vorgegangen. Wird sich das ändern?

Ich denke, die Entscheidung darüber, wer die Berichte erhält, muß beim Auswärtigen Amt bleiben.

Welche Arbeitsschwerpunkte werden Sie in den kommenden Wochen angehen?

Zuerst einmal die deutsche Präsidentschaft in der Europäischen Union und natürlich die Sitzung der Menschenrechtskommission in Genf ab Mitte März. Dort müssen wir erreichen, daß die EU-Staaten in Menschenrechtsfragen mit einer Stimme sprechen. Ein öffentlicher Dissens wie auf der Sitzung 1997 zur Frage einer China-Resolution schadet enorm. Man muß versuchen, die Staaten zusammenzuhalten, das heißt aber nicht, auf dem kleinsten gemeinsamen Nenner. Während der Präsidentschaft hat man auch die Chance, Initiativen zu ergreifen. Das könnten Länderresolutionen sein. Dort, wo sich das nicht erreichen läßt, gilt es, die EU-Stellungnahme auf der Sitzung der Menschenrechtskommission auszubauen. Wenn zum Beispiel zu China kein Resolutionsentwurf zustande kommt, weil dieses Vorgehen zu wenig Unterstützung findet, hat man noch immer die Möglichkeit, im EU-Statement klare Worte zu den jüngsten Verurteilungen von Dissidenten, zur Anwendung der Todesstrafe oder der Lage in Tibet zu sagen. Auch der zwischen Deutschen und Briten besprochene Menschenrechtsbericht der EU könnte in nächster Zeit deutlich vorankommen.

Soll der Bericht auch auf die Lage innerhalb der EU eingehen?

Dies dürfte erst in einem zweiten Schritt erreichbar sein. Zunächst einmal geht es darum, innerhalb der EU diesen Bericht überhaupt umzusetzen.

Wie stark ist Ihre Position innerhalb des Auswärtigen Amtes denn?

Das ist eine gewisse Gratwanderung. Auf der einen Seite erwartet man von mir, daß ich mich nicht verhalte wie ein Beamter. Die Absicht habe ich auch nicht. Ich werde in meiner Kritik auch weitergehen als das öffentliche Stellungnahmen des Auswärtigen Amtes tun. Auf der anderen Seite vertrete ich auch diese Politik und will das ja auch. Ich bin nicht die Nichtregierungsorganisation im Auswärtigen Amt. Das geht nicht.

Können Sie sich eine Situation vorstellen, in der vermeintliche Sachzwänge der Politik so groß sind, daß Menschenrechte hinten anstehen müssen?

Ja. Das wird leider in dem einen oder anderen Fall immer wieder geschehen. Da muß man abwägen, ob diese anderen sogenannten Sachzwänge dazu führen, daß man etwas zurückhaltend ist für einen gewissen Zeitraum, zum Beispiel mit öffentlichen Erklärungen gegenüber anderen Staaten.

Diese Sachzwänge waren in der Vergangenheit zum Beispiel Milliardenaufträge für die deutsche Wirtschaft aus China.

Allzuviele Milliardenaufträge hat es nicht gegeben, .....

.... aber es wurde oft darüber verhandelt. Kann der ehemalige Bürgerrechtler Gerd Poppe damit leben, daß wirtschaftliche Themen so dominieren, daß die Menschenrechte keine Rolle spielen?

....aber es gab Hermesbürgschaften. Als Abgeordneter habe ich das kritisiert, zum Beispiel die Bürgschaft für den Drei-Schluchten-Staudamm in China. Das würde ich wieder tun. So groß ist meine Unabhängigkeit schon. Aber es sind auch Situationen vorstellbar, in denen eine Interessenabwägung dazu führen kann, sich bei öffentlichen Äußerungen zurückzuhalten. Das sind aber Ausnahmen: Ansonsten werden wir sehr deutlich machen, wie wir die Menschenrechtslage in dem Land sehen. Wobei ich wieder differenzieren möchte: Wir haben mehrere Möglichkeiten. Wir haben die Möglichkeit, einen Dialog zu führen. Das werden wir, wo es immer geht, auch tun. Wenn dieser Dialog einigermaßen erfolgreich läuft, kann man den nächsten Schritt tun und Kooperationsangebote machen. Wenn auf der anderen Seite der politische Wille nicht erkennbar ist, etwas zu verändern, ist dieser Weg verbaut. Dann ist es auch schwierig mit dem Dialog. Ein Beispiel wäre Birma. Ich halte es für unmöglich, mit den Militärs dort zu kooperieren. Mit den Chinesen in bestimmten Bereichen schon....

.... in welchen Menschenrechtsbereichen denn?

Zum Beispiel bei dem bereits begonnenen Austausch von Spezialisten über Rechtsreform. Deutsche Rechtsexperten sind in China gewesen, umgekehrt kommen auch chinesische Experten zu uns. Dabei haben wir die Gelegenheit, ganz praktisch zu zeigen, wie ein Rechtsstaat funktioniert. Das heißt nicht, daß wir naiv an diese Sache herangehen und erwarten, die chinesische Seite würde die so gewonnenen Erfahrungen alle sofort umsetzen. Dazu wird es viel Zeit brauchen ....

China hat kürzlich den Internationalen Pakt für bürgerliche und politische Rechte unterzeichnet ....

Ja.

Wenige Wochen später sind mehrere Dissidenten zu hohen Haftstrafen verurteilt worden. Das wäre doch der Punkt, zu sagen, die Kooperation funktioniert nicht.

Das wirft uns natürlich in unseren Bemühungen zurück, das ist klar. Aber wir werden deshalb nicht den Dialog abbrechen. Ich habe auch in der Vergangenheit bei Reisen nach China mit dem Auswärtigen Ausschuß oder dem früheren Unterausschuß Menschenrechte mit den Leuten gesprochen und Klartext geredet. Ich war dreimal dort, auch in Lhasa. Ich habe nie davor zurückgeschreckt, solche Vorgänge zu kritisieren - auch jetzt nicht. Die jüngsten Ereignisse zeigen, daß die Rechtsreform in China noch gar nicht oder nur ganz begrenzt angefangen hat, denn wieder wurden die Prozesse nach altem Muster geführt: Der Verteidiger hatte nicht die Rolle, die die Chinesen seit langem versprechen, er hatte erst kurz vor Prozeßbeginn Akteneinsicht. Und dann dauert so ein Verfahren gerade mal drei Stunden und ein Dissident ist zu 13 Jahren Gefängnis verurteilt! Das ist natürlich nicht hinnehmbar. Damit werden die bestehenden Möglichkeiten der Kooperation im Menschenrechtsbereich gefährdet. Die chinesische Regierung muß wissen, daß sie nach der Unterzeichnung der beiden Internationalen Pakte über bürgerliche und politische sowie über wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte noch stärker als bisher gefordert ist, den Menschenrechtsschutz ernstzunehmen. Sie kann sich auch nicht mit der Nichtratifizierung herausreden, denn die Unterschrift ist eine politische Ankündigung, an der sie sich messen lassen muß.

Ich vermute, daß Sie sich eine Resolution zu China auf der nächsten Sitzung der Menschenrechtskommission, die im März beginnen wird, wünschen. Ich entnehme aber Ihren Aussagen, daß Sie diese nicht für umsetzbar halten. Wo ist für Sie die Grenze, an der Sie sagen, ich kann diese Politik nicht mehr mittragen?

Persönlich bin ich für eine deutliche Resolution. Aber es ist einzusehen, daß eine entsprechende Initiative wenig Sinn hätte, wenn sich nicht einmal die EU auf einen Resolutionstext einigen kann. Eine Mehrheit insgesamt wird es ohnehin nicht geben. Zu befürchten ist eher, daß das Abstimmungsergebnis noch schlechter ausfiele als beim vorletzten Mal. Beim letzten Mal ist es ja gar nicht zur Abstimmung gekommen.

Was ist, wenn die erwähnte EU-Stellungnahme nicht so ausfällt, wie Sie das erhoffen?

Wenn ich damit nicht zufrieden bin, werde ich das natürlich öffentlich sagen. Aber es ist ein Unterschied, intern zu überlegen, wie geht man taktisch am sinnvollsten vor, und andererseits öffentlich Stellung zu nehmen. Ich kann ja nicht alleine politisch vorgehen. Ich bin kein Kamikazeflieger, sondern ich will andere von meiner Auffassung überzeugen, damit das Auswärtige Amt und die Bundesregierung in ihrer Gesamtheit in diesem Sinne handeln. Dazu gibt es zum Beispiel Gelegenheit, wenn der Bundeskanzler im Mai nach China fährt. Wenige Wochen später ist der zehnte Jahrestag des Massakers auf dem Tiananmen-Platz. Wie wird sich der Bundeskanzler verhalten, was für eine Delegation wird ihn begleiten?

Wie sollte er Ihrer Meinung nach agieren?

Zumindest deutlich anders als der frühere Bundeskanzler.

.... der die Volksbefreiungsarmee besucht hat, ohne das Massaker auch nur zu erwähnen.

Ja. Aber es gibt Gegenbeispiele wie den Clinton-Besuch. Dabei wurden Gespräche über Wirtschaftsbeziehungen geführt, aber das Menschenrechtsthema wurde eben auch sehr deutlich und öffentlich wahrnehmbar angesprochen. Das wäre doch schon mal was.

Werden Sie Herrn Schröder vor der Reise beraten?

Die Reise wird unter maßgeblicher Beteiligung des Auswärtigen Amtes vorbereitet; auch ich werde meinen Beitrag leisten.

Wird denn Ihrer Einschätzung nach die Bundesregierung ihre Politik gegenüber der Volksrepublik China ändern?

Die öffentlichen Erklärungen sind viel eindeutiger als bei der abgewählten Bundesregierung. Das war erkennbar beim Wei Jingsheng-Besuch und der Zurückweisung der Kritik aus Peking durch den Außenminister, aber auch durch den Kanzler. Diese Klarheit wünsche ich mir auch in anderen Fällen und bin bereit, meinen Anteil daran zu leisten. Aber man kann auch nicht alles auf der Regierung abladen. Da haben auch andere Teile der Gesellschaft ihre Aufgabe, zum Beispiel die Wirtschaft.

Es ist falsch, einen grundsätzlichen Interessenkonflikt zwischen Menschenrechtlern und der Wirtschaft anzunehmen, weil es diesen eigentlich nicht geben kann. Wer ein langfristiges wirtschaftliches Engagement plant, wird als Unternehmer die Rahmenbedingungen eines demokratischen Rechtsstaates zu schätzen wissen. Nur wer auf den kurzfristigen Gewinn abzielt, für den mag eine Diktatur gerade richtig sein.

Doch es gab und gibt solche Investoren, nicht nur in Asien, sondern auch im Südafrika der Apartheid.

Aber oft lag dem eine Fehlentscheidung der Unternehmer zugrunde. Die Asienkrise wird da vielleicht eine Lehre sein. Die Entwicklung der Wachstumszahlen allein sagt nicht alles aus über ein Land. Demokratiedefizite in Ländern wie Indonesien oder Malaysia haben zur Krise beigetragen. Unternehmer bekommen in Demokratien stabilere Rahmenbedingungen und selbstbewußtere, besser ausgebildete Arbeitnehmer.

Zurück zu den Schwerpunkten Ihrer Arbeit. Nennen Sie doch mal einige.

Frauenrechte, Kinderrechte, Todesstrafe, Anti-Folter-Konvention. Das sind alles Themen, die auch bei der Menschenrechtskommission zur Sprache kommen müssen. Die Resolution gegen die Todesstrafe wird sicher wieder aufgegriffen werden.

Werden die USA dabei konsequenter angegangen als sonst?

Mit den USA wird man aus verschiedenen Gründen reden müssen.

Anders als bei China ohne die Situation jetzt vergleichen zu wollen spielt die Frage der Menschenrechte beim Dialog mit den USA keine Rolle.

Die Situation stellt sich anders dar. Die USA sind ein demokratischer Staat. Aber in bestimmten Fällen gibt es Probleme: bei der Todesstrafe, aber auch bei der US-Position zum Internationalen Strafgerichtshof, wo das Pentagon mauert. Da ist das Problem, daß die einzige verbliebene Großmacht sich natürlich nicht gern hereinreden lassen will, etwa wenn es darum geht, staatliche Hoheitsrechte zum Beispiel an die UNO abzutreten.

Warum fragt eigentlich nie ein Journalist nach, ob der Bundeskanzler bei einem USA-Besuch mit dem Präsidenten auch die Todesstrafe thematisiert hat?

Ich glaube, daß das eher ein Thema für die UN-Gremien ist und weniger für Kanzlerreisen. Man kann in den USA nicht so auftreten, als spräche man mit Vertretern eines nichtdemokratischen, menschenrechtsverletzenden autoritären Regimes.

Das ist klar. Aber man kann doch unter Demokraten sagen, daß man mit der Todesstrafenpraxis in den USA massive Probleme hat.

Das ist auch oft gesagt worden, und das wird weiterhin sehr deutlich gesagt werden. Eventuell gibt es zudem die Möglichkeit, bei der Frage der Unterstützung des Internationalen Strafgerichtshofes über Kontakte auf Ministerebene etwas zu erreichen.

Und wann werden die Deutschen das Statut für den Strafgerichtshof ratifizieren?

Ich hoffe bald. Deutschland sollte eines der ersten Länder sein, das sich zur aktiven Mitwirkung verpflichtet. Vermutlich ist aber erst einmal eine Grundgesetzänderung erforderlich, die eine Auslieferung an den Internationalen Strafgerichtshof ermöglicht.

Nachdem Sie ernannt wurden, hatten viele erwartet, daß Sie Leiter der deutschen Delegation bei der Menschenrechtskommission in Genf würden. Warum sind Sie es nicht?

Ich bin gefragt worden. Aber ich habe gesagt, daß ich nicht sechs Wochen meine Arbeit hier liegen lassen kann. Ich schließe das nicht für alle Zeiten aus, aber Sie dürfen nicht vergessen: Mein Büro besteht nur aus drei Personen. Wir sind noch in der Aufbauphase, und meine Aufgabe hier ist breiter angelegt, als ausschließlich auf diplomatischer Ebene Details von Resolutionstexten auszuhandeln. Außerdem heißt die Tatsache, daß ich die Delegation in Genf nicht leite, nicht, daß ich dort nicht beteiligt bin. Ich werde sicherlich regelmäßig dorthin fahren.

Auch wenn Sie im Auswärtigen Amt angesiedelt sind: Welche Probleme sehen Sie bei der Menschenrechtslage in Deutschland? Werden Sie sich auch in diesem Bereich engagieren?

Natürlich werden wir im Ausland danach gefragt. So wie wir dort Menschenrechtsverletzungen kritisieren, müssen wir umgekehrt Kritik an uns akzeptieren. Von daher muß man, schon um nach außen Menschenrechtspolitik glaubwürdig vertreten zu können, Menschenrechtsverletzungen im eigenen Land verhindern oder zumindest die Verantwortlichen zur Rechenschaft ziehen.

Dazu muß man sagen: Menschenrechtsverletzungen, z.B. durch Übergriffe von Polizisten etwa die Mißhandlung von Ausländern finden in Deutschland nicht systematisch statt. In anderen Ländern passiert das, das ist der große Unterschied.

Angenommen amnesty international kritisiert, daß die deutsche Politik die Menschenrechte in einem konkreten Fall wegen vermeintlicher Sachzwänge vernachlässigt hat. Freuen Sie sich dann innerlich, oder denken Sie, diese Gutmenschen haben doch keine Ahnung von Realpolitik?

Den Vorwurf mit dem Gutmenschen habe ich mir schon oft genug selbst anhören müssen. Menschenrechtsarbeit ist Realpolitik, und zwar im besten Sinne. Was Sie viel besser können als Politiker, ist die Frage der Menschenrechte von der politischen Ebene herunterzudeklinieren auf die praktische Ebene. Das halte ich für ungeheuer wichtig. Bei Kritik von Ihrer Seite an der Menschenrechtspolitik der Bundesregierung würde ich das Gespräch suchen. Konstruktive Kritik ist in jedem Fall hilfreich, sie kann Problembewußtsein schaffen und zwingt zur Prüfung der eigenen Entscheidung. Es ist Sache der Politik, dann im Einzelfall offenzulegen, aufgrund welcher Interessenabwägung welche Entscheidung getroffen wurde.

Joschka Fischer hat am 10. Dezember im Bundestag gesagt, ein freies Bankensystem und freie Marktwirtschaft seien Voraussetzung für die Menschenrechte. Teilen Sie diese Einschätzung? ai hat auch in Demokratien wie Indien systematische Menschenrechtsverletzungen dokumentiert.

Man wird aber keine Diktatur finden, in der die Menschenrechte weitgehend geachtet und in der sie nicht instrumentalisiert werden. Früher wurde im sowjetischen Block argumentiert, man habe die wichtigeren Menschenrechte wie die Rechte auf Wohnung und Arbeit realisiert, heute sprechen China und andere Staaten von asiatischen Werten. Alle bisherigen Erfahrungen deuten jedoch darauf hin, daß es im Sinne des Menschenrechtsschutzes keine Alternative dazu gibt, Demokratie und soziale Marktwirtschaft zu verbinden. Sehen Sie sich Südkorea, Taiwan oder Hongkong an. Am Anfang stand ein liberales Wirtschaftssystem. Marktwirtschaft und freie Presse haben dann die Menschenrechtslage verbessern helfen. Auf der anderen Seite ist ein freies Wirtschaftssystem allein noch kein Garant für eine Respektierung der Menschenrechte. Es gibt es keinen Automatismus im Sinne des vielzitierten Schlagworts 'Wandel durch Handel'.

Auch die technischen Entwicklungen ändern sich Stichwort Internet.

Die technischen Entwicklungen schaffen der Opposition ganz andere Möglichkeiten als uns früher in der DDR. Wir haben in den 70er Jahren noch Texte mit sechs Durchschlägen gemacht und an Gleichgesinnte verteilt die Wirkung war gleich null. Später hatten wir schon vorsintflutliche Druckmaschinen, mit denen wir Tausender Auflagen erzielen konnten. Dank des Internets lassen sich heutzutage Informationen immer schlechter unterdrücken. Und die Information über konkrete Menschenrechtsverletzungen und deren Verbreitung steht - wie ai aus eigener Erfahrung weiß - am Anfang jeder Bemühung um eine Verbesserung der Situation.

Interview: Harald Gesterkamp
 

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