Vaterschaftstests
Das Geschäft mit den Kuckuckskindern
Von Jörg Schallenberg
Immer mehr Männer wollen wissen, ob sie tatsächlich die leiblichen Väter ihrer Kinder sind. Wegen der steigenden Nachfrage boomen private Labors, die Tests per Internet - und jetzt auch in der Apotheke anbieten.
Als Boris Becker nach einem flüchtigen Austausch von Körperflüssigkeiten in der Besenkammer eines Londoner Hotels Gewissheit darüber erlangen wollte, ob er tatsächlich der Vater der kleinen rothaarigen Anna sei, begab er sich zu einem DNS-Test in eine teure englische Privatklinik. Das war zwar standesgemäß, aber er hätte das Ergebnis auch einfacher haben können - und billiger.
Eine ganze Reihe von Biotech-Unternehmen und privaten Labors hat sich in Deutschland mittlerweile auf die lukrative Sparte der Abstammungsgutachten spezialisiert und bietet diese auch im Internet an. Seit Anfang November ist ein Vaterschaftstest nun erstmals in der Apotheke erhältlich: Die Frankfurter Firma Humatrix beliefert rund 300 Apotheken im Raum Köln mit ihrem "Testkit", das aus Reagenzgläsern, Wattestäbchen und einer Gebrauchsanweisung besteht und 39,90 Mark kostet.
Mit den Wattestäbchen sollen Gewebeproben, meist Abstriche der Mundschleimhaut, von einem oder mehreren möglichen Vätern und dem Kind entnommen und im Reagenzglas an das Labor von Humatrix geschickt werden. Innerhalb von drei Werktagen, so verspricht die Firma, werden die Proben ausgewertet, wobei eine mögliche Vaterschaft laut dem Vorstandsvorsitzenden Michael Ruiss "zu 99,99 Prozent sicher bestimmt" und im entgegengesetzten Fall sogar hundertprozentig ausgeschlossen werden kann. Die DNS-Analyse kostet allerdings mindestens 1450 Mark.
Der Vaterschaftstest soll bald so populär werden wie der so genannte B-Test zur Schwangerschaft. Auf die Nachfrage nach den ersten Ergebnissen der Apotheken-Testserie hin hält sich Humatrix zwar bedeckt, doch das Geschäft mit den Abstammungsnachweisen boomt. Michael Ruiss rechnet für seine erst im Februar 2001 gegründete Firma mit 2500 Tests pro Jahr, das Wiesbadener ID-Labor kommt ebenfalls auf über 2000 Tests. In den USA, wo private Labors schon länger am Markt sind, hat sich die Zahl der Gutachten in den vergangenen fünf Jahren fast verdoppelt - von 150.000 auf 280.000.
Bis zu 70.000 Kuckuckskinder pro Jahr
Die steigende Nachfrage verwundert kaum, denn laut einer Schätzung der "Ärztezeitung", die sich auf deutsche und englische Statistiken bezieht, sind fünf bis zehn Prozent aller Neugeborenen Kuckuckskinder, die einem falschen leiblichen Vater ins Nest gelegt werden. Das wären in Deutschland 35.000 bis 70.000 Kinder pro Jahr. So schicken dann auch zum großen Teil Väter ihre Proben zu Humatrix, ID-Labor, oder Genedia in München. Was in den Labors eintrifft, ist mitunter kurios, denn alle Firmen werben damit, das benötigte DNS-Material auch aus Kaugummis, Schnullern, Bürsten oder Taschentüchern extrahieren zu können.
Übereinstimmungen oder Abweichungen zwischen dem DNS-Material bestimmt Humatrix, wie andere Unternehmen auch, mit der so genannten Polymerase-Kettenreaktion. Für die Beschränkung auf diese Methode ernten die Biotech-Firmen allerdings Kritik. So nutzt etwa der Hamburger Sachverständige Wolfgang Martin als zweites Verfahren den so genannten Restriktions-Fragment-Längen-Polymorphismus, bei dem nach DNS-Fragmenten unterschiedlicher Länge gesucht wird. Den privaten Labors wirft Martin vor, diesen zweiten Test aus Kostengründen einfach einzusparen. Helmut Adamek, Vorsitzende der Interessengemeinschaft der Sachverständigen für Abstammungsgutachten, einer Vereinigung gerichtlich bestellter Gutachter, pocht hingegen für gerichtsrelevante Gutachten auf die gesetzlich vorgeschriebenen Richtlinien des Robert-Koch-Instituts, die neben der DNS-Analyse auch die klassischen Bestimmungen von Blut, Eiweiß und Enzymen vorsehen.
Die privaten Labors aber verteidigen ihre Methode und sichern Kunden zu, dass für ein juristisch anerkanntes Gutachten lediglich die Identität der getesteten Personen festgestellt werden muss, etwa indem ein Arzt neben den Proben auch Fingerabdrücke nimmt. Zudem verweisen die Firmen darauf, dass für ein Gerichtsverfahren in jedem Fall mögliche Väter, die Mutter und das Kind gemeinsam getestet werden müssen.
"Massiver Eingriff in die Persönlichkeitsrechte des Kindes"
Denn nur bei einem Viertel aller Untersuchungen, die Humatrix durchführt, sind laut Ruiss die Mütter überhaupt informiert. Diese Praxis wiederum ruft den Bundesbeauftragten für Datenschutz, Joachim Jacob, auf den Plan, der fordert, "dass diese Art von Vaterschaftstest unter Strafe gestellt werden muss". Seiner Meinung nach seien heimliche Tests ein "massiver Eingriff in die Persönlichkeitsrechte des Kindes". Ruiss sieht das natürlich ganz anders: "Es ist das Recht eines Vaters, zu wissen, ob er der Vater ist oder nicht". Strafrechtlich sind bislang weder die Väter noch die Labors zu belangen. Entnimmt allerdings ein mutmaßlicher Vater, der nicht das Sorgerecht innehat, eine Gewebeprobe des Kindes, so kann er wegen Körperverletzung angeklagt werden.
Während etwa das Rechtsmedizinische Institut der Universität München Analysen ohne Zustimmung der Mutter ablehnt, möchten die privaten Labors aber nicht auf die Einnahmen aus diesen Tests verzichten. Zwar empfiehlt man bei Genedia "dringend, die Einwilligung der Mutter zu solch einem Test einzuholen", andererseits steht es jedermann offen, seine Proben einfach per Post einzusenden. Zu den Kunden zählen neben Vätern, Müttern, Kindern und Gerichten mittlerweile auch noch ganz andere Interessenten - so weist das ID-Labor in seinen Referenzen stolz darauf hin, regelmäßig die Talkshow-Redaktionen von Pro Sieben, RTL und Sat.1 zu beliefern.
Humatrix
http://www.humatrix.de/
Genedia
http://www.genedia.de/
ID-Labor
http://www.id-labor.de/
Interessengemeinschaft
der Sachverständigen für Abstammungsgutachten
http://www.vaterschaftstest.de/