Sexlust in den 50er Jahren

Uneheliche Tochter: Grab des angeblichen Vaters öffnen

Ein delikater Fall beschäftigt das Familiengericht in Böblingen: Eine um die 50 Jahre alte Frau aus Herrenberg will die Leiche eines kürzlich Verstorbenen exhumieren lassen. Der Mann soll ihr Vater sein.

VON ULRICH HANSELMANN

Die für Kaffeekränzchen und Stammtische taugliche Geschichte beginnt in den 50er Jahren. Eine damals junge Frau genoss ein abwechslungsreiches Liebesleben - mit Folgen. Eine Tochter wurde geboren, und der Vater gesucht. Vergeblich. Der ständige Freund der mit ihren Reizen nicht geizenden Dame war's nach damaligen Untersuchungen nicht. Aber auch nicht der Verstorbene: Der Mann gewann die von seiner Geliebten angestrengte Zahlungsklage.

Ein so genanntes Tragegutachten, berichtete der Stuttgarter Rechtsanwalt Edgar Fröschlin, gab den Ausschlag. Demnach war die junge Frau schon schwanger, als sie sich mit dem jetzt im Grab liegenden Mann vergnügte. Fröschlin vertritt die Erben des Verstorbenen, der nie geheiratet hat: die Kinder seiner Lebensgefährtin sowie eine Halbschwester und deren Kinder. Es geht um über eine Million Mark. Von dem ordentlichen Batzen Geld will die Tochter der sexlustigen Frau einen Anteil, sagt Fröschlin.

Die etwa 50-Jährige stellt die Sache aber offenbar anders dar: Ihr gehe es darum, endlich zu erfahren, wer ihr Vater ist. Eine DNA-Analyse könnte absolute Gewissheit bringen. Dazu müsste aber das Grab geöffnet und die Leiche exhumiert werden. Richter Wulf Lindhauer hat die Entscheidung vertagt, ein neuer Termin steht noch nicht fest. Der Fall wird, wie bei Familienrechtssachen üblich, nichtöffentlich verhandelt. Für Gerichtssprecher Werner Payer birgt die Sache "einige Brisanz'': Kollege Lindhauer müsse abwägen, ob das Anliegen der Herrenbergerin so wichtig sei, dass es die Störung der Totenruhe berechtige.

Fröschlin jedenfalls will die Graböffnung verhindern - und kündigt zur nächsten Verhandlung den Antrag auf ein weiteres Gutachten an. Denn seine Mandanten glauben zu wissen, wer einst die Frau mit den vielen Bekanntschaften schwängerte - ein Unternehmer aus dem Raum Herrenberg: "Zwei Elefanten zeugen keine Maus'', sagt Fröschlin. Die Erklärung: "Die Frau, die dieses tolle Liebesleben führte'', sei heute ausgesprochen dickleibig. Auch der einstige Liebhaber, dessen Grab geöffnet werden soll, war zu Lebzeiten "recht korpulent''. Die Tochter aber sei "dünn und drahtig''.

So wie jener Unternehmer, der sich zur mutmaßlichen Liaison aber nicht mehr äußern kann - auch er ist schon gestorben. Eine DNA-Analyse, die in den 50er Jahren noch nicht bekannt war, ist in diesem Fall unmöglich: der Mann wurde feuerbestattet.
 
 

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Stuttgarter Nachrichten
vom 07.07.2001