Vaterschaftstest
Das Geschäft mit dem Zweifel Von Julia Schaaf 14. April 2004 Am entscheidenden Abend war alles wie im Krimi. Schon zum Tischdecken streifte Helmut Grasser (Namen aller Betroffenen geändert) Handschuhe über, die hautengen Gummifinger aus dem Erste-Hilfe-Kasten. Bloß keine Spuren hinterlassen. Die Gläser nahm er frisch aus der Spülmaschine und rieb sie einzeln mit Küchenkrepp ab. Er hatte schön eingekauft und zum Nachtisch Bananenquark gerührt, wie ihn sein Sohn schon als Kind so gern gegessen hatte. Schließlich sollte der um jeden Preis den kleinen Löffel benutzen. Rückblickend, sagt Grasser, fühle er sich wie ein Verbrecher. Trotzdem wurde der Abend ganz nett. Der Bananenquark schmeckte, Vater und Sohn verstanden sich ungewöhnlich gut. Als sich der Vierundzwanzigjährige verabschiedet hatte, zog Grasser die Handschuhe wieder an, wickelte das Wasserglas und den Teelöffel in Küchenpapier und brachte das Päckchen mit den so gewonnenen DNA-Spuren am Tag darauf zur Post. Ein nachdenklicher Mann Tage später dann fingerte Grasser den Umschlag mit dem Absender des Laboratoriums aus dem Briefkasten. Er war nervös, lief kurz in der Wohnung herum, räumte Kleinigkeiten von hier nach dort und nahm schließlich in seinem Lieblingssessel Platz. Eine Rechnung über 489,40 Euro, eine Tabelle voller Zahlen, zwei Seiten Text. Dazwischen fett gedruckt der Satz: "Eine Vaterschaft ist daher offensichtlich unmöglich." Dann, erzählt Grasser, habe er Atemnot bekommen. Seitdem liegt sein Leben in Trümmern. Der Neunundfünfzigjährige schläft schlecht und schluckt Beruhigungsmittel. Er lehnt in seinem Wohnzimmersofa in Potsdam, ein stattlicher, nachdenklicher Mann mit ergrautem Haar, und legt die Hände ineinander, als wolle er sich an sich selbst festhalten. Er sagt: "Im Grunde bin ich der Verlierer." Wegbereiter Privatfernsehen Der Gewinner des biotechnischen Fortschritts steht im Fall von Vaterschaftstests noch nicht fest. Neue Laboratorien mit neuen gendiagnostischen Methoden, die in den vergangenen fünf Jahren entstanden sind und ihre Dienste vor allem im Internet anbieten, haben den Markt der Abstammungsgutachten revolutioniert. "Sicher, günstig, schnell, diskret" lauten die Schlagworte, mit denen Firmen wie "Genolab" für ihr Angebot werben. Zwei, drei Wattestäbchen, simple Abstriche von der Mundschleimhaut geben Aufschluß über Familienbeziehungen, die bis vor wenigen Jahren nur anhand teurer Bluttests ermittelt werden konnten. Die Kosten sind auf weniger als ein Viertel zusammengeschrumpft. Und wo früher alle Betroffenen persönlich zur Probenentnahme beim Arzt erscheinen mußten, werden Genspuren weitgehend anonym per Post versandt. Begeisterung, Fundamentalkritik und eine beträchtliche Medienerregung bis hin zu Vaterschaftstest-Shows im Reality-Privatfernsehen haben diese Entwicklung begleitet. Die neue Technik vermengt nicht nur widerstreitende wirtschaftliche Interessen mit Ethik und Moral, stellt nicht nur Fragen zu Datenschutz und Persönlichkeitsrechten, beschäftigt Politik und Justiz. Die scheinbar unkompliziert gewonnenen Erkenntnisse haben Folgen, die vorher oft nicht abzusehen sind: für Vaterliebe und Männerstolz, für Familien, Beziehungskonflikte und Unterhaltsstreitigkeiten - und nicht zuletzt für das Leben der Kinder. Eine Vielzahl von Anbietern Jetzt haben sich acht dieser - nicht mehr ganz - neuen Laboratorien zu der Kooperationsgemeinschaft "Valid" zusammengeschlossen, um im gesellschaftlichen Meinungsstreit für ihre Interessen einzutreten. "Wir müssen uns zu all diesen Dingen äußern, und das können wir nur als Gemeinschaft", sagt Henriette Tewes. Die Geschäftsführerin des Labors "Papacheck" ist die Vorsitzende des gerade gegründeten Verbunds, der unter anderem auf die Einhaltung hoher Qualitätsstandards dringen und zu diesem Zweck ein eigenes Gütesiegel entwickeln will. Auf diese Weise versuchen die Laboratorien, sich in zwei Richtungen abzugrenzen. Einerseits gegenüber der Vielzahl der Anbieter, die weniger seriös arbeiten oder kein eigenes Labor betreiben, sondern Proben lediglich weiterleiten. Andererseits gilt es, sich gegen Angriffe auf die eigene Kompetenz zu wehren. Ein Bericht der Zeitschrift "Ökotest" hatte im November elf Privatlabors fast durchweg als "mangelhaft" eingestuft - die Abwertung kam jedoch vor allem durch moralische Kriterien und von den Einsendern falsch ausgewiesene Proben zustande. In die Auswertung war auch der Gutachter Jürgen Henke involviert. Als Vorsitzender des "Bundesverbands der Sachverständigen für Abstammungsgutachten" personifiziert er die etablierte Konkurrenz, die den Markt bis vor wenigen Jahren untereinander aufgeteilt hatte. "Die alteingesessenen Labore sehen ihre Felle davonschwimmen", sagt Tewes. Heimliche Tests rechtswidrig Auch auf die Politik soll "Valid" Einfluß nehmen, denn die Bundesregierung plant ein Gendiagnostikgesetz, das auch Vaterschaftstests verbindlich regeln soll. Tewes sagt: "Unsere Sorge ist, daß dort ein Gesetz verabschiedet wird, während es einfach noch an Aufklärung fehlt." Erwartet werden klare Einschränkungen vor allem für die umstrittenste Spielart der neuen Diagnostik, die sogenannten heimlichen Tests, bei denen - zumeist - der Vater ohne Wissen der Mutter Proben testen läßt. Die im Bundesverband organisierten Sachverständigen lehnen das ab. Im Wiesbadener "ID-Labor", das zu den "Valid"-Gründern zählt, ist jeder fünfte von 3.000 Tests im Jahr ein solcher Defizienzfall. Noch kursiert im Sozialministerium nur ein Arbeitspapier; ob in dem Gesetz Strafandrohungen festgeschrieben werden, ist offen. Aber Justizministerin Brigitte Zypries hat ihren Standpunkt nie verhehlt: Sie hält heimliche Tests schon nach heutiger Gesetzeslage für rechtswidrig, weil sie die Persönlichkeitsrechte von Mutter und Kind beeinträchtigt sieht. Vertreter der Labore hingegen argumentieren mit den Interessen der Väter: "Ich halte es selbstverständlich für legitim, wenn ein Mann sich Klarheit über seine Nachkommen verschaffen will", sagt Molekularbiologin Kirsten Thelen vom "ID-Labor". Henriette Tewes hält es zwar für besser, die Mutter in den Test einzubeziehen. Aber Bedingung dürfe das nicht sein: "Die eigentliche Kernfrage ist: Sind wir noch gerecht? Warum können Frauen sich weigern, einen Vaterschaftstest durchzuführen? Väter haben auch das Recht, zu wissen, von wem das Kind ist." „Ist das dein Kind oder nicht“ Helmut Grasser hat das Testergebnis neben sich auf den Couchtisch gelegt. "Ich wollte einfach nur die Bestätigung, daß meine Unsicherheit endlich weggeht." Es klingt hilflos. Der Test schien der Endpunkt einer emotionalen Odyssee. Schon vor Jahren hatte ein Freund ihn auf die fehlende Ähnlichkeit zwischen Vater und Sohn aufmerksam gemacht: Haare, Augen, Statur, aber auch das Wesen des Jungen, in dem Grasser sich selbst nicht wiederfand. Keine gemeinsamen Interessen. Sie hatten sich in der Pubertät entfremdet, die Scheidung der Eltern hatte das Verhältnis nicht gerade entspannt. Und seit Grasser im Ruhestand war und jeder Tag plötzlich lang und leer, breiteten sich die Zweifel aus. Hatte seine geschiedene Frau ihn nicht in den letzten Ehejahren betrogen? Als er dann zufällig einen Fernsehbericht über Vaterschaftstests sah, fiel seine Entscheidung. Grasser zerreibt Luft zwischen Daumen und Zeigefinger, als könne er so dieses Gefühl zu fassen kriegen, das ihn monatelang getrieben hatte: "Ist das dein Kind, oder ist das nicht dein Kind?" Heimliches Gutachten der schonendere Weg Carsten Wolff bekam den Tip von seiner Rechtsanwältin. Die Ehe war kaputt, die Scheidung stand bevor, und seine Frau hatte ein außereheliches Verhältnis zugegeben. Die Anwältin fragte nach: Was wäre, wenn? Wenn er jahrelang zwei Kinder großgezogen und finanziert hätte, die nicht seine eigenen sind? Mitunter geht es in solchen Fällen um viel Geld, denn selbst wenn der Nachwuchs längst erwachsen ist, kann ein Mann erbrachte Unterhaltsleistungen zurückfordern. Dafür muß gerichtlich erwiesen sein, wer der tatsächliche Vater ist. Ob jedoch ein heimliches Testgutachten als Grundlage akzeptiert wird, um eine anerkannte Vaterschaft anzufechten, ist rechtlich umstritten. Im März hat das Oberlandesgericht Celle in einer aufsehenerregenden Entscheidung die Klage eines Mannes abgewiesen. Die Begründung: Der Test, der ohne Einwilligung der allein sorgeberechtigten Mutter gemacht worden war, verstoße gegen das Recht der zehnjährigen Tochter auf informationelle Selbstbestimmung. Der Kläger ging in Revision, jetzt muß der Bundesgerichtshof entscheiden. Ulrike Börger, Vorsitzende des Familienrechtsausschusses der Bundesrechtsanwaltskammer, kritisiert die Entscheidung. Weil das aufwendige gerichtliche Verfahren zur Vaterschaftsanfechtung die Beziehung zwischen Vater und Kind möglicherweise irreparabel belaste, sei ein heimliches Gutachten in der Regel der schonendere Weg für beide, um die quälenden Zweifel des Vaters zu klären. "Das ist auch ein Belang des Kindes, der bisher nicht ausreichend berücksichtigt wird", sagt Börger. „Ich schäme mich“ Etwa im Fall von Carsten Wolff: Der Test hat bestätigt, daß er der Vater seiner Kinder ist. Im nachhinein sprach er mit den Teenagern über das Ergebnis. Alle drei waren erleichtert. Für Helmut Grasser hingegen ging der Schuß nach hinten los: Als sein Sohn von dem Test erfuhr, tobte er vor Wut und drohte seinem Vater Prügel an. Er fühlte sich ausspioniert, hintergangen, betrogen. Womöglich auch verletzt und verlassen. Jedenfalls verbot er Grasser, ihn je wieder anzurufen, warf ihm vor, er habe sein Leben zerstört. Grasser spricht mit leiser Stimme. Wer bekommt jetzt den Zweitschlüssel zu seiner Wohnung? Muß er sein Testament ändern? Er braucht den Jungen doch, will ihn wiederhaben, den Sohn, trotz allem. Manchmal würde er das Gutachten am liebsten verbrennen. "Ich hab' mein Ding durchgezogen und keine Rücksicht auf mein Umfeld genommen", sagt der Pensionär. "Ich schäme mich." Frankfurter Allgemeine Zeitung, 14.04.2004, Nr. 87 / Seite 9 |
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Helmut Grasser
hat richtig gehandelt. Er hat den Sohn seiner Ex-Frau nicht betrogen.
Thomas
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