Mit Gentest die Vaterschaft widerlegt

Wenn Kinder-Augen die untreue Mutter verraten und den „Vater“ entlasten – Immer mehr private Untersuchungen

EHRINHSHAUSEN (gh). René Pascal heißt der kleine Mann. Er ist sechs Wochen alt und die Freude von Rüdiger B. und seiner zweiten Frau. Er ist Rüdiger B.'s erstes Kind. Er war schon einmal Vater – bis ein Test das Gegenteil bewies. Der Ehringshäuser stößt auf bundesweites Interesse, weil er einer der Vorreiter war, der mit einem privat in Auftrag gegebenen Gentest vor Gericht zog, um eine Vaterschaft zu widerlegen. „Kuckuckskinder“ nennt man die Jungen und Mädchen, deren Vater nicht ihr Vater ist. Die Augenfarbe sei es gewesen, die ihn stutzig gemacht habe, erzählt B. Wenn beide Elternteile blaue Augen haben und ihr – angeblich – gemeinsames Kind braune, dann war das mit der Vererbungslehre nicht in Einklang zu bringen. B. war zwar von der ersten Frau geschieden, zahlte aber weiter Unterhalt. 30000 Mark seien da aufgelaufen, schätzt er heute. B. machte sich kundig und stieß auf das Wiesbadener ID-Labor, das auf Gentest in Vaterschaftsfragen spezialisiert ist. Das Testpaket – eine Art Wattestäbchen in sterilem Röhrchen – kam, B. entnahm seinem Noch-Kind „spielerisch“, wie er sagt, eine Speichelprobe und schickte sie zurück. Vier Wochen später war das Ergebnis da: Rüdiger B. war nicht der Vater.

Vier der 13 Allelen (Allel – Eigenschaften und Fähigkeiten, die sich jeweils auf ein einzelnes oder eine Kombination von Genen zurückführen lassen, etwa Augenfarbe) von Vater und Kind stimmten nicht überein, für Fachleute ein eindeutiges Zeichen. B. war um 817 Mark ärmer, aber um eine Erkenntnis reicher.

Vaterschaft widerlegt Und der Ehringshäuser ging vor Gericht. Mit Erfolg: Die Vaterschaft wurde widerlegt. Letztlich aber war nicht der Gentest für das Familiengericht ausschlaggebend, sondern ein Bluttest, den das Gericht für alle drei Beteiligten angeordnet hatte.

Zwar hat B. den Prozess am Amtsgericht Wetzlar gewonnen (Aktenzeichen 6F705/99KI) und muss damit keinen Unterhalt mehr zahlen. Doch da waren noch die Gerichtskosten. Da er gegen sein angebliches Kind klagen musste (nicht gegen seine Ex-Frau) und dieses nichts besitzt, hatte er die Gerichtskosten zu tragen; zumindest 50 Prozent, die andere Hälfte übernahm die Staatskasse. Ob er sein Geld wiederbekommt, ist offen. Die Ex-Frau wollte und musste den wahren Vater nicht nennen, so dass B. keinen Regress einfordern konnte und bis heute kann. Und für Regressansprüche gilt die kurze Verjährung von vier Jahren.

In Deutschland werden jeden Tag 100 Kinder geboren, bei denen der Vater nicht weiß, dass die Kinder nicht von ihm sind, berichtete das ZDF-Magazin „frontal 21“. Der Markt für Einrichtungen, die Gentests von Vätern analysieren, ohne dass die jeweilige Frau davon etwas weiß, floriert entsprechend.

Die verstärkte öffentliche Aufmerksamkeit in Sachen Vaterschaftstest – nicht erst seit dem Fall Boris Becker – macht Dr. Angelika Lösch, Geschäftsführerin des ID-Labors Wiesbaden, für die Zunahme der Tests verantwortlich. Das Unternehmen besteht seit Ende 1998. Für das Jahr 1999 habe ID rund 500 Anfragen zu verzeichnen. Derzeit seien es etwa 3000 im Jahr – Tendenz steigend. Diese Zahl umfasst sowohl private als auch öffentliche Aufträge, etwa von Gerichten. Dr. Lösch schätzt, dass der Anteil der öffentlichen Aufträge bei zehn Prozent liegt.

Das Labor benötigt nur einige Körperzellen von Vater und Kind – Haare aus einer Bürste oder Schleimhaut-Zellen vom Schnuller, um die Vaterschaft zu klären. Stimmen die Zellproben genetisch nicht überein, war Untreue im Spiel, wurde das Kind dem ahnungslosen Mann wissentlich oder unwissentlich untergeschoben. Allerdings: Zu einer Vaterschaftsanrechnung vor Gericht taugen heimliche Gentests nicht zwangsläufig. Denn sie werden bei Vaterschaftsprozessen nicht automatisch als Beweismittel anerkannt.

Nur ZweijahresfristEin weiteres rechtliches Hindernis: Man kann die biologische Vaterschaft in aller Regel nur innerhalb einer gesetzlichen Zweijahresfrist anfechten. Die Frist beginnt laut Paragraph 1600 des Bürgerlichen Gesetzbuchs mit dem Zeitpunkt, an dem der Berechtigte von den Umständen erfährt, die gegen die Vaterschaft sprechen. Nach dieser Frist ist und bleibt man „rechtlicher Vater“ mit allen (Versorgungs)-Pflichten, auch nach einer Scheidung.

13.06.2001
www.mittelhessen1.de