Annan fordert Erfüllung der Rechte von Kindern

... Bereits der erste Tag des Gipfels wurde vom anhaltenden Konflikt zwischen Israel und
den Palästinensern überschattet. Vertreter arabischer Staaten verlangten eine
Klarstellung, wonach die Delegation Israels auf keinen Fall als Vertretung für die
Kinder in den besetzten palästinensischen Gebieten angesehen werden dürfe. Zudem
forderten sie zusätzlich zu der seit langem vereinbarten Tagesordnung eine
Diskussion über die Lage von Kindern in besetzten Gebieten. Dabei soll Israel wegen
der Leiden palästinensischer Kinder im Westjordanland sowie in Flüchtlingslagern
öffentlich angeklagt werden.

08.05.2002
www.pz-news.de/news/artikel.dhtml?userid=1&publikation=4&template=pzphparttext&ausgabe=1335&redaktion=1&artikel=105169331
 


Kindergipfel der Vereinten Nationen Höchste Zeit zu handeln

Unsere Kinder sind in Not. Abertausende leiden still und unerkannt. Sie hungern, werden missbraucht, versklavt, als Soldaten verheizt. Und wenn nicht gerade ein Fernsehteam in der Nähe ist und Farbbilder vom Elend in die Wohnzimmer der Reichen schickt, dann sterben sie einen anonymen Tod. Einfach so, 30000 Kinder am Tag, jeden Tag; elf Millionen im Jahr.

Auch hierzulande gibt es Armut, vor allem innere Armut. Unverstanden, orientierungslos, suchen allzu viele Kinder ihren Weg. Manchmal bricht die Not plötzlich und unerwartet hervor, explodiert gleichsam, so wie bei dem Amokläufer in Erfurt. Erst dann werden wir wach, sind erschrocken. Gebetsmühlenartig werden die üblichen Verdächtigen angeklagt, und irgendwann verfallen alle in den selben Trott. Kinder haben keine Lobby.

1990 fand in New York der erste Weltkindergipfel statt. Schon das war ein Erfolg. Zum ersten Mal überhaupt standen die Kinder auf der Tagesordnung der Mächtigen. Der Gipfel damals endete mit einem großen Versprechen. Bis zum Jahr 2000 wollten die Regierungen die Weichen hin zu einer kinderfreundlicheren Welt stellen. „Die meisten Ziele von 1990 wurden nicht erreicht“, lautet heute die bittere Bilanz von UN–Generalsekretär Kofi Anan. Aber einiges hat sich doch bewegt: Heute gehen mehr Kinder als je zuvor zur Schule, die Kindersterblichkeit wurde reduziert, Impfprogramme beginnen zu greifen, und alle Staaten der Welt – bis auf die USA und Somalia – haben die Kinderrechtskonvention unterzeichnet.

Dass gerade die Vereinigten Staaten die Unterschrift unter den Kinderrechtskatalog verweigern, ist bitter. Doch so zynisch es klingt, wenigstens versprechen die USA nichts, was sie später doch nicht halten. Die festgeschriebenen Regeln, etwa zur Todesstrafe, zum Kriegsdienst oder zur Geburtenkontrolle sind für viele konservative und religiöse Kreise in den USA nicht tragbar. Schlimm genug! Aber auch in vielen jener Staaten, die die Konvention unterzeichnet haben, werden die Rechte der Kinder immer noch mit Füßen getreten.

Gewiss, kein Land will abseits stehen, wenn es darum geht, den Kindern der Welt Gutes zu tun. Doch allzu oft sind die vollmundigen Versprechen bloße Lippenbekenntnisse. Das gilt in vielen Diktaturen der dritten Welt. Aber auch die Industrienationen, leider sogar Deutschland, erfüllen längst nicht alle Vorgaben der Konvention.

Trotzdem sind Gipfel wie der in New York wichtig. Der Weg in eine bessere Welt für Kinder ist lang, unendlich mühsam. Oft möchte man verzweifeln ob der bescheidenen Erfolge, die dem unendlichen Leid gegenüber stehen. Trotzdem gilt es, nicht zu verzagen. „Wir dürfen nicht die kostbaren Leben unserer Kinder vergeuden. Kein einziges mehr, nicht einen Tag länger,“ mahnt Friedensnobelpreisträger Nelson Mandela. „Es ist höchste Zeit zu handeln.“

Gerade die reichen Länder könnten hier mit gutem Beispiel voranschreiten. Jeder einzelne kann dies tun: Den Kindern zuhören, ihre Sorgen und Meinungen ernst nehmen.

Aber auch die Regierung ist gefordert: Warum beispielsweise, erhalten die Kinderrechte bei uns nicht Verfassungsrang? Der Tierschutz soll künftig im Grundgesetz festgeschrieben werden. Gut so, aber unsere Kinder sollten uns doch wohl mindestens ebenso wertvoll sein. Ein Land, in dem die Rechte der Tiere womöglich mehr Schutz genießen als die der Kinder, ein solches Land läuft Gefahr vor die Hunde zu gehen.

Kai A. Struthoff

08.05.2002
www.weser-kurier.de/politik/fs_wk_politik.html?id=11568



 

"Kinderrechte sind nicht nur was für die Dritte Welt"

NGO-Sprecher fordert Aktionsplan für Deutschland / Umgang mit Flüchtlingskindern beklagt

Eine ambivalente Bilanz zieht die National Coalition für die Umsetzung der UN-Kinderrechtskonvention in Deutschland, ein Zusammenschluss von rund 100 Nichtregierungsorganisationen. Sprecher Jörg Maywald sieht zwar erhebliche Fortschritte bei der Gesetzgebung, kritisiert aber zahlreiche Verstöße gegen Kinderrechte. Im Gespräch mit FR-Redakteur Wolfgang Wagner fordert Maywald einen nationalen Aktionsplan zur Verbesserung der Situation der Kinder in Deutschland. Vor allem müssten Flüchtlingskindern endlich die vollen Kinderrechte zugestanden werden.

Frankfurter Rundschau: Vor zehn Jahren trat die UN-Kinderrechtskonvention in Deutschland in Kraft. Welche positiven Auswirkungen hatte dies für die Situation der Kinder?

Jörg Maywald: Das Bewusstsein für Kinderrechte ist allgemein gestärkt worden. Wichtig ist, dass Kinder nicht als Objekte, sondern als Subjekte angesehen werden, die Rechte haben. In dieser Hinsicht gibt es ganz erhebliche Fortschritte: Kinder haben mittlerweile ein Recht auf gewaltfreie Erziehung. Seit der Kindschaftsrechtsreform haben sie ein Recht auf Umgang mit beiden Eltern. Und sie haben ein Recht auf einen Kindergartenplatz. Auch das früher stark im Hintergrund stehende Recht der Kinder auf Mitbestimmung ist mehr in den Vordergrund gerückt.

Der Bericht der National Coalition lässt aber kaum den Schluss zu, dass sich die Lage der Kinder verbessert hat.

Wir beobachten eine "Verinselung" der Kinder in Deutschland. Zahlenmäßig gesehen sind Kinder fast zur Randgruppe geworden. Kinderleben findet nur noch an wenigen Orten statt. Mit einem Kind umzugehen ist eine Fertigkeit, die viele nicht mehr selbstverständlich beherrschen. Das hat auch große Auswirkungen auf das Bewusstsein der Menschen. Es gibt die Tendenz, das einzelne Kind als immer wertvolleres Gut zu achten, zugleich aber die strukturellen Interessen der Kinder zu ignorieren. Wo der Schuh wirklich drückt, ist die Umsetzung der Kinderrechte.

Welches sind die Rechte, die in Deutschland am meisten verletzt werden?

Kinder haben laut der Konvention ein Recht auf angemessenen Lebensstandard. In Deutschland haben aber die Jüngsten die wenigsten Mittel zur Verfügung. Die Kinderarmut hat relativ zur Erwachsenenarmut stark zugenommen. Auch beim Recht der Kinder auf beste gesundheitliche Versorgung hakt es an vielen Punkten: Arzneimittel werden nicht auf ihre Verträglichkeit für Kinder geprüft, Grenzwerte für Schadstoffbelastung orientieren sich an Erwachsenen und nicht am viel empfindlicheren Körper des Kindes. Fast 50 Prozent der Kinder, die im Krankenhaus sind, liegen auf Erwachsenen-Stationen - werden also nicht kindgerecht behandelt. Zudem gibt es trotz des Rechts auf gewaltfreie Erziehung in Deutschland ein erschreckendes Maß an Kindesmisshandlung, Vernachlässigung und sexuellem Missbrauch. Ein weiterer Punkt betrifft die Rechte von Flüchtlingskindern.

Wie ist deren Situation?

Sie haben nicht die gleichen Rechte wie andere Kinder. Das ist ein Verstoß gegen fundamentale Prinzipien der UN-Kinderrechtskonvention, etwa des Rechts auf Nicht-Diskriminierung und des Rechts auf Vorrang des Kindeswohls. Die so genannte Vorbehaltserklärung, die Deutschland abgegeben hat, besagt unter anderem, dass das Ausländer- und Asylgesetz in Deutschland Vorrang hat vor der Kinderrechtskonvention. Sie bewirkt, dass die Rechte der Flüchtlingskinder - etwa das Recht auf Bildung - eingeschränkt werden. Dies ist umso schlimmer, als es die Schwächsten der Gesellschaft betrifft.

Hatten Sie von Rot-Grün die Rücknahme des Vorbehalts erwartet?

Ganz sicher. Es gibt ja mittlerweile auch zwei Bundestagsbeschlüsse mit der klaren Aufforderung an die Regierung, die Vorbehaltserklärung zurückzunehmen. Es tut sich aber leider immer noch nichts. Bundesinnenminister Otto Schily mauert.

Wo sehen Sie dringenden Handlungsbedarf?

Deutschland muss endlich die Kinderrechtskonvention vorbehaltlos anerkennen. Zweitens sollten die Kinderrechte auch in das Grundgesetz aufgenommen werden. Zudem müssen Bund und Länder dafür sorgen, dass Kindsein nicht ein Armutsrisiko bedeutet. Eltern müssen bei der Umsetzung des Rechts auf gewaltfreie Erziehung stärker unterstützt werden, etwa durch Beratung.

Welche Auswirkungen auf Deutschland erhoffen Sie sich vom New Yorker Gipfel?

Der erste Weltkindergipfel vor zwölf Jahren hatte beschlossen, dass jedes teilnehmende Land einen Aktionsplan beschließt, dessen Umsetzung auch überprüft werden soll. Deutschland hat dies damals unterlassen. Man war der Ansicht: Kinderrechte ist was für die Dritte Welt, bei uns geht es den Kindern gut. Deutschland sollte nun zum Gipfel nicht nur schöne Worte finden, sondern auch einen Plan für konkrete Aktionen beschließen, der überprüfbar ist.

08.05.2002
www.fr-aktuell.de/fr/102/t102004.htm