Väteraufbruch für Kinder e.V. 
Thomas Martin Vertreter in der „National Coalition"

Odenwaldstr. 29, D-51105 Köln, fon/fax 0221-8370155

National Coalition, KoG
c/o Frau Schmidt-Behlau/Herr Sven Borsche
Arbeitsgemeinschaft für Jugendhilfe
Haager Weg 44
53127 Bonn

Tel. 0228-91024-0

Köln, den 16.6.1997

National Coalition der UN in Deutschland und von ihr zu organisierende geeignete Maßnahmen bezüglich der Unvereinbarkeiten mit den völkerrechtlichen Vorgaben im neuen deutschen Kindschaftsrecht.

Sehr geehrte Damen und Herren der KoG bzw. Mitgliedsorganisationen,

die Sitzung der Koordinierungsgruppe am 22.5.1997 hat bekannt gegeben, daß die Reform des Kindschaftsrechts in ihrem weiteren Verlauf „beobachtet" wird und „ggf. geeignete Aktionen" von der KoG organisiert werden. Ich bin mir nicht sicher, ob diese sehr abwartende Haltung ausreicht und alle Möglichkeiten ausgeschöpft worden sind, die uns dem Ziel näherbringt, die Einhaltung und Umsetzung der KRK der UN in Deutschland zu überwachen und voranzubringen . Wir haben in Deutschland sicher nicht die Hauptaufgabe, z.B. die Kinderarbeit großflächig abschaffen zu müssen. Aber sicherlich gehört es zu den Hauptaufgaben, Kindern das Recht auf beide Eltern - ehelichen gleichermaßen wie nichtehelich geborenen Kindern in kompletten oder getrennten Familienverhältnissen lebend - zu ermöglichen. Außerdem gibt es eine große Zahl von Kindern, die in den außerordentlich schwierigen und relativ ungeschützten Verhältnissen von Kinderheimunterbringung leben müssen. Dies ist meines Wissens der „Löwenanteil" der Aufgabengewichtung, die uns die KRK für die deutschen Verhältnisse vorgibt. Hier fehlt die Kinderlobby! Wer sich für die Probleme in diesem Bereich einsetzt, der betreibt sicherlich nicht „partikulare" bzw. egoistische Einzel-Interessen.

Fragen des Familien- und Kindschaftsrechts waren bisher nach traditionellem Verständnis nahezu ausschließlich durch nationale Vorgaben bestimmt, die der Gesetzgeber quasi nach Belieben gestalten und formen konnte. An der staatlichen Souveränität zur Gestaltung der eigenen Rechtsordnung haben sich die modernen Staaten im Grundsatz stets festgehalten. Und doch zeichnen sich gerade hier beachtliche Modifizierungen ab: Die ständig steigende Anzahl von Fällen mit Ausländerberührung, aber auch die sprunghafte Aufwärtsentwicklung des völkerrechtlichen Vertrages als Mittel zur internationalen Koordination haben gleichermaßen dazu beigetragen, daß sich die nationalen Rechtsordnungen heute weniger denn je isolieren können. Dadurch gerät auch das deutsche Familien- und Kindschaftsrecht in zunehmendem Maße auf den internationalen Prüfstand.

Besondere Bedeutung kommt in diesem Zusammenhang drei völkerrechtlichen Verträgen zu:
- Der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK) vom 4. November 1950 (BGB1. 1952 II S.685),
- dem Internationalen Pakt über Bürgerliche und politische Rechte (UN-Zivilpakt) vom 19. Dezember 1966 (BGB1. 1973 II S.1534) und
- dem UN-Übereinkommen über die Rechte des Kindes (Kinderrechtekonvention - KRK) vom 20. November 1989 (BGB1. 1992 II S.121,990)

Alle drei Verträge sind durch die jeweiligen Vertragsgesetze Bestandteil der innerstaatlichen deutschen Rechtsordnung geworden. Als geltendes Recht müssen ihre grundrechtsgleichen Inhalte und Wertungen deshalb auch zwingend - und das völlig unabhängig von der Frage einer unmittelbaren Anwendbarkeit - zumindest bei der Auslegung von Generalklauseln und unbestimmten Rechtsbegriffen in jedem Einzelfall berücksichtigt werden. Das gilt für Behörden wie etwa das Jugendamt gleichermaßen wie für sämtliche Gerichte.

Handelt es sich darüber hinaus um so präzise Vorgaben, daß diese weder nach ihrem Inhalt noch nach dem Willen des beteiligten Staates mehr einer näheren Bestimmung durch staatlichen Hochheitsakt bedürfen, kann ihnen auf der Basis einer dann möglichen unmittelbaren Anwendbarkeit sogar allein streitentscheidende Bedeutung zukommen. Eine solche unmittelbare Anwendbarkeit wird für weite Teile von EMRK und UN-Zivilpakt bejaht. Bei der KRK hat die Bundesrepublik Deutschland hingegen in einem - völkerrechtlich allerdings zumindest zweifelhaften - Vorbehalt ausdrücklich erklärt, daß dieses Übereinkommen „innerstaatlich keine unmittelbare Anwendung" finden soll.

Gemessen an den internationalen Vorgaben, aber auch im Vergleich zu den weitaus meisten anderen europäischen Nachbarstaaten bildet das deutsche Familien- und Kindschaftsrecht inzwischen ein Schlußlicht der Entwicklung. Das gilt insbesondere für das Sorge- und Umgangsrecht, aber auch eine ganze Reihe anderer Bereiche. Mittlerweile liegen mehrere veröffentlichte und frei zugängliche wissenschaftliche Untersuchungen vor, die die völkerrechtlichen Defizite des geltenden deutschen Rechts im einzelnen belegen. Trotzdem ignoriert der Entwurf des Kindschaftsreformgesetzes (BT-Drucksache 13/4899) die völkerechtlichen Vorgaben nahezu völlig. Die gesamte KRK ist der Bundesregierung gerade noch eine kurze Erwähnung en passant in der Vorbemerkung wert, EMRK und UN-Zivilpakt finden überhaupt keine Berücksichtigung.

Auch wenn der Entwurf tendenziell in die richtige Richtung geht, bleibt das Verdikt der Völkerrechtswidrigkeit doch nach wie vor in zentralen Punkten bestehen. · Das gilt etwa beispielhaft für die auch künftig vorgesehene sorgerechtliche Besserstellung der Mutter eines nichtehelichen Kindes oder das fehlende Recht des Kindes auf Umgang mit seinen Eltern und anderen Familienangehörigen.

Aus diesen skizzenhaften Überlegungen leiten sich mehrere zentrale Forderungen ab, die durch die Erfahrungen mit der aktuellen Reformdiskussion nachdrücklich bestätigt werden:

1. Der Gesetzgeber muß nicht zuletzt im Interesse des gesamten Staates sicherstellen, daß völkerrechtliche Verpflichtungen auch tatsächlich eingehalten werden und in entsprechende Reformvorhaben einfließen. Ähnlich wie bei der Prüfung der zu erwartenden Kosten bietet sich hierfür ein standardisiertes Verfahren im Vorspann eines jeden Gesetzentwurfes an (etwa : „Übereinstimmung mit internationalem Recht").

2. Das Kindschaftsrechtsreformgesetz bedarf einer nochmaligen kritischen Prüfung im Hinblick auf die völkerrechtlichen Vorgaben. Hierfür ist (ähnlich wie für die rechtsvergleichenden Aspekte geschehen) das Gutachten eines angesehenen Völkerrechtlers einzuholen.

3. Unabhängig von einzelnen Reformvorhaben muß das Bewußtsein für die Bindung an völkerrechtliche Normen als unmittelbar geltendes Recht bei jedem Rechtsanwender gestärkt werden. Hierzu bedarf es zunächst schon einer entsprechenden Verbreitung der einschlägigen Vertrags- und Konventionstexte. Insbesondere aber müssen Urteile und Entscheidungen internationaler Rechtsprechungsorgane künftig möglichst zeitnah, gut auffindbar und in korrekter deutscher Übersetzung veröffentlicht werden. Angesichts der zunehmenden internationalen Verflechtung ist es erforderlich, daß der Stellenwert des Völkerrechts in der juristischen Ausbildung, aber auch im allgemeinen Bewußtsein eine deutliche Aufwertung erfährt.

Würden diese Forderungen auch von der National Coalition vertreten, würde deren Umsetzung unsere Arbeit erheblich erleichtern und wir alle kämen unseren Zielen, nicht nur in punkto Kindschaftsrecht, schneller näher.

Dennoch ist zu diskutieren, inwieweit die eigentliche Aufgabe der National Coalition eher darin besteht, auch durch politische und öffentlich wirksame Aktionen völkerrechtswiedriges Verhalten von Staatsorganen aufzuzeigen. Dazu können alle Mitgliedsorganisationen ihre Erfahrung und Kapazitäten in die Waagschale legen. Das einseitige Hoffen auf die selbstreinigende Korrektur durch das Veto eines Bundesverfassungsgerichtes sollte nicht der Weisheit letzter Schluß sein. Denn das Anrufen des Gerichtes z.B. zum oben aufgeführten Punkt im Nichtehelichen-Bereich des Kindschaftsgesetzes geschieht sowieso schon durch andere. Die National Coalition wird sich fragen lassen müssen, was sie politisch - entsprechend ihrer Aufgabenstellung - entscheidendes gemacht hat bzw. nicht gemacht hat. Ende September ‘97 findet voraussichtlich die Verabschiedung im Bundestag statt. Zum Juli werden sich alle entscheidenden Fraktionen in ihren Positionen festgelegt haben.

In der Hoffnung, ein Meinungsbild zu erhalten grüßt Thomas Martin, Vertreter von „Väteraufbruch für Kinder".
 
 


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UN-Kinderrechtekonvention
www.vaeter-aktuell.de/internatinal-page/tm_19970616_DE.htm