Die „Lernstatt Demokratie“ findet heuer erstmals in Nürnberg statt

Von wegen Politikverdrossenheit!

Projekte aus ganz Deutschland zeigen, dass Jugendliche sich sehr bewusst an
demokratischen Prozessen beteiligen – Skepsis gegenüber etabliertem System
 

„Wir zeigen Flagge für Kinderrechte“ heißt ein Projekt der Friedrich-Ebert-Hauptschule in Augsburg. Seit 1995 unterstützen die Jugendlichen eine Schule und einen Kindergarten in Kolumbien und treten mit verschiedenen Aktionen in der Öffentlichkeit für Kinderrechte in aller Welt ein. Die Schule nimmt damit an der „Lernstatt Demokratie 2000“ teil, einer viertägigen bundesweiten Veranstaltung zur Förderung demokratischen Handelns in der Schule, die noch bis heute im Scharrer-Gymnasium stattfindet. 110 Jugendliche und 50 Pädagogen aus ganz Deutschland sind dazu angereist.

Als die „Lernstatt Demokratie“ vor zehn Jahren ins Leben gerufen wurde – unmittelbar nach der deutschen Vereinigung –, geschah dies aus mehreren Überlegungen heraus: „Was können Schule und Erziehung leisten, damit Demokratie eingeübt wird und junge Bürger erfahren, dass sie und ihr Engagement gebraucht werden“, so Hildegard Hamm-Brücher, die im Vorstand des „Förderprogramms Demokratisch Handeln“ sitzt. Das Echo war enorm: 1500 Projekte gingen seit 1990 aus deutschen Schulen als Bewerbun gen für die „Lernstatt“ ein, die neuen Bundesländer beteiligten sich von Anfang an besonders eifrig. Alle Schularten können mitmachen – von der Förderschule bis zum Gymnasium.

Vielfältig wie die Facetten von Demokratie ist die Palette der Themen, die eingereicht werden: Da geht es um Ökologie ebenso wie um Ausländer-Problematik, um Nazi-Vergangenheit und Friedens-Initiativen, gewaltfreie Konfliktlösung an der eigenen Schule oder auch Schul-Partnerschaften zwischen grenznahen Einrichtungen wie etwa in Bayern und Tschechien. Peter Fauser, wissenschaftlicher Leiter der Initiative, hat auf jeden Fall festgestellt: „Schüler beschäftigen sich viel origineller mit Demokratie, als man annehmen würde, vor allem wenn sie sehen, dass ihr Einsatz eine Wirkung zeigt. Von Politikverdrossenheit kann keine Rede sein, solange es nicht um etablierte politische Systeme geht – die sehen die jungen Leute allerdings sehr skeptisch.“

Das Bundesbildungsministerium und zehn Bundesländer unterstützen das „Förderprogramm Demokratisch Handeln“ finanziell – Bayern ist bisher nicht dabei. Kultusministerin Monika Hohlmeier hat für die diesjährige Veranstaltung kein Grußwort geschrieben, und ihr Staatssekretär Karl Freller wollte zwar zu einer Podiumsdiskussion kommen, hat aber kurzfristig abgesagt.

Ausgestorbenes Schulhaus

Nach Nürnberg wurde die „Lernstatt Demokratie“ heuer aus Anlass des Stadtjubiläums eingeladen. Doch wegen der bayerischen Pfingstferien trafen die Veranstalter sowie die 110 Schüler und 50 Lehrer, die ihre Projekte vorstellen und in Workshops vertiefen, auf ein ausgestorbenes Scharrer-Gymnasium: Außer dem Hausmeister gibt es für sie keinen Ansprechpartner, keinen Austausch, keine Kontakte.

Laut Jonas Lanig vom Projektbüro Schule ist das nicht etwa eine peinliche Panne, vielmehr hätten die Leiter der angeschriebenen Gymnasien und Realschulen während der Unterrichtszeit die Durchführung der „Lernstatt“ nicht erlaubt. Bei den bisherigen „Lernstätten“ war das ganz anders, erzählt der Geschäftsführer des Förderprogramms, Wolfgang Beutel: Sie liefen immer parallel zum Unterricht, und die gastgebenden Schulen haben manche Schulstunden sogar mit einbezogen. uwo
 
 

24.06.2000
Nürnberger Zeitung