Familiengeheimnis nach 30 Jahren gelüftet

Ungewöhnliche Ehescheidung beschäftigt das Neubrandenburger Gericht

Neubrandenburg (EB/B. Bernstein). "Der Vater ist immer ungewiss", diese Erkenntnis haben schon die besten Juristen des Altertums, also die Römer, zu einer abendländischen Weisheit erhoben. Auch im Neubrandenburg der Jahrtausendwende ist diese heikle Frage Hintergrund einer ehelichen Auseinandersetzung vor dem Familiengericht. Die Scheidung eines Ehepaares, das seit Jahrzehnten miteinander verheiratet ist, steht an.

Beide Ehegatten - etwa 60 Jahre alt - arbeiten nicht mehr. Der Mann ist bereits Rentner, die Frau bezieht Leistungen des Arbeitsamtes. Am Monatsende hat er etwa 400 Mark mehr auf dem Konto als die Frau. Die Hälfte der Differenz, also 200 Mark monatlich, macht die Ehefrau als "Aufstockungsunterhalt" gerichtlich geltend. Jedoch ein Achtel seiner Rente eventuell an seine Frau abgeben zu müssen, das irritiert den Ehemann. Zu sehr, zu häufig hat ihn, so behauptet er, die Frau in den Jahrzehnten der Ehe geärgert, gereizt und verletzt. So wird in die Pandorra-Büchse der Vergangenheit gegriffen und manches Übel auf dem Richtertisch platziert, um eine Verwirkung des Unterhaltsanspruchs zu erreichen.

Ein Kind - zwei Väter?

"Zu spät, zu spät..." erklärt das Gericht, all diese Garstigkeiten seien dem Ehemann bekannt gewesen und durch die Fortsetzung der Ehegemeinschaft als verziehen anzusehen. Ist dies eine richtige Sicht der Dinge, fragt der Ehemann; denn nicht wegen seiner Frau, sondern der vier gemeinsamen Kinder wegen, die damals noch klein und abhängig waren, habe er die Ehe aufrecht erhalten. Doch dann, wie ein "Deus ex machina" trägt eine nahe Verwandte des Mannes eine hilfreiche, vielleicht prozessentscheidende Neuigkeit heran. Neu ist dieses Ereignis jedoch nur für den Ehemann: Vor etwa dreißig Jahren, neun Monate vor der Geburt eines der vier Kinder, habe ein Mann aus Neubrandenburg - so berichtet die Verwandte - vor ihr damit geprahlt, ein Verhältnis mit der Ehefrau zu unterhalten; auch habe dieses Kind nunmehr als erwachsener Mensch eine viel größere Ähnlichkeit mit jenem prahlsüchtigen Mann vor 30 Jahren als mit dem Ehemann. Der Ehemann habe aber erst jetzt von diesen Umständen erfahren, weil die Verwandte, so betonte sie, damals und in den Folgejahren den Anschein des ehelichen Friedens und das reibungslose Aufwachsen der vier Kinder nicht habe stören wollen.

Der Ehemann führte diese Neuigkeit nun in den Unterhaltsprozess ein. Immer noch wog die Richterin bedenkenvoll den Kopf.

Nebenbuhler verstorben

Doch dann erhob der Ehemann vor wenigen Wochen gegen sein etwa 29jähriges Kind die Ehelichkeitsanfechtungsklage. Damit soll das Gericht - gleichfalls das Familiengericht Neubrandenburg - feststellen, dass dieser Vater und dieses Kind sich eigentlich nicht so nennen dürfen. Als nun die Scheidungsrichterin über diese Klage informiert wurde, war der Bann gebrochen.

Der Unterhalts- und damit auch der Scheidungsprozess wurde ausgesetzt, bis über die Frage der Vaterschaft - mit Hilfe von Gutachten - entschieden ist. Nur - wird hinreichende Gewissheit geschaffen werden? Schon kommen Zweifel auf. Denn jener Mann, der vor 30 Jahren lauthals sein damaliges Verhältnis mit der Ehefrau propagierte, ist bereits vor etlichen Jahren verstorben, kann also in das Blutgruppengutachten nicht mehr mit einbezogen werden. Werden nun andere, neueste wissenschaftliche Methoden herangezogen?

Eine spannende Geschichte vor den Schranken des Familiengerichts Neubrandenburg, deren Ende noch nicht abzusehen ist.

22.09.2000
Nordkurier